Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
wegen einer neuen Zeitſchrift über Natur-


tionäre und Mitaͤrbeiter aufzufuͤchen 20. In
Hannover ſeien ſie mit politiſchen Männern,
u A Dr. Gehring zuſammengtkommen,
und haͤtten ſich disputirt. Dieſer habe nur
Freihandel und keinen Communismus ge-
wolli! Einen Paß ins Ausland habe er
genommen, weil er nach London wollte, um
über die Ausſtellung zu ſchreiben! Auch
habe er keine Vaßkarte ins Inland bekom-
men können, und ein vollſtändiger Paß ins
Inland würde ihn von vornherein als ver-
daͤchtig bezeichnet haben! Die Polizei ſelbſt
werde ihm bezeugen, daß er im Arbeiter-
bildungsverein nicht von Communismus
geſprochen habe. Wenn auch Bundesglieder
hingegangen ſeien, ſo wäre dieſes doch ge-
gen den Plan des Bundes geweſen. —
Der Präſident macht ihn darauf aufmerk-
fam, daß er, laut Protocoll des Polizei-
directors Schultz/ in Sachſen aufgenommen,
geſtanden Habe, daß der Communismus in
Deutſchland am verbreiteiſten ſei! — Der
Angeklagte will nur geſagt haben am Rhein
würde der Communismus den beſten Boden
finden, weil dort die induſtriellen Verhält-
niſſe denen in Frankreich und England am
aͤhnlichſten ſeien. Das Protoeoll des Poli-
zeidirectors Schultz erklaͤrt er als erpreßt.
Angeblich bloß gefandt, um freie Ausliefe-
rung von Sachſen zu ermitteln, habe er
ihn mit einer kurzen Unterbrechung von
Morgens 6 bis Abends 8 Uhr drei Tage
lang inquirirt; feine Rückbringung an den
Rhein an Geſtändniſſe, namenttich des drit-
ten Mitgliedes der Centralbehörde geknüpft.
So habe er die Rückführung zwei Monate
verzoͤgert und die Unterſuchung mehrmals
erneuert, mit dem Bemerken, daß die No-
tizen keinen Stoff der Unterſuchung bilden
follten. Erſt nachdem er bei der ſächſiſchen
Regierung den beſtimmten Antrag geftellt
habe, entweder dort vor Gericht geſtellt oder
ausgeliefert zu werden, habe man Anſtalten
zur Zurückbringung getroffen; vorher ihn
aͤber noch auf's Stadkgericht geführt, wo er
das Protocall unterzeichnen mußte, um end-
lich fortzukommen! — Oberprocurator von
Seckendorf: Von hier aus blieb kein Schritt
ungeſchehen, die Auslieferung zu beſchleuni-
gen. — Bürgers : Wohl möglich. Aber was
von hier aus gefhah, ging nach Berlin
und nicht nach Sachſen! Saͤchſiſche Beam-
ten verficherten , daß ich nur auf Aufforde-
rung Preußens in Sachſen aſſervirt werde.
Aehnlich ſpricht ſich das offizielle ſaͤchſ. Blatt
aus. Proc. Sandt verlieſt eine Abänderung
im Protoeoll, die man auf ſein Verlangen
vorgenommen habe, — Der Präſident be-
merkt, Bürgers habe ſich in Sachſen ver-
gangen und ſei darauf verhaftet worden,
das habe die Auslieferung erſchwert. —
Angeklagter: Dem fet nicht fo, er ſei ver-
haftet worden auf eine Mittheilung der
Kölniſchen Zeitung“, daß man ihn in Köln
feſtnehmen wollte, aber nicht fand! Man
habe gleich durch den Telegraphen nach
Preußen um Verhaltungsmaßregeln berich-
tet/ und hätte ſomit der ſofortigen Auslie-
ferung ſchwerlich eiwas entgegengeſtanden.
— Yuf das Bemerken des Präftdenten, daß
es ein gewöhnliches Veriheidigungsmittel
fet, einen verſtorbenen Beamten zu verdäch-
tigen, bemerkt er daß ihim Poltzeidirector
Schuls nicht mehr gegenüber geſtellt wer-
den koͤnne. ; }

Feuilleton.

