N: 286
Samſtag, 4. December
1852
vurch die Poſt
Berichte werden gratts beigegeben.
— ertheilt, die Spaltzeile in Petitfehrift 4 kr.
Preis Halbfjähritg in Hetdelberg: 2 fl 6 k
Telegraphiſche Depeſche.
Paris, 2. Dec. (R. 3.) Definitives
Refultat der Abſtimmung 7,824,189 Ja,
252,145 Nein. Das Kaiſerthum wurde ge-
ſtern Abend zu St. Eloud proctamirt. Die
Rede Ludwig Napoleons ſchloß mit den
Worten: „Empfangen Sie den Schwur,
daß der Frieden jetzt Alles iſt.“ Ernannte
Marſchälle: St. Arnaud, Magnan, Ca-
ſtellane.
Die Arbeiterwohnungen.
Bei der großen Aufmerkſamkeit, welche
man gegenwärtig in Deutſchland der Grün-
dung „gemeinnüßiger Baugeſellſchaften“ zu-
wendet, dürfte es nicht ohne Intereſſe ſein,
ſich zu vergegenwärtigen, was in Fraͤnkreich
und England bereits in ähnlicher Richtung
geſchehen iſt.
Erwünſchten Aufſchluß erhalten wir in
einer Abhandlung des neueſten Hefles der
„Deutſchen Vierieljahrsſchrift“ (Stuttgart,
3. G. Cotta'ſcher Verlag), wo von den
Anſtalten zur Hebung der Nothſtände und
zur moraliſchen Verbeſſerung der untern
Volksklaſſen gehandelt wird. Der Verfaſfer
geht von der Anſicht aus, daß man es ſich
in neueſter Zeit, namentlich in Belgien,
England und Frankreich, weniger in Deutfch-
land habe angelegen ſein laſſen den arbei-
tenden Klaſſen zu geſunden Wohnungen zu
verhelfen! Dies mag inſofern richtiß ſein,
als die genannten Staaten des Auslandes
allerdings der äußern Ausdehnung nach
weit großartigere Anſtalten in gedachter
Richtung beſitzen als Deutſchland. Dagegen
gebt, wie wir aus dem Nachfolgenden er-
ſehen werden, die Berliner gemeinnüßige
Baugeſellſchaft von einer weit tieferen Idee
aus, und wird um ihres großartigeren
Prineipes willen mit der Zeit auch die
engliſchen und franzöſiſchen Anſtalten über-
flügeln.
Die Vierteljahrsſchrift zieht folgende Pa-
rallele zwiſchen den enaliſchen und franzoͤ—
ſiſchen Anſtalten zur Wohnungsverbeſſerung
der arbeitenden Klaſſen:
Die Tendenzen der Londoner bemittelten
Bevölkerung, den Armen geſundere Woh-
Nungen zu verſchaffen, fanden zunächſt In
Paris ein entſprechendes Echo, und pflanz-
ten ſich von da nach Belgiens Hauptſtadt
Tort, wo die Negierung Preife für die be-
M Entwürfe zu zwedmäßigen Arbeiter-
wohnungen ausſetzte. In Paris hat ſich
eine Acttengefenfhaft zur Aufgabe geftellt :
nicht nur in Paris, ſoͤndern auch {n jeder
größern Stadt des Landes zwedmäßtige
Wohnhäufer für die Arınen zu errichten.
