Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Hatte er ſchon vorher in der Stadt Liebe
und Achtung genoffen, fo mehrte ſie diefe edle
Handlung in hohem Grade. ;

Aber unten in Apoſtelküfers Stube wiſch
ten zarte Finger zwei Freudenthränen weg, Die
niemand fehen folltes

Ach, dachte Lenchen, man ſieht's recht, wie
Gottes Segen auf ihm ruht!

; Jacöbchen faß an ihrer Seite, e8 mar ſo
in der Dammerfiunde, — Lenchen fagte er, nun
iſt alles ſchön und gut, Du ſorgſt für mich
armen Knaben, die Frau Klein iſt verſorgt;
der Herr Amtsſchreiber iſt Amtskellner. Nur
noch eins ſollte fein, und das wird auch. Weißt
Du was?

Lenchen erſchrak. Sie ahnete, was er wohl
ſagen würde.

Sei doch zufrieden, fagte ſie.

D, das bin ich und danke Dir und dem
lieben Gott, aber das eine geſchieht auch nodh,
ich weiß e8. Und mit dieſen Worten richtete
er ſich gegen ihr Ohr auf und flüſterte: Du
wirſt ſeine Frau!

Lenchen erglühte im Dunkeln. Sie ſagte:
Wenn Du noch einmal ſo etwas redeſt, ſo wilt
ich nichts mehr von Dir wiſſen! Geh’ hinaus!

Jacöbchen ging geſenkten Kopfes ſtille hin-
aus und Lenchen begann ſchon ihre Härte, mit
der es ihr doch kein Ernſt war, doppelt zu be-
reuen, als die Tbüre aufging und jemand ein:
trat. Lenchen meinte, es fei die Mutter und
ſagte: Hier bin ich, liebe Mutter.

Aber e8 war Rudolphi, den's mit tauſend
Armen herunterzog

Guten Abend, meine liebe Königin, ſagte
er. Ich bin heute eingezogen und komme, um
gute Hausnachbarſchaft zu machen.

Ach, Herr Amtsſchreiber — Amtgskellner,
wollt' ich ſagen, ſtotterte das erſchrockene Mäd-
chen, geduldet Euch einen Augenblid, daß ich
ein Licht hole!

Aber es umfaßten ſie zwei Arme und hiel-
ten ſie feſt.

Lenchen, ſagte er, bleibe, ich bitte Dich. Es
liegt mir etwas auf dem Herzen, das muß
herunter und ſo im Dunkeln wag! ich's erſt
recht zu fagen. Es iſt nichts Böſes, Gott iſt
mein Zeuge, dirum bleibe!

Uch, ſagte das geängſtele Mädchen, laßt mich,
laßt mich, es geht nicht!

Aber er hielt ſie und — ſie blieb —; und
ſie fluͤſterten heimlich lange, lange, Er zuerſt
recht viel; dann ſchluchzte das Lenchen faſt laut
und er fragte wieder fo ſchmeichelnd, ſo ſüß;
dann ſagte oder vielmehr hauchte Lenchen ein
Wörtchen — und es wurde ſtill und dann
klangis — wie ein Kuß.

Da trat die Mutter mit einem Licht herein
und blieb wie eine Bildſäule ſtehen — denn
Lenchen lag an des Amtskellners Bruſt und
verbarg ihr Geſicht.

Ruͤvolphi aber reckte ſeine Hand nach der
Apoſtelküferin und ſagte: ;

MNMutter, Lenchen hat mir das Jawort ge-
geben, fie will mein ſein für ewig will meine
Hausehre, meine liebe, treue Hausfrau werden.
Gebt Ihr uns Euren Segen auch?

Ach Herr Amtskellner, mo denkt Ihr hin?
rief die Frau Ickrath und hätte ſchier das Oel-
licht ſammt feinem fetten Inhalt auf den wei-
ßen Dielboden fallen laſſen, daß es abſcheuliche
Oelflecken gegeben.

Ich denke an nichts Böſes, ſagte lachend
der junge Mann. Ihr wollt doch Lenchen nicht
in's Kloſter ſtecken, oder habt Ihr einen Bräu-
tigam im Viſir?

Ach Gott, nein, ſagte ſie.

Habt Ihr denn eiwas gegen mich?

Ach Sott, nein! rief ſie aus.

Nun, wollt Ihr mig denn nicht zum Ei-
dam? Euer Kind hat mich lieb und ich ſte.

Wenn's Euch Ernſt iſt, ſagte darauf Frau
Ickrath fo gebe Goͤtt ſeinen Segen dazu

Da ſprang er auf und hob Lenchen jubelnd
in die Höhe und rief: Hoͤrſt Du’8s, mein Len-
chen? Nun biſt Ou meine Braut! Und er zog
ſie ſtürmiſch an ſein Herz und der Brautkuß
flammte auf ihren Lippen.

Darauf umarmiten ſie die glückliche Mutter.

Lenchen aber wagte kaum aufzublicken und
nur leiſe ihm fühlbar erwederte ſie ſeine Küſſe.

Ueber ein kleines kam der Apoſtelkäfer.
Alle Blitz rief er, was feh’ ih? Herr Amts-
kellner, wos iſt denn das?

Seht hier, meine liebe Braut, wenn Ihr
uns den Segen gebt? ſagte Rudolpht. -

Macht mir keine Faxen! rief Balthes Ick-
rath und ſah ungläubig feine Frau an.

Die nickte lächelnd und fagte: Es hängt von
Dir ab, ich gab ihnen meinen Segen.

Ei, da ſollls an meinem auch nicht fehlen

jubelte der Alte und drückte beide an ſein Herz.

Ruft Frau Klein und Jaebbchen, bat Ru-
dolphi.

Das geſchah und die Freude war voll. Sie
hielten Verlobung an felbigem Abend.

Jacöbchen ſagte zu Lenchen: Was ſagt' ich
Dir vor einer Stunde?

Vier Wochen ſpäter war Hochzeit und der


er's beim Eistanz gefagt.

Im Apoſtelhof grünte und blühte ein Glück,
das ſeines Gleichen ſuchte und kaum fand. Kin-
derchen wie Engel umſpielten die ſeligen Eltern
und Großeltern.

Frau Klein ſegnete bald das Zeitliche Ihr
letztes Gebet galt Leuchen und ihrem Gatten
und ihren Kindern.

Jacöbchen wurde alt. Er ſah ſeine Raben-
mutter nicht mieder. Sie ſtarb im Zuchthaus.
Shm ging’s gut. Er fütterte feine Tauben und
hütete Lenchens Kinder.

Von Anfelm Koͤhler hörte man nie mehr
ein Wort Der Decan ſtarb bald und der Ca-
nonieus Schmitz kam an feine Stelle! Er ver-
lebte jährlich vierzehn glückliche Tage im Apo-
{telhof. Sickingen blieb der tägliche Gaſt, ebenſo
Siegling und der Guardian.

Und Tonchen? — Sie ſtarb in Bingen
als eine — alte Iungfer, verhaßt durch ihre
giftige Zunge, ehe fie das vierzigſte Jahr zu-
rückgelegt. Sie ließ ſich nie mehr in Bacharach
ehen.
Noch eine Bemerkung macht Sebaſtian Fa-
bian, die hier ihre Stelle finden muß.

Mit zitternder Hand ſchreib ich alter Mann,
daß heut vor vierzehn Tagen der Herr Amts-
keliner Rudolphi hat zum zehntenmale taufen
laſſen. Wer aber die Frau Amtakellnerin ſiehet,
ſollte meinen, ſie fet noch ein Mägdlein, wie
damals beim Eistanz Anno 1708. Da ift wahr
geworden, was im Einhundert acht und zwan-
zigſten Pfalm alſo geſchrieben ſtehet: „Wobl
Deim, der den Herrn fürchtet und auf ſeinen


ner Haͤnde Arbeit, wohl Dir, Du haſt es gut.


ſtock um Dein Haus herum, Deine Kindex wie
die Oelzweige um Deinen Tiſch her! Siehe,
alſo wird gefegnet der Mann, der den Hern
fürchtet, del Herr wird Dich ſegnen aus Zion,
daß Du feheſt das Glück Jeruſalems Dein Le-
ben lang, und ſeheſt Deiner Kinder Kinder.
Friede über Israel!“

Und was prophetiſch der ehrliche Ehroniſt
geſagt, wurde wahr⸗ Von ihren Kindern blieb
keines in Bacharach. Sie fanden ihr gutes
Fortkommen anderwärts, theils in den kurpfäl-
ziſchen, theils in den kurkölniſchen Landen.

Und als ſchon lang über den Gräbern Len-
chens und Rudolvhis das magere Gras Des



Sanet Werner ſproßte, da legte ein arger Brand
den ſchönen Apoſtelhof in Afdhe, alfo daß nichts
übrig blieb, als die Stätte, die Keller und der
Name bis auf dieſen Tag.

Vermiſchtes.

— Die „Bresl. Ztg.” Gringt einen Be-
richt über das am 4. Dec. ſtattgehabte Be-
gräbniß von Bincenz Brießnig, das von
der ungeheuern Iheilnahme zeigte, weldhe Dver
Tod diefes Mannes in Graͤfenberg felbft, fo:
wie in der ganzen dortigen Gegend erweckt hat.
Vertreter der Mationen Curopas und beider
Amerifa8 ſtanden an ſeinem Orabe. Prießnitz
wurde 1799 geboren; fhon in feinem 17.
Jahre beobachtete er die Heilfraft des Waffers
an ſich felbit, er wandelte welter auf der ein-
geſchlagenen Bahn. Im 19, Jaͤhre wurde er
ſchon in entfernte Gegenden berufen, bald wuchs
fein Ruf und der Erfolg ſeiner Kuren, Die
Regierung ließ darauf ein Verfahren gegen
Prießnitz wegen Pfuſcherei einleiten, gab aber


ausſtellte daß er nur mit Quelhwaffer kurirte.
Der Ruf des Waſſerdoctors? ftieg, al8 felbft
ein Mitglied der kaiferlichen Familie ſich feinen
Raͤthſchlägen vertraute und ihn mehrmals nach
Wien berief, Mediziniſche Kenntniffe befaß
Prießnitz nicht,

ren bedeutende Erfahrungen und ſelbſt die Ver-
richtungen der Nerven waren ihm bekannt! Cr


moral⸗ Pathologie unbewußt ergeben. Im Jahre
1826, mo ſich zum erften Male Kranke in
Gräfenberg einfanden, um Dort der Kur zu
leben erbaute Prießnitz nachdem er ſich zuvor
eines Wafchtroges zum Baden Febient hatte,
das fogenannte alte Badehaus. Er ſeloſt mar
der Baͤdediener und rieb und badete feine Pa-
tienten. Sın Sahr 1829 waren 49 Kranke in
Sräfenberg. Zehn Iahre (päter, 1839, zählte
die Badelinie 1780 Nummern, unter denen
viele Familien mit eingerechnet jfind. In die-
ſer Zeit wurde Gräfenberg gefchaffen, die Ges
bhäude, wie fie ſetzt ſtehen, die Waſſerleitungen,
die Quellen.

Selt diefer Zeit hatte Prießnitz in ſeinem
Heilverfahren ‘ fortgebaut; in den letzten acht
Sahren wechſelte er die Kur und verließ den
Weg ve8 vielen Schwitzens Dbei ven Kranken,
um Dden ficheren, aber an Zeitverbrauch länge-
ren der jetzigen Kurmethode einzufchlagen. —
Bis zum letzten Tage nahm er den Beſuch ſei-
ner Palienten an und ertheilte ihnen Rath mit
der {hn eigenthümlihen Beobachtungsgabe. Ue-
ber ſeinen Zuftand ſprach er mwenig, ev war


ner Leiche ergab eine gänzlich aufgelöfte Leber
mit Maſſen Tuberkeln angehäuft, die Bruſt
mit Waffer angefüllt, ſonſt waͤren die Theile
ſeines Innern normal und keiner durch den
ſo langen Gebrauch des Waſſers angegriffen.
Sein Gehirn war von bedeutendem Gewicht
und ſchön geformt. Ein Amerikaner, Dr. Kaſtl,
iſt Willens, einen phrenologiſchen Berſcht über
die Hirnſchale des Verſtorbenen zu veröffent-
lichen! Nach dem Willen des Verſtorbenen über-
nimmt ſein Schwiegerſohn, Ujhazy, die Waſ-
ſerheilanſtalt von Graͤfenberg! Prießnitz haͤt
zwar einen Sohn, doch ift derſelbe noch ein
Kind, welches nicht einmal ſeinen Namen der
Anſtalt geben kann. In dem Nachlaß hat man
30,000 geordnete Briefe gefunden, die Ant-


Krankheitsfälle enthalten. (Prießniß rechnete
ſelbſt an 36,000, Menſchen in ſeinem Leben
Rath ertheilt zu haben)

Berantwortlicher Nedacteur: L, Mieckher.

Druck und Verlag von G. Keichard.
 
Annotationen