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Heidelberger Journal (46) — 1852

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Beilage-Blätter Nr. 1-13; 15-18: 20-22; 24-60; 62-157
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https://doi.org/10.11588/diglit.66017#1246
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zen Heinrich von Bearn, der Uebermacht der
Guiſen gegenuͤberſtand! Sufanng weinte beim
Abſchied ihres Freundes bittere Thränen und
ſein Verluſt erſchien ihr anfänglich um ſo un-
erſetzlicher, Da er das einzige junge Weſen auf
ihkem väterlichen Schloß und der einzige Ee-
faͤhrte ihrer Kinderſpiele geweſen war! Sie
fuͤhlte ſich bei ihren Vergnügungen wieder ſo
verlaſſen und einfam, denn wenn die Mutter
nicht grade bei Laune war, hatte fie niemand
al8 eine unfreundliche Gouvernantin, die ſie im
Schloßhof herumjagen und mit dem Ball wer-
fen durfte. In der erſten Zeit fragte ſie jeden
Reifenden, der die Burg Lepeh betrat, ob er
ihr keine Nachricht von Freund Theodor bringe!
Keiner aber wollte dieſen Theodor kennen oder
etwas von ihm gehört haben. Regelmäßige
Poſtverbindungen oder gar Eiſenbahnen, wie
heutzutage, gab es damals in Frankreich noch
nicht. Wer einem fernen Freund etwas mitzu-
theilen hatte, mußte einen eigenen Boten ab-
ſenden, zunial in der Zeit, von der wir hier
ſprechen. Der Krieg hatte alle Verbindungen
abgebrochen und das Reifen unſicher gemacht.
Deßhalb hörte Suſanna jahrelang nichts mehr
von d’Aubigne und gewöhnte ſich nach und
nach an ſeine Entfernung. Sie wurde allmä-
lich größer und ernſter; und endlich erſchien ihr
der Vorfall am Ufer der Saone und d Au-
bianés Aufenthalt im Schloß Lepeh nur noch
wie ein holder Kindestraum, deſſen man ſich
manchmal gern erinnert, ohne dabei etwas an-
deres zu denken, alg daß man eben ſchon als
Kind feine Freuden und Leiden hat, über die
das reifere Alter lächelt. Ging es dem fer-
nen d Aubigns auch ſo? Daß er oft mit herz-
innigem Dank- an ſeine kleine Lebensretterin
zurückdachte, dürfen wir bei ſeiner edlen Ge-
finnung wohl vorausſetzen; ob er aber den er-
ſten Blick, der ihn ſo magnetiſch in die Freu-
den des Dafeins zurückgezaubert und den er in
Suſanna's Nähe nie verſtanden hätte, jetzt,
fern von ihr, zu deuten wußte — das koͤnnen
wir erſt im weitern Verlauf unſerer Erzählung

ſehen.
4,

Der Bearner, welcher ſchon als Prinz
und naͤchmals als König Heinrich IV. von
Fraͤnkreich der Schutzherr aller Hülflofen und
der Liebling aller Frauen mar, ftammt aus
dem alten Geſchlecht vder Bourbon, das als
Ahnhetrn Robert, Grafen zu Clermont, Dden
fünften Sohn des heilgen Ludwig nennt und
alſo einen Nebenzweig des Hauſes Valois hil-
det. Vrinz Heintich von Bearn, Sohn des
Herzogs Anton von Mendöme und der helden-
müthigen Johanna d Albret Königin von Na-
yarra, führte auf ſeinem Schitd das Waypen
Frankreichs, denn er war Prätentent des Thre-
ne8 und nach dem Abſterben der Palois ftel
die franzöſiſche Krone als rechtmäßiges, Erbe
ihm zu; obgleich er ſie ſpaͤter nach Heinrichs
Il Lod, wie uns die Geſchichtſchreiber erzäh-
len, durch einen langjährigen und blutigen Bür-
gerkrieg erſtreiten mußte, daß er lieber darauf
derzichtet hätte, wäre es nicht ſeine Pflicht ge-
weſen, das vom Vaͤrtethaß unterwühlte und
dulch die Herrſchſucht des hohen Adels zerſtü-
ckelte Land wieder unter einem Haupte zu
vereinen und fo Frankreich in ſeinem ganzen
Umfang für den Ruhm ſpäterer Größe zu er-
Halten. In der Zeit, von der hier die Rede
iſt, konnte aber der junge Prinz kaum eine
fchwaͤche Ahnung haben von dieſer ſeiner künf-
tgen höhen Miffton; und ſeine kühnſten Hoff-
nungen reichten nicht weiter als zum Beſitz der
Koͤnigokrone des winzig kleinen Kavarra, ſei-
nes muͤtterlichen Erötheils. König Karl IX.
von Valois und Heinrich Herzog von Anjou,
ſein Nachfolger! waren nämlich noch friſch und
geſund, ſo daß deten ſpäteres Abſterben ohne
Hinterlaffung von Leibeserben nicht vorauszu-
ſehen war.

Ehe wir in der Erzählung fortfahren kön-
nen, müffen wir hier einen Blick in die Ver-
gangenheit voranſenden. Heinrich d Albret Kö-
nig von Navarra und Großbater des Prinzen
von Bearn, war bei deſſen Gehurt noch am
Leben, und wir finden in den alten Urkunden
einige recht unterhaltende Züge ſeiner ritterlichen
Eigenthümlichkeiten verzeichnet, welche hier als
Grundlage zur Charakteriſtik unſeres Prinzen
Erwaͤhnung verdienen.

Das Wappen von Nabarta beſtand aus
zwei Kühen in einem ovalen Schild; deßwegen
nannten die Spaͤnier Navarras König d Albret
zum Spott nur den Kuhhirten; und als ihm in
fruͤherer Zeit feine Gattin Margret ſtatt eines
zehofften Sohnes eine Tochter, nämlich Johanna,
die Mutter unſeres Prinzen, geboren hatte,
riefen ſte ſcherzweiſe: „mwelch ein Wunder! eine
Kuh gebärt ein Lamm? Dieſer Scherz hatte
damals fürchterliche Folgen gehabt, denn es war
daruͤber zum Krieg zwiſchen Navarra und Frank-
reich gefommen; und d Albret Hatte ſein gan-
zes Koͤnigreich an Spanien abtreten müſſen,
bis auf die kleine Provinz Bearn, die ſie ihm,
ohne einen Kampf mit Frankreich anzufangen,
nicht nehmen Fonnten, weil ſte unter der Oser-
hoheit der franzoͤſtſchen Krone ſtand. Von der
nebermacht befiegt, hatte d Albret ſich in dies
Schickfal ergeben und ſeither ſich mit der Hoff-
nung getröftet, ſeine Tochter Johanna werde
ihm einen Enkel ſchenken, der beſtimmt fei, die
Schmach ſeines Haufes zu rächen. Acht Mo-
nate nach der Vermaͤhlung Iohanna’8 mit An-
ton, Herzog von Vendame, machte er ſein Te-
ftament, verftegelte e8 und ſprach zu ſeiner
Tochter; /Dies erhältſt Du, wenn das, wa8
Du unter dem Herzen trägſt, ein Knabe ifl,
und D mir ihn fingend gebärft.“ Die helden-
muͤthige Sohanna, welche den Kummer ihres
Bater8 wohl Fannte, betete um Srfüllung die-
ſes Wunſches zum Himnmel; und alg Vaͤter
5Albhret fie naͤch einenı Monat wieder beſuchte,
fang fie eben ein Lied in der Bearner Sprache
und hielt ihm den kaum geborenen Prinzen
Heinrich von Bearn entgegen, Das Knäblein
war gegen den gewoͤhnlichen Verlauf der Na-
{ur laͤchelnd zur Welt gefommen, worüber ſein
Großvater eine fo ungewöhnliche Freude hatte,
daß er der Tochter fogleich fein Teſtament als
Vermächtniß für den Prinzen übergab, den
kleinen Heinrich in ſeine Arme ſchloß und vor
Entzücken ausrief: „Sehet da, mein Schaaf
hat mir einen Löwen geboren! “ Dann trug
er den Neugeborenen {n ſein Gemach, rieb
deſſen zarte Lippen mit Knoblauch ein und ließ
iom einige Tropfen aus feinem Mundbecher
eingießen, damit er ein recht ſtarkes und männ-
lichts Temperament bekomme! Daß Heinrich
von Brarn grade aus dieſem Grund ſpaͤter
der liebenswördige/ große Charakter geworden
fei, wagen wir nicht zu behaupten; gewiß aber
ift, daß jetzt noch im ſüdlichen Frankreich ein
Bauernſprüchwort von jedem niedertraͤchtigen
Feigling fagt: er ſei in den Windeln nicht mit
Knoͤblauch zerieben und nicht in des Groß-
daters güldenem Mundbecher getauft worden!

v'Albret beſaß neben dieſen ritterlichen Ei-
zenthümlichkeiten auch eine tiefe Kenntniß bes
menfchlichen Herzens. Wohl wiſſend, daß in
einem weichen verzärtellen Leib gewöhnlich auch
eine allzuweiche, ſchwache Seele wohnt, gab er
durchaus nicht zu, feinen Enkel ſo zu erziehen,
wie die meiſten vornehmen Herren der dama-
ligen Zeit ihre Kinder erziehen ließen! Der
fleine Heinrich wurde Mit einer Hofmeiſterin
auf das Schloß Eoaraſſe geſendet, welches in
den Gebirgen von Bearn auf hohen Felfen
fiegt, umgeben von Malerifhen Thälern und
waͤldigen Bergſchluchten. Unbekannt mit feinem
Stand verlebte er hier feine erſte Kindheit, ge-
nährt, gekleidet und unterhalten wie ein ge-
woͤhnliches Bürgerkind. Baarfuß lief er wie
die Schaͤferknaben der Umgegend bergauf und

bergab und wurde dabet ein rothwangiger,
munteret Junge. Fremd blieben ihm die ſchäd-
lichen Berzärtelungen, welche den Leib frühzei-
tig zur Arbeit untauglich machen; ſremd die
fehlimme Einwirkung der Schmeichelei, die im
Kind eher eitle Sinbildung als den Keim äch-
ter Großmuth erweckt! Dagegen fand ſein em-
pfängliches Herz in den Eindrücken der roman-
tiſchen Gegend und in den erſten Lehren der
klugen Hofmeiſterin reichliche Nahrung und er
athmete ſchon mit ſeinem erſten Erwachen den
Sinn für das Hohe und Edle ein fo daß alles
den artigen und wohlgeſtalteten Knaben an-
ſtaunte, al8 ſeine Eltern nach dem Tod des
Großvaters ihn wieder an den Hof braͤchten.

(Fortſetzung folgt)

Vermiſchtes.

— MWeihnacht8feft, das frdh-
lichfte Feſt in England, ift diesmal ſehr ſtill
abgelaufen. Möglich, vaß die Induftrie-Aus-
ſtelung zu viel Fröhlichkeit confumirt hat, o
daß für die „Merry Chriſtmas“ mwenig Geld
und wenig Humor (bei denjenigen Volksklaſſen
wenigſtens, die ſich zuweilen noch erinnern
müffen, daß die Pfunde aus Schillingen und
dieſe aug Bence beſtehen) übrig blieb. Indefſen
klingt in jedem Chriſtfeſt immerhin noch ein
gutes Theil des „luſtigen“ Alt Englande durch;
zwar fehlen Deutſchlands gemüthliche Taͤnnen-
bäumchen mit romantifcken Soloflittern und
tauben Nüſſen, es fehlt auch meiſt der
weiße, ſternglitzernde Schneeteppich, weldhen
daheim bei ung doch gewöhnlich die Engel dem
nahenden Chriſtkindlein auf den Weg zu brei-
ten pflegen; aber dafür Fommt zur Chriſtmas-
zeit die ganze, ſonſt im Treiben des Werkeltags-
Lebens latente Gemüthlichkeit des Engländers
zum Borfchein, Christmas-time macht den
Engländer aufgeräumt, witzig gaftftel —- lie-
benowuͤrdig mit einem Wort, und e& ſcheint,
al8 übe der audy von der rauchgeſchwärzten
Decke der ärmſten Hütte herabhängende Miſtel-
zweig (mistle-toe) ſeine alte, vielleicht noch
aus den Zeiten der Druiden bewahrte Zauber-
kraft aus! Sie werden wahrſcheinlich die anz -
dern guten Eigenſchaften dieſes myſtiſchen Zweig-
leins Fennen. So verleiht er unter andern das
Recht, junge Damen, mit denen man in Ge-
fellſchaft zufällig unter denſelden zu ſtehen kommt,
zu küſfen. Auch die engliſche Küche hat für
dieſe Zeit gewiſſe altrehrwürdige Traditionen
Gewahrt, weiche nicht leicht verletzt werden und
die den modernen Menſchen mitunter mehr an-
heimeln, al8 dies fonft zuweilen die Natur
ſolcher Traditionen zu ſein pflegt.

Auf dem Tiſch des Aermern, wenigex Be-
mittelten darf an dieſem Tag die fette Nork-
fhire Gans und der nationale Plum oder Vork-
fhire- Vudding, dick mit Roſtnen geſpickt und
mit einem grünen Stechpalmzweige geſchmückt,
nicht fehlen. Porter, Ale und Gin Graͤnnt-
wein) werden in reichlichem Maße genoſſen, ja,
ich habe geſehen, daß der letztere über den Pud-


der Hauswirth eines meiner Bekannten dem
letztern ſchon am frühen Margen, vor dem
Thee, ein Glas dieſes Gin offerirte. Qer Ve-
mitteitere, Vornehmere ißt an dieſem Tage in
Geſellſchaft ſeiner Familie und ſeiner Freunde
einen welſchen Hahn, daneben noch erklecklich
fettes Roaſt⸗Beef und ſonſtige Fleiſcharten.
Sie Straßen find ftille, wie gewöhnlich an
engliſchen Sonntagen; der Engländer zieht ſich
gern mit ſeiner Fröhlichkeit in das Innere
feines Hauſes und ſeiner Gemächer zurück;
dort aber iſt alles Ein Herz und Eine Seele.

Verantwortlicher Redacteur: A, Ktecher

Druck und Verlag von G. Reich ard.
 
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