Das Kapital diefer Gefellichaft foll auf 6
Millionen Franken gebradt werden. Sie
fteht unter dem Schuß des Präfidenten der
Republik, der ſich fehr lebhaft für ihre Lei
ſungen intereſſirt. Der Zwed, den diefe
Heſellſchaft anſtrebt, beſteht darin, daß die
ärmere Bevoͤlterung künftig für gefunde
bequeme Wohnungen einen weit geringeren
Miethzins zu entrichten haben wird, ais ſie
jetzt für ungeſunde und beſchraͤnkte zu be-
zahlen genoͤthigt iſt. Jede Einzelwohnung
foll dem Plan der Geſellſchaft gemäß aus
einem Wohnzimmer, zwei Schlafzimmern
und einer Küche befiehen, die durch Wär-
meleiter geheizt wirb, welche im Sommer
zu einer wohlthätigen Ventilation verwen-
det werden ſollen. Jedes Gebäude ſoll drei
Stockwerke zählen und mit einem geräumi-
gen Hof und Gaͤrten verſehen ſein. Die
Räume zu ebener Erde ſoilen zu Werk-
werden. Jedes Gebäude ſoll außer den
Wohnungen für 40 bis 50 auch noch eine
Waſch- und Badeanſtalt und eine Kinder-
wartaͤnſtalt enthalten, in welcher die Klei-
nen während der nothwendigen Abweſen-
heit ihrer bei irgend einer Arbeit beſchäf-
iigten Mütter Unterkunft und Aufſicht fin-
den. Jenen Arbeiterfamilien, welche keine
Mittel zur Anſchaffung von Möbeln beſitzen,
ſollen möblirte Zimmer zu dem mäßigen
Preiſe einer Monatsmiethe von 6 bis 10
Franken gegeben werden. Ein Theil dieſes
Geldes foͤll als Miethe für die Wohnung
ſelbſt, ein anderer als Eniſchädigung für diẽ
Abnutzung der Moͤbeln berechnel, und dieſe
ſelbſt ſollen, nachdem der Miether einen
gewiſſen Betrag entrichtet hat, Eigenthum
deſſelben werden.! Jedes Gebäude ſoll über-
dies eine große Haͤlle haben, die als ge-
meinſchaftlicher Erwärmungs-Platz benuͤtzt
werden ſoll. Man beabſichtigt ferner in die-
ſen Gebäuden eine Art Auskunftg = Bureau
für Dienſtgeber und Dienſtſuchende zu er-
richten, was nur zu gegenſeitigem Vortheil
gereichen würde.
Die franzoͤſiſchen Plane zur Errichtung
von dergleichen Anſtalten verdienen unbe-
dingt den Vorzug vor den engliſchen. Die
Einführung von Werkſtätten und Kinder-
wartanſtalien, die Idee, daß der Arbeiter
durch kleine Ratenzahlungen binnen kurzer
Friſt in den Beſitz eigener Moöbeln geſetzt
werden kann, die Errichtung einer gemein-
ſchaftlichen Erwärmungs- und Sprechhalle,
durch welche der Einzelne eine Ausgabe
an Licht und Brennmaterial erfpart, Dder
Hedanke endlich, in einem ansſchließlich von
Arbeitern bewohnten Gebäude ein Aus-
lunftsbureau für Arbeitgeber und Arbeitſu-
chende anzubringen, erſcheint ebenſo zweck-
mäßig als neu, da man in den engliſchen
hierher gehörigen Projecten durdaus nichts
aͤhnliches findet. Die Anſicht, daß derglei-
chen Gebäude eher für eine höhere Kiaſſe
der arbeitenden Bevoͤlkerung geeignet ſein
dürften, als für die ſie beſtimmt ſind, wie-
derlegt ſich von ſelbſt, ſobald man nur die
niedrig geſtellten Mieihpreiſe in Erwägung
zieht. 6 bis 10 Franken ſtellen gewiß eine
in Anbetracht der gebotenen Vortheile ſehr
mäßige Anforderung dar, welcher von fe-
dem nur einigermaßen beſchäftigten Arbei-
ter Genüge geleiſtel werden kann.
Der größte Unterſchied der Art und Weiſe,
wie der analoge Plan in den heiden Nach-
barländern diẽſſeits und jenſeits des Ca-
nals zur Ausführung gebracht werden ſoll,
iſt in dem Organiſaͤtionsplan des Gaͤnzen
gelegen.
nehmen bloß Speculationsſache, in England
hat ſich der öffentliche Wohlthätigkeitsſinn
an die Spitze dieſex Einrichiuug geſtellt.