Ein nioderner Gladiator.
Ein überſpannter Engländer war, wie das


gereiſt, um den berühmten Matador El Chie-
lanero zu fehen, der dort mehrere Vorſtellun-
gen geben follte. Der Chielanero erkrankte
aber, und die angekündigten Stiergefechte fan-
den nicht Statt. Den Engländer plagt die
Langeweile; er verläßt in Begleitung eines
Führers die Stadt und begibt ſich nach der
eine halbe Meile davon om Ufer des Meeres
liegenden Weide, wo die Stiere, die mit dem
Chiclanero kämpfen follten, ruhig graſen Hier
angelangt, zieht er trotz aller Warnung des
Führers ein rothes Tuch hervor und hält e8
den Stieren vor, um ſie zu reizen! Die Thiere
nehmen augenblicklich die Herausforderung an
und ſprangen im Galopp auf ihren Gegner zu.
Dieſer aber, der während deſſen wohl zur Be-
ſinnung gekommen ſein mochte, wacht Reißaus;
die Thiere hinter ihm her! Da bleibt dem Eng-
länder kein anderer Ausweg, als ſich in das
Meer zu ſtürzen und ſich durch Schwimmen
zu retten. Es wird ihm aber eiskalt, wmic er
ſieht, daß einige der gehörnten Ritter auch
felbſt im Waſſer von der Verfolgung nicht
ablaffen, ſondern ihm nachſchwimmen! Glück-
licher Weiſe verläßt ihn die den Engländern
angeborne Gemüthsruhe nicht: er taucht unter,
ſchwimmt auf das Land zu und erreicht einen
etwas rechts liegenden, aus dem Meere her-
vorragenden ſpitzen Felſen, den er erklimmt.
Als die Stiere ihn dort gewaͤhren, eilen ſſie
auf ihn zu! Sie konnten aber den Felfen nicht
hinan klettern und kehrten auf das Land zurück,
verblieben jedoch am Ufer, bis es anfing dun-
kel zu werden! Der Führer war während deſſen
nach der Stadt geeilt, um den Engländer mit
Dieſer hat ſich nun
in Folge des unfreiwilligen Baͤdes eine ſtarke
Erkältung zugezogen.

Anna Sibylla Muünch.
Ein Fraueubiid aus Gothe's Zugendeeit
Gortſetzung)

Neben dem humoriſtiſchen Redner Erespel
machte Freund Horn, gewöhnlich jeiner Klein-
heit wegen Hörnchen genaunt, die luſtige Per-
fon, der waͤhrend er ſich ſelbſt preiszugeben
ſchien, um ſe mehr berechtigt ſchien, andern ei-
nes zu verſetzen! Ein ſtehender Witz war die
Beziehung ‚auf feine FErummen Beine, doch bil-
Dete er ſich viel auf feine wicken Waven ein.
Da ‚er ein ſehr guter Zänzer mar und aͤls
ſolcher viel gefucht murde, bebauptete er, es
fet eine, Eigenheit der Frauenzimmer, daß fie
immer krumme Beine auf dem Plane fehen
wollen. Seine Heiterkeit war unverwüſtlich,
ſeine Laune und Witz zur Belebung und Er-
gößung der Gefellſchaft unerſchoͤpflich, wo es
denn freilich nicht immer.. ohne Verdruß abging,
da ‚er manchmal die Grenze Überfchritt. Auch
durch launige Gedichte fuchte er den heitern
Kreis zu erfreuen, mwie er denn einmal einen
bei einer großen Schlittenfahrt vorgefommenen
lächerlichen Zufall in der Art der Zachariä’lschen
und Löwenfchen komiſchen Heldengedichte dar-
ſtellten Daß auch Goethe felbft es nicht an
launigen oft muthwilligen Scherzen und Ne-
fereien fehlen ließ, dürfen wir wohl anneh-
men, um fo ‚ eher, al8 er in foldjen Ausbrü-
chen neckifcher Luft ein Gegenmittel gegen
neue leidenſchaftliche Verwicklungen fehen mochte,
die er möglichſt zu meiden fuchte,

Nachdem ihm nun auf dieſe Weiſe Sommer
und Herbſt unter maͤnchen öffentlichen Aus-
flügen vorübergegangen, veranlaßte die Ver-


ber vollzogen wurde manche Feſtlichkeiten, die


der heißgeliebten Cornelia nicht heiter zu ftim-
men vermochten. Wintergefellfchaften, ver-


