wünſchte ihm Glück dazu, und Schimmel-
pfenning reiſte ab. Nicht ohne Entrüßung
erfuhr Becker am 23. März, daß Schim:
melpfenning bei ſeinen Beſtrébuͤngen ſeinen
Lamen mißbrauchte. Er war nämlich bei
Dr. Lucius in Braunſchweig geweſen, und
hatte demſelben die Sache ſo dargeſtellt,
als ginge ſie von Becker aus, Lucius aber
traute ihm nicht, und kam beſonders zu
dem Zweck nach Köln um ſich bei Becker
zu erkundigen. In ähnlicher Weiſe habe
Schimmelpfenning in Köln den Ramen Raͤ—
veaurs und im Norden ſenen Waldecks
mißbraucht, Lucius war nocdh bei Beder,
als Schimmelpfenning zurückkehrte, und eg
fam zu Erklarungen. Becker reiſte bei der
Kammereröffunng in Hannover auf Sinlas
‘ dung des Dr. Gehring dorthin, weil man
einen allgemeinen Demokratencongreß be-
rathen woͤllte, und kam hier mit Dr. Men-
ſching zuſammen. Die Verhaftung des Noth-
jung faͤnd ſtatt, und in Folge davon auch
bei ihm Hausſuchung und Velhaftung. Bon
wem er die Anſprache, die er zur Einſicht
erbielt, empfing, will er nicht fagen, da er
doch wieder jemand nennen müffe, der au-
ßer dem Bereiche der preußiſchen Gens-
darmerie wäre. Die Sigung wird ge-
ſchloſſen.
Feuilleton.
Die Spiele des Königs Renatus.
Bekanntlich wurde Louis Napoleon bei ſei-
ner Reiſe durch Süd-Frankreich in Aix mit
Venatus Spielen empfangen, die der dortigen
Feierlichkeit einen höchſt bizarren Auſtrich ga-
ben. Dieſe Spiele ſollten nach der Abſicht
ihres Stifter8, des Königs Renatus von An-
jou, der ſie 1461 einführte, durch Darſtellung
von Seenen aus dem Alten und Neuen Teſta?
ment, den Sieg des Ehriſtenthums über das
Heidenthum verſinnbildlichen. Engel und Teu-
fel, Biſchöfe und heidniſche Könige in den ſelt-
ſamſten Larven und Coſtümen tummeln ſich
dabei herum fechten miteinander oder tanzen
auch zuſammen unter dem Schall der Pfeife
und des Tambourins. Das Feſt ſchließt mit
einem nächtlichen Umzug unter Faͤckelbeleuch-
tung durch die Stadt: „La marche du guet“
genannt, der den außerordentlichſten Eindruck
machen ſoll. Dieſe Spiele ſtanden von jeher
in der Provenee, beſonders unter dem Land-
volk, in großem Anſehen und man hat es dort
nicht vergeſſen, deß e8 nach der Revolution
unter dem erſten Conſul bei Gelegenheit der
Wiederherſtellung des katholiſchen Cultus im
Jahte 1803 war, wo ſie wieder aufgeführt
wurden, daß es ſpäter wieder bei der Anwe-
ſenheit der Prinzeſſin Pauline, Schweſter des
Kaiſers, geſchah und daß ſie noch im vorigeu
Jahr unter einem neuen Napoleon mit beſoͤn—
derem Luxus gefeiert werden konnten. Beim
erſten Kanonenſchuß, der die Ankunft des Prin-
zen verkündete, ſtuͤrzten ſich nun alle dieſe ſelt-
ſamen Masken, Köntg, Biſchöfe, Ritter, Engel,
Dämonen, Muſikanten dem Wagen entgegen
und erfüllten, unter die übrige Menge gemiſcht,
die Luft mit ihrem Pfeifen und Lärmen und
ihren ſonſtigen Kundgebungen! Recht comiſch
ſoll es ſich ausgenommen haben, einen König
Herodes oder einen der vielen Teufel! Vive
VEmpereur! rufen zu hören. Den Abend fand
dann der Maskenzug durch die Stadt in aller
Ordnung und Form ſtatt.
Anna Sibylla Münch.
Ein Franenbild aus Göthe's Jugendzeit
(Fortfeßung.)