Schon die ganz verſchiedenartigen Benen-
nungen, welche den zu errichtenden Wohn-
häuſern in den beiden Ländern beigelegt.
werden, fprechen deutlich für den Unterfchied
der dabei zu Grund liegenden Geſinnungen
und Ausgaͤngsideen! Das engliſche .,Modell
Lodging-house“ ¶ Muſterherberge) klingt ſehr
beſcheiden im Vergleich mit dem fraͤnzoͤſt-
ſchen Prunknamen einer „Cil& ouvriere“
Arbeiterſtadt.) Die Engländer ſind in die-
jer Beziehung von den Franzoſen ſelbſt dem
Ausgangsprincip nach überholt worden.
Jene begnügten ſich mit der Errichtung
einer Herberge, welche ſpätern Erbaͤuern
gleichartiger Gebäude zu einem Anhalts-
punkt und Vorbild dienen ſollte; man be-
abſichtigte bloß den Beweis für die Mög-
lichkeit zu leiſten, daß man für denſelben
Miethzins mit einer ganz entſprechenden
Verzinſung des angelegten Kapitals den
Arnien geräumige und geſunde Wohnungen
zu geben vermöge. Man hat vielfach die
Behauptung aufgeſtellt, der wir auch völli-
gen Glauben fchenfen, daß niemand ver-
hältnißmäßig hoͤhere Miethe zahle als ges
rade der Unbemittelte. Selbſt nach dem
Kubik⸗Inhalt gemeſſen ergibt e& ſich, daß
der engliſche Peer im Weſtend Londons
für ſeine prachtvolle Wohnung keinen ſo
hohen Miethpreis entrichiet als der Be-
wohner der dumpfigen Höhlen von St.
Giles. Man wünfcht ferner auf unwiders
legbare Weiſe darzuthun, daß den Armen
nicht nur beſſere, ſondern auch wohlfeilere
Wohnungen, als es gegenwärtig der Faͤlt
iſt, gegeben werden können. Mehr jedoch
beabſichtigten die engliſchen Begründer dies
ſes Unternehmens niht, und wollten viel-
mebr die weitere Ausfuͤhrung deſfelben der
öffentlichex, allgemeinen Mitwirküng über-
laſſen. Die Franzoſen dagegen ſehen die
Errichtung der Armen-Wohnhäuſer vom
Standpunkt einer vortheilhafien Geldſpecu-
lation an, und bilden daher Geſellſchaͤften
um den Plan in der größtmöglichen Aus-
dehnung zu bethaͤtigen.
Nach dem Dafürhalten der „A. A, Z.“,
der wir dieſe Notizen entnehmen, iſt in dem
Unternehmen der Berliner „gemeinnuͤtzigen
Baugeſellſchaft“ der Gedanke einer Geld-
ſpeculation mit dem einer Wohlthaͤtigkeits-
anſtalt gufs gluͤcklichſte verbunden, während
die ungleich höhere Abſicht, den Unbemittel-
ten nicht bloß ein Almoſen zu geben, ſon-
dern ſie zu Erarbeitung eigenen Beſitzes zu
führen, die bei den franzöſiſchen Arbeiters
wohnungen nur theilweife angedeutet iſt,
hier erſt vollſtändig zur Entwicklung kommt.
Bei den mannichfaltigen Berdienfien, welche
ſich die „ Deutfche Vierteliahrsſchrift“ ge-
rade auf dieſem ſtreng praktiſchen Gebiete
der ſoeialen Fragen erworben, ſteht es da-
her wohl zu erwarten, daß ſie in ihren
nächſten Heften auch über jenes merkwürdige
deutſche Unternehmen die ausfuͤhrlichen Auf-
ſchlüſſe mittheilen werde, welche wir bisher
* den Tagesblättern vergeblich geſucht
aben.
Ueber die Beſchaffung billiger Wohnuns