den indeſſen ihren Fortgang gehabt haben, ohne
daß Goethe dadurch ſeiner Verſtimmung ent-
riſſen worden wäre, wenn auch in einzelnen
Augenblicken ſein fliegender Humor durchge-
brochen ſein wird! Erſt am Ende des Jahres
fühlte er fich durch die Nachricht von der bal-
digen Vermählung von Maximiliane Ia Roche
mit dem Frankfurter Kaufmann Brentano von
neuem gehoben. „Aufs neue Jahr,“ fehreibt .
er Betti SJacobi, „haben ſich die Ausfichten
für mich recht raritätenkaſtenmäßig aufgepußt*)
Max Ia Roche heirathet hierher. Ihr Künfe
tiger ſcheint ein Mann zu fein, mit dem zu
leben ift, Und alfo heifa! wieder die Anzahl
der braven Geſchöpfe vermehrt, die nichts we-
niger als getſtig find, wie Sie freilich ver-
mnthen müſſen.“ Jetzt, fährt er fort, ſuche
er nur mit ſolchen heiter geſelligen, natürlich
angenehmen Weſen das Leben zu genießen und
er habe wirklich ſchon in Gefahr geſtanden, ſich
zu verlieben.

Die Ankunft Brentano's mit der Neuver-
mählten und ihrer Mutter zu Frankfurt am
15. Januar gab zu manchen Feſtlichkeiten Ver-
anlaſſung, an denen ſich Goethe gern betheiligte.
Er ſchreibt am Anfang Februar: „Oieſe dritt-
halb Wochen her iſt geſchwärmt worden, und
nun ſind wir ſo zufrieden und glücklich als8
man ſein kann. Wir, ſag' ich, denn ſeit dem
fünfzehnten Januar iſt keine Branche meiner
Exiſtenz einfam. Und das Schicffal, mit dem
ich mich herum gebiſſen habe fo oft, wird jetzt
höflich betitelt das ſchöne, weiſe Schickfal; denn
gewiß, das iſt die erſte Gabe ſeit e8 mir meine
Schweſter nahınr, die das Anſehen eines Aequi— *
valents hat. Die Max iſt noch immer der
Engel, der mit den fimpelften und wertheſten
Eigenſchaften alle Herzen an ſich zieht, und
vas Gefühl, das ich für ſte habe, mworin ir
Mann eine Urfache zur Eiferſucht finden wird,
macht nun das Glück meines Lebens“ Man
ſteht wie bedeutend ſich das Gefuͤhl für Marxi-
miliane Brentand in kurzer Zeit geſteisert
hat!

Kaum waren die Feſtlichkeiten im Brentano-
ſchen Hauſe vorüber und Sophie Ia Roche ab-
gereiſt, als Maximiliane ſich im dunkeln Hand-
jungoͤhauſe unglücklich zu finden begann, wodurch
Goethe, der Zeuge ihrer ſich täglich ſteigernden
Unzufriedenhlit war und umfonſt die Freundin
zu tröſten verſuchte, ſelbſt ſehr verſtimmt ward-
fo daß er in dem Gedanken, welche Wonne
ihm ſelbſt eine Verbindung mit der unglückli-
chen jungen Frau gebracht haben würde, uͤnd
in der Ueberzeugung, ihm fet keine wahre
Befriedigung ſeines Herzens beftimmt, von
einem gewaltigen Lebenouͤberdruſſe befallen wurde,
von dem er ſich aber durch die raſch hingewor-
fene Dichtung des „Werxther“ (im Februar
und März 1774) befreite,*) Mit dem bes
ginnenden Frühlinge fuͤhlte er ſich wohlgemuther
und heiterer geſtimmt als je: eine grenzenloſe
Dichtungs und Schaffüngskraft war in ihm
erwacht, die ihm nicht zu ſelten zu eigner Qual
gereichte! Die Farce gegen Wieland und der
Prolog auf Baͤhrdt erfchienen ; auch bildeten
ſich Vater Brey“ und der Brolog zum Pup-
penſpiel.“

Die ſchöne Jahreszeit verſammelte bald wie-
der die fröhliche Geſellſchaft, deren abgegangene
Mitglieder durch andere erſetzt werden mochten,
zu fröhlichen Landz oder Waſſerfahrten! Viel-
leicht trat damals Goetheis Straßburger Freund,
Heinrich Leopold Wagner, zur Gefellſchaft;
wenigſtens war er ohne Zweifel ſchon im An-
fange des Jahres 1775 in Frankfurt, obgleich
er erſt am 21. September 1776 alg Adpocat

*) Der Vergleich mit dem Schönenraritatenkaften
iſt dem Dichter fehr gebräuchlich. Val. Bv. 109,
den Brief an Engelbach bei ShHöll; S. 47 und
den erflen Brief an Betti Facobt, auch Lenz bei
Stober S. 66. * f

2 8 meine „Studien zu Goethe's Werken.“
AA * *

S
 
Annotationen