Goethe wußte wohl, daß er ſeiner Geſell-
ſchaft nur durch einen tragiſchen Ausgang der
Heſchichte genügen und ſte durch Clavigo's
Zod allein mit diefem ſchwankenden Charakter
ausſoͤhnen fönne, Der bei aller Gutmuͤthigkeit
und Liebe, durch das Streben nach Ruhm und
Macht, zur Treuloſigkeit gegen die Geliebte
verleitet wird; aber auch dieſes Streben würde
nicht im Stande fein, ihn zum Verraͤthe an
ſeiner Liebe hinzureißen, wenn nicht ein klar
verſtändiger Freund ihm zur Seite ftände, der
nur von der einen Leidenſchaft durchgluͤht ift,
ſeinen Clavigo zu den höchften Ehrenſtuͤfen
und Würden gelangen zu fehen, der aber für
ſeinen Mangel an der ſchönſten menſchlichen
Tugend, an reiner Frauenliebe, dadurch auf
das empfindlichfte geftraft wird, daß er feine
Hoffnung auf Clavigo ein ſchmähliches Enve
nehmen ſteht! Damit mußte der Dichter, wie
ſehr er ſich auch fonft an Beaumarchais hält,
aus welchem er fogar die dramatiſch wirkfamen
Darſtellungen wörtlich herübergenommen hat,
dem Stücke einen eigenen Schluß geben, fo
daß der dichteriſche Clavigo viele Jahre lang
auf der deutſchen Bühne ftarb,*) waͤhrend der
wirkliche Goethes Stück noch zwelunddreißig
Jaͤhre überlebte, wie auch Marie Louiſe Caron
de Beaumarchais nicht aus Gram über den
Berräther ihrer Liebe farb, ſondern ſich {n
Paris, wohin ſie mit dem Bruder zurückkehrte,
verheirathete. Clavigo ward ſeines Amtes entz
ſetzt und floh, um ſich der Verhaftung zu ent-
zZiehen, zu den Kapuzinern, aber baͤld duͤrfte
er ſich wieder hervorwagen, und ſchon im
Jahre 1773 — die Geſchichte mit Beaumar-
chais ſpielt 1764 — ſehen wir ihn mit der
Herausgabe des Mercurio historico y politico
de Madrid beauftragt. . ;
Goethe wußte mit der Vorleſung des auch
durd) die Neuheit des Stoffes anzichenden Stuͤ—
ckes in der traulichen Geſeliſchaft die beſte Wir-
kung hervorzubringen, beſonders aber mußte
Anna, Sibylla Münch, die ihn zur Ausarbei-
tung veranlaßt Hatte, eines ſolchen Erfolges
ſich freuen; e8 war, wie Goethe felbft bemerkt,
alg ob ſein Verhältniß zu ihr, wie durch eine
geiſtige Nachkommenſchaft, ſich durch dieſe Dich-
tung enger zuſamwenzöge und befeſtigte. Bei
dem großen Ruhme, welchen der juͤgendliche,
auch durch maͤnche ſonſtige Excentricitäten Auf.
ſehen erregende Dichter ſich in raſchem Flug
erworben haͤtte, konnte die Kunde von ſeinem
neuen Drama und der artigen VBeranlaffung
deſſelben auch in den weiteren Kreiſen Frank-
furts nicht lange verborgen bleiben, und vor
allem mußte das Verhältniß den beiderfeitigen
Eltern zu Ohren kommen, welche mit einer
daͤher zu hoffenden Verbindung nicht unzufrie-
den waren, wenn ſie auch zunächſt die Sache
ihren Gang gehen ließen und der Eniwicklung
dieſer zaͤrtlichen Neigung nicht vorgreifen moch-
ten.
Kurze Zeit nach der Beendigung des „Cla:
vigo in der Nacht vom 28 Mai, einem
Sonnabend, auf den 29., brach in der engen
Judengaſſe deuer aus, das bald auf ſchreckliche
Weiſe überhand nahm, o daß man endlich,
um dem umſichgreifenden Elemente ein Ziel zu
ſetzen, mehre Häuſer niederreißen mußte. „Ich
ſchleppte auch meinen Tropfen Waͤffers zu,“
ſchreibt Goethe an Schönborn, „und die wun-
derbarſten, innigſten, mannigfaltigſten Cmpfin-
dungen haben mir meine Mühe auf der Stelle
belohnt. Ich habe bei dieſer Gelegenheit das
gemeine Volk wieder näher kennen gelernt,
und bin abder= und abermal vergewiſſert wor
den, daß es doch die beſten Menſchen ſind.“*)
In „Wahrheit und Dichtung“ (Bo. 22, 283)
findet ſich ausführlich erzählt, wie er in Schuhen
und ſeidenen Sttümpfen, wie man damals zu
ſpaniſchen Gefandten die Auffuhreng des „Clavigo“
unterfagt‘ Vergl. Meyers, Schröder Il. 47.
*) Vergleichẽ die ähnliche Aeußerung in den
Briefen an Frau von Stein I 131.
gehen gewohnt war, die thätigſte Theilnahme
am Loͤſchen genommen, indem ſein Zureden
bewirfte, daß man bis zum Orte des Feuers
eine Gaſſe bildete, in welcher er die Feucteimer
raſch zu ihrem Ziele befördern half, ohne Ruͤck-
ficht auf ſeine bald durchnaͤßten RKleiver, Da
viele, die von Neugierde zum Brande getrieben
wurden, ihn bei dieſem feuchten Geſchaͤft ſahen,
ſo wurde dieſe für einen Frankfurter von guter
Familie auffallende Betheiligung am Löfchen
bald zu einem allgemeinen Stadtaeſpraͤch.! Auch
in Weimar ſehen mir unſern Dichter flets bez
reit, bei den häufigen Brandfällen thaͤtige Huͤlfe
zu leiften.**)
Auch auf ſeine Geſchäfte als Advoeat mußte
Goethe neben ſeinen dichteriſchen Arbeiten und
den Anſprüchen, welche das gefellſchaftliche Le-
ben an ihn machte, einen Theil ſeiner Zeit
verwenden. So finden wir ihn um dieſe Zeit
als Bevollmächtigten der Erben der Vorſtaͤdt-
und Buͤddeiſchen Handlung, in welcher Eigen-
ſchaft er am 10. Juni und darauf am 18,
Oetober 1774 alle Schuldner derſeiben aufs
fordert, in vierzehn Tagen Zahlung zu leiſten,
mit Androhung! „gegen die Säumigen ernſt-
haftere Maßregeln zu ergreifen.“ Indeſſen ftel
die Hauptarbeit bei dieſen Geſchaͤften dem Bater
und einem gewandten Schreiber zu, Ertterer,
dem ſein Charakter als Rath das öffentliche
Auftreten als Advocat nicht erlaubte, hatte ſchon
früher ſeine eigenen Rechtshändel fowie die fei-
ner näheren Vertrauten in der Weiſe betrieben,
daß die von ihm ausgefertigten Schriften von
einem ordinirten Advocaten gegen eine billige
Vergütung unterzeichnet wurden! Als aber
der Sohn zu praktieiren begann, war ihm dies
eine willkommene Gelegenheit, ſeinen Geſchäfts-
kreis zu erweitern. ;
(Fortfegung folgt.)
BBunte s.
In Turin erſcheint eine militäriſche Zeitung :
„La Bandiera di Savoia‘, welche ſich dadulch aus-
zeichnet, daß ſie der Piemonteſiſchen Bürgerwehr
ſchmeichelt und über das Ausland fehr richtige und
wichtige Nachrichten bringt, . B.: „Eine ſtarke
ruffiihe Flotte bat bei Etfenach Anker geworfen.“
Wem fällt da nicht das alte Lied ein:
„Und irr i nicht, bet meiner Treu,
Flieht bei Prag das fchwarze Meer vorbet.“
Ein Normacher zu Paris, Vital-Moinau, be:
ſcäftigte ſich feit 33 Sahren mit Anfertigung etner
Mafchine, welche die Aufgabe des Perpetuum mo-
bile löſen ſollte. Er litt während diefer langen
Zeit große Eatbehrung und ertrug ruhig die Spot-
tereien feiner Freunde und Bekannten, welcdhe ihn
für verrüct hielten. Am 2. Oftober volNendete er
feine Maſchine und rief aus: „Nun kann ich zu-
frieden flerben; mein Werk iſt beendigt!“ Kurz
nachder ging er aus, fiel aber, Fauınm auf Die
Straße gefommen, vom Schlage getroffen 10dt zur
Erde! Die Yerzte ſchreiben den Schlaganfall ein-
zig dem Uebermaße feiner Freude zU.
Einem neuernannten Bauernfhulzen im
Schwarzwalde, der eben ſein Amt mit den beſten
Vorſätzen puͤnttlicher Dienſtbefliffenheit angetreten
hatte, begegnete es demungeachtet daß er zu einem
amtlichen Schreiben an den Revierförfter, Ddes
Bezirkes, aus purer Unkenntniß der betreffenden
Verordnung, nicht die vorgeſchriebene Papierform
wählte. Der Förſter ſetzte deßhalb bet feiner Ruͤck
äußerung unten hinter die Unterfchrift „& RNevier-
förfter N. N.“ noch die Mahnung: „NB. Künftig-
bin Kanzleiformat!“ Das ließ ſich der gute Schulze
gefagt fein, und gab gleich feinem nädften Schreis
ben. an die beſagte Forſtſtelle in pflichtſchuldiger
Folgeleiſtung, wie er meinte, die Auffchrift: „An
das Föniglidhe Kanzletformat in N. N.“
Nach einer Neberficht im niederrh. Kour. ſind
in Folge der letzten Neberfhwemmung in 11
vom 24 Mai 1776, Riemer IL, 27 98
—2 —
Redigirt unter Verantwortlichkett von G. Keichard.
Druck und Verlag von G. Re ich ard.
pfenning reiſte ab. Nicht ohne Entrüßung
erfuhr Becker am 23. März, daß Schim:
melpfenning bei ſeinen Beſtrébuͤngen ſeinen
Lamen mißbrauchte. Er war nämlich bei
Dr. Lucius in Braunſchweig geweſen, und
hatte demſelben die Sache ſo dargeſtellt,
als ginge ſie von Becker aus, Lucius aber
traute ihm nicht, und kam beſonders zu
dem Zweck nach Köln um ſich bei Becker
zu erkundigen. In ähnlicher Weiſe habe
Schimmelpfenning in Köln den Ramen Raͤ—
veaurs und im Norden ſenen Waldecks
mißbraucht, Lucius war nocdh bei Beder,
als Schimmelpfenning zurückkehrte, und eg
fam zu Erklarungen. Becker reiſte bei der
Kammereröffunng in Hannover auf Sinlas
‘ dung des Dr. Gehring dorthin, weil man
einen allgemeinen Demokratencongreß be-
rathen woͤllte, und kam hier mit Dr. Men-
ſching zuſammen. Die Verhaftung des Noth-
jung faͤnd ſtatt, und in Folge davon auch
bei ihm Hausſuchung und Velhaftung. Bon
wem er die Anſprache, die er zur Einſicht
erbielt, empfing, will er nicht fagen, da er
doch wieder jemand nennen müffe, der au-
ßer dem Bereiche der preußiſchen Gens-
darmerie wäre. Die Sigung wird ge-
ſchloſſen.
Feuilleton.
Die Spiele des Königs Renatus.
Bekanntlich wurde Louis Napoleon bei ſei-
ner Reiſe durch Süd-Frankreich in Aix mit
Venatus Spielen empfangen, die der dortigen
Feierlichkeit einen höchſt bizarren Auſtrich ga-
ben. Dieſe Spiele ſollten nach der Abſicht
ihres Stifter8, des Königs Renatus von An-
jou, der ſie 1461 einführte, durch Darſtellung
von Seenen aus dem Alten und Neuen Teſta?
ment, den Sieg des Ehriſtenthums über das
Heidenthum verſinnbildlichen. Engel und Teu-
fel, Biſchöfe und heidniſche Könige in den ſelt-
ſamſten Larven und Coſtümen tummeln ſich
dabei herum fechten miteinander oder tanzen
auch zuſammen unter dem Schall der Pfeife
und des Tambourins. Das Feſt ſchließt mit
einem nächtlichen Umzug unter Faͤckelbeleuch-
tung durch die Stadt: „La marche du guet“
genannt, der den außerordentlichſten Eindruck
machen ſoll. Dieſe Spiele ſtanden von jeher
in der Provenee, beſonders unter dem Land-
volk, in großem Anſehen und man hat es dort
nicht vergeſſen, deß e8 nach der Revolution
unter dem erſten Conſul bei Gelegenheit der
Wiederherſtellung des katholiſchen Cultus im
Jahte 1803 war, wo ſie wieder aufgeführt
wurden, daß es ſpäter wieder bei der Anwe-
ſenheit der Prinzeſſin Pauline, Schweſter des
Kaiſers, geſchah und daß ſie noch im vorigeu
Jahr unter einem neuen Napoleon mit beſoͤn—
derem Luxus gefeiert werden konnten. Beim
erſten Kanonenſchuß, der die Ankunft des Prin-
zen verkündete, ſtuͤrzten ſich nun alle dieſe ſelt-
ſamen Masken, Köntg, Biſchöfe, Ritter, Engel,
Dämonen, Muſikanten dem Wagen entgegen
und erfüllten, unter die übrige Menge gemiſcht,
die Luft mit ihrem Pfeifen und Lärmen und
ihren ſonſtigen Kundgebungen! Recht comiſch
ſoll es ſich ausgenommen haben, einen König
Herodes oder einen der vielen Teufel! Vive
VEmpereur! rufen zu hören. Den Abend fand
dann der Maskenzug durch die Stadt in aller
Ordnung und Form ſtatt.
Anna Sibylla Münch.
Ein Franenbild aus Göthe's Jugendzeit
(Fortfeßung.)
Goethe wußte wohl, daß er ſeiner Geſell-
ſchaft nur durch einen tragiſchen Ausgang der
Heſchichte genügen und ſte durch Clavigo's
Zod allein mit diefem ſchwankenden Charakter
ausſoͤhnen fönne, Der bei aller Gutmuͤthigkeit
und Liebe, durch das Streben nach Ruhm und
Macht, zur Treuloſigkeit gegen die Geliebte
verleitet wird; aber auch dieſes Streben würde
nicht im Stande fein, ihn zum Verraͤthe an
ſeiner Liebe hinzureißen, wenn nicht ein klar
verſtändiger Freund ihm zur Seite ftände, der
nur von der einen Leidenſchaft durchgluͤht ift,
ſeinen Clavigo zu den höchften Ehrenſtuͤfen
und Würden gelangen zu fehen, der aber für
ſeinen Mangel an der ſchönſten menſchlichen
Tugend, an reiner Frauenliebe, dadurch auf
das empfindlichfte geftraft wird, daß er feine
Hoffnung auf Clavigo ein ſchmähliches Enve
nehmen ſteht! Damit mußte der Dichter, wie
ſehr er ſich auch fonft an Beaumarchais hält,
aus welchem er fogar die dramatiſch wirkfamen
Darſtellungen wörtlich herübergenommen hat,
dem Stücke einen eigenen Schluß geben, fo
daß der dichteriſche Clavigo viele Jahre lang
auf der deutſchen Bühne ftarb,*) waͤhrend der
wirkliche Goethes Stück noch zwelunddreißig
Jaͤhre überlebte, wie auch Marie Louiſe Caron
de Beaumarchais nicht aus Gram über den
Berräther ihrer Liebe farb, ſondern ſich {n
Paris, wohin ſie mit dem Bruder zurückkehrte,
verheirathete. Clavigo ward ſeines Amtes entz
ſetzt und floh, um ſich der Verhaftung zu ent-
zZiehen, zu den Kapuzinern, aber baͤld duͤrfte
er ſich wieder hervorwagen, und ſchon im
Jahre 1773 — die Geſchichte mit Beaumar-
chais ſpielt 1764 — ſehen wir ihn mit der
Herausgabe des Mercurio historico y politico
de Madrid beauftragt. . ;
Goethe wußte mit der Vorleſung des auch
durd) die Neuheit des Stoffes anzichenden Stuͤ—
ckes in der traulichen Geſeliſchaft die beſte Wir-
kung hervorzubringen, beſonders aber mußte
Anna, Sibylla Münch, die ihn zur Ausarbei-
tung veranlaßt Hatte, eