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Fleiß ein Opfer der uugünſtigen Zeit werden
ſollte

Die Nacht brach herein und er verſank in
einen feſten Schlaf, der ihm ſein Elend wenig-
ſtens für einige Stunden mitleidig verbarg. Die
Sonne ſtand ſchon hoch am Himmel, al8 er
wieder erwachte. Er fühlte ſich geſtärkt und
haͤtte neuen Muth gefaßt, wäre nicht bald der
Hunger mit verdoppelter Wuth zurückgekehrt
Menfhliche Hülfe zu ſuchen wagte er jeBt nicht
mehr, Doch die ſteigende Noth machte ihn ers
finderifch: ev lernte ſich von Wurzeln und Kräus
tern nähren, vermied von nun an die Woh-
nungen der Menſchen und wanderte, Nachts
unter den Bäumen des freien Himmels ſchla-
fend, durch Waldung und öde Gegenden immer
vorwaͤrts ohne zu wiſſen wohin. Wohl ſchon
acht Tage lang hatte er dies Nomadenleben
gefüßhrt, al8 er in die lieblichen Gefilde von
(Etroitg an dem Ufer der Saone kam! Die
Schrecken des Krieges haͤtten damals in dieſer
Gegend noch nicht gewüthet, und der Anblick
der bluͤhenden Fluren und geſegneten Dörfer
erregte in ſeiner Bruſt ein feltfames Gemiſch
von Schnfuͤcht und MelanHolie. Hier, wo
alle8 glücklich und voll Freude zu fein ſchien,
übermannte ihn ‚mit verflärfter Gewalt der
Schmerz um das, was er unwiederbringlich ver-
loren. Voll tiefer Empfindung, ohne Freunde,
ohne Rathgeber! wich plötzlich der Muth aus
ſeiner Seele, ſtch länger mit Geduld den Wi-
derwärtigkeiten des Lebens entgegenzuſtellen und
ihn erfaßten die Furien der Verzweiflung, So
ſchaute er hinab in die Gewäſſer der Saone,
die dahin rollten, endlos wie ſein Elend; hinab
in die Gewäſſer, die den Lauf nicht mehr zu-
ruͤckwenden an ihre Quelle, ſo wenig als die
Geſtorbenen zuruͤckkehren in das Leben! Unwi-
derſtehliche Sehnfucht nach der theuern Mutter,
die er nie gefehen, nad) dem geliebten Vaͤter,
der ihm fhon feit Jahren entriffen war, beftel
ihn bei dieſem Anblick; immer mehr verwirrten.
ſich feine Sinne und ſchon wollte er den tödt-
lichen Sprung hinabihun in die Fluthen — da
erfaßte ihn eine zarte Hand; er blickte um und
wußte nicht, wie ihm geſchah! Ein Kind ſtand
vor ihm; ein Mädchen, ſo hold, ſo wunder-
{chön, daß es ihm wie ein Engel des Paradie-
ſes erſchien. Und es mußte wohl ein höheres
Wefen fein; denn plötzlich verſchwunden war
beim Anblick diefer retzenden Geſtalt ſeine Ver-
zweiflung; wie die heitere Morgenſonne nach
einem ſchweren Traum, ſo lächelte ihm aus
dem unſchuldsvollen Anblick des Kinde? das
Leben wieder heiter entgegen; und willenlos
ließ er ſich von der Erſcheinung führen, die
ihn ſanft vom Abgrund hinweg 309 und die
Höhen hinan in ein prachtoolles Schloß leitete.

2

Und doch war dieſe Retterin kein übexir-
diſches Weſen, fondern die zehnjährige Tochter
des Herrn von Lepeg, eines Mannes von al-
tem Adel, hohem Anfehen und unermeßlichem
ReihHthum. Der magnetiſche Zauber, welcher
unſern Jüngling bei ihrem Anblick ſo ſeltſam
erfaßte, ſchien auch ihren Buſen leiſe berührt
zu haben; und obgleich dahei nichts weniger
als Entſetzen einer übernatürlichen Welt im
Spiele waren, ſo wurde doch beiden erſt viele
Jahre ſpäter, als ſte nach vielfachen Erlehniſſen
und unter ganz andern Verhaͤltniſſen ſich wie-
der begegneten, deren Urſache klar.

Sufanna, ſo hieß die einzige Erbin des
Herrn von Lepey, führte den Geretteten auf
ihr elterliches Schloß. Sie war der Liebling
ihrer Mutter und Theodor konnte keine beſſere
Beſchützerin finden, denn er erhielt alles, was
die kleine Sufanna für ihn begehrte So vlötz-
lich vom grenzenlofeſten Elend in die Bequem-
lichkeiten des Wohlſtandes verſetzt, wachte aach

ſein von Natur lebendiger Ceiſt bald wieder
auf. Herr von Lepey fand Gefallen an ſeinen
artigen Manieren, ſeinen bei großer Jugend
unerhörten Kenntniſſen und ſeiner Beſcheiden-
heit. Er beſchloß ſich des Verlaſſenen wie ein
Vaͤter anzunehmen und forderte dafür von dem
Jüngling ein kindliches Vertrauen. Theodor
feinerfeits hatte keinen Grund, über ſeiner Ver-
gangenheit den Schleier des Geheimnißvollen
wallen zu laſſen, daher kam er der Aufforde-
rung gerne nach und erzaͤhlte:

„Mein Vater hieß Iohann V Aubigne
und war Commandant von Orleans. Meine
Mutter Katharine, aus dem Haufe ’ Cftang,
foll eine Frau von hHoher Schönheit gewefen
ſein, und alle, die ſie Fannten, rühmen jetzt noch
ihre ſeltenen Tugenden. Ich bin ihr Erſt und
Letztgeborner, denn der Lag meiner Geburt
waͤrd leider ihr Todestag — ſſie ſtarb im Wo-
chenbeit, weßhalb man mir zu dem Taufnamen
Theodor noch den Namen Agrippa beilegte.
Die theure Hingeſchiedene hatte ſich vom Him-
mel kein größeres Gut erbeten al8 das Glück
Mutter zu werden. Und ach! in dem Augen-
blick, da ihre Wünſche erfüllt wurden , endigte
der erbarmungsloſe Tod, der mit unſern Hoff-
nungen ſpielt! frühzeitig ihre Freude und ihr
Glück. Ich erblickte das Licht des Lebens, und
meine Mutter, noch im Frühling des ihrigen,
haͤtte nicht einmal die Kraft, micdy mit ihren
Küſſen zu bedecken; ihre Lippen öffeten fich
nur, um ihren Geiſt entfliehen zu laſſen, und
ihre ſchönen Augen verſchloſſen fich auf immer
dem Licht.“

Theodor hielt hier eintge Augenblicke inne,
um ſeine Thränen zu trocknen. Dann fuhr er
fort: „Mein Bater war anfangs untröftlich
über dieſen Verluſt; voch die Zeit tilgte ſeinen
Schmerz. Noch jung, fand er nach einigen
Jahren die Wittwerſchaft langweilig und ver-
wählte ſich wieder mit Anna von Limours.
Er liebte mich aufrichtig und dies wurde nun
für mich eine Quelle vieler Kränkungen; denn
Anna von Limours ward eiferſüchtig auf ſeine
daterliche Zaͤrtlichkeit und verfolgte mich mit ſo
grimmigem Haß, daß mein Vater mich endlich
au8 dem Hauſe entfernen mußte, um Unglück
zu vermeiden. Ich kam zu dem berühmten Be-
zoald in die Schule, fand großes Vergnügen
an ſeinen Lehren und war ſchon in meinem
achten Jahr ſo mweit, daß ich Platon's Schrif-
ten im Urtext leſen konnte. In meinem neunten
Lebensjaͤhr wurde ich der Keberet angeflagt und
mit Beroald in’8 Gefängniß geworfen. Mein
Lehrer endete unter dem Beil des Henkers; mich
reitete meine Jugend, obgleich ih mich weigerte,
zur Meſſe zu gehen. Vier Jahre ſpäter, bald
nady der unglücklihen Verſchmoruag von Am-
boiſe, in der ſo viele Hugenotten ſielen, zeigte
mir mein Vater die Galgen, an welchen die
blutigen Köpfe der gornehmſten Verſchworenen
noch aufgeſteckt waren. Sieh’ hier, Agrippa,
fagle er, die Henker!... fe haben Frankreich
enthauptet! Mein Kind, fügte er mit Unwillen
hinzu: Dein Kopf und der meinige müſſen dieſe
ehroͤnvollen Häupter rächen— Ich gebe Dir met-
nen Fluch, wenn Du ſolche Grauſamkeit je
vergißt. Bald darauf zeigte ſich mein Vater
dieſes Ausſpruchs würdig. Er fiel in einem
mörderiſchen Gefecht unter den Mauern von
Orleans. Seine Schlöſſer wurden zerſtört, feine
Süter fielen als Beute in die Hände der Sie-
get. Ich war nun zugleich verwaist unz verarmt.
Roch zu jung meines Vaters letzten Willen zu
erfüllen, ging ich mit dem wenigen Geld, das
ich beſaß/ nach Genf; denn der Ruf des gro-
ßen Mathematikers Theodor Beza verſammelte
bamaͤls die wißbegierige Jugend um ſeinen Lehr-
ſtuhl. Ich gewann Beza's Freundſchaft und
hätte meine Kenntniſſe
net, wäre nicht meine teue Baarfehaft zu bald

erſchöpft geweſen. Aeza beklagte mich, konnte
mir ſeboch nicht Helfen, denn er war ſelbſt arm.
Bald litt ich Mangel an den nothwendigſten
Bedürfniſſen. Die Verlegenheit zwang mich,
Genf wieder zu verlaffen, und ich reiste zu
Fuß nach Lhon, in der Hoffnung, dort durch
Unterricht kleiner Kinder mein Leben zu friſten.
Doch auch dieſe Hoffnung täuſchte mich — ich
fand keine Schüler; denn niemand wollte dem
jungen Fremdling Soͤhne und Töchter anver-
trauen“

Was Theodor Agrippa d Aubigné dieſer
Erzaͤhlung feiner früheren Schickſale noch bei-
fügte, kennen wir bereits aug dem vorigen
Lofchnitt.

(Fortſetzung folgt.)

Vermiſchtes.

* Lord Palmerſton iſt vor länger als
50 Jahten in den Staatsdienſt getreten und {ft
ſeit 1809 Mitglied ſämmtlicher engliſcher Mi-
nifterien, mit Ausnahme der Miniſterien Peel,
gewefen. Er war erſt 25 Jabre alt, al8 er
im Sahr 1809 Kriegs-Sekretär wurde, welchen
Boften er bis zum Jahre 1828 Gefleinete, Lord
Granville Xevefon= Gower, Dder Vater des
jetzigen Karl Granville, war es, auf deſſen Tod
28 Bellinghaur abgeſehen Hatte, als er den Pre-
mier - Miniſter Bercival durch einen Piſtolen-
ſchuß tödtete.

*. Berlin zählt im engeren und wei-
teren Bolizeibezirk gegenwärtig 396 Straßen
und Gaffen, 47 größere und kleinere hffentliche
Plätze und 25 Brücken. Für Brod wird durch
343 Baͤcker, für Trank durch 16 Bayerifhs *
Bier-, 16 Weißbier-Brauereien und 9 Brannt-
weinbrennereien geſorgt! An Schankwirthen -—
excl. der Conditoͤren, Gaſthöfe, Reſtaurattonen
und Kaffeehäufer — gibt es nicht weniger als
ſtebenhundert und einige ſtebenzig. ;

*, Anekdote. Ein Buchbinder hatte
gon einer Schule mehrere Landkarten erhalten,
um an denſelben kleine Reparaturen vorzus
nehmen. Auf der Rechnung, die er nach Rück-
gabe der Karten ausſtellte, las man unter An-
derem:

Curopa im Norden ausgebeifert . 12 fr.
Deutfchland zufammengeklebt . . 9 F,
Fraͤnkleich durch friſchen Leim gezogen 4 Ffr.

*. (Slectrifher Telegraph zwi-
fchen Dublin und Holyhead.) Der
iriſche „Warder” vom 20 Dechr. theilt unbe-
dingte Naͤchricht mit, daß dieſelbe Geſellſchaſt,
welche den unterfeeifchen Telegraphen zwiſchen
der engliſchen und franzöfiſchen Küſte bewerk-
ſtelligt hat, einen Vorſchlag bei der Regierung
dargelegt, wonach dieſelbe die Vollendung eines
aͤhnlichen Telegraphen zwiſchen Kingstown und
Holyhead gerade nach demſelben Prinelp und
in einer fehr kurzen Zeit garantirt. Die einzige
erforderliche Bedingung iſt. daß die Regierung
zahle, und zwar für die ausſchließliche Benutzung
zweier Orähte, wenn ſie auf den Vorſchlag ein-
zehe, eine jährliche Summe von 1000 Pfd.

Berichtigung.

In der Kunſtnotiz im geſtrigen Hauptblatt, das
Concert der Mad. FuhHsS beir., muß es in der
5. Zeile von unten anftatt (wie In einem Theil
der Eremplare irrthümlih ſteht) „dramatifger“ —
„declamatorifcher“, und in der 3. Spalte Beile 1
von oben fratt „die“ — „Dder“ heißen.

Verantwortlicher Redaeteur: K. Ri echher.


Druck und VBerlag von G. Reichard.
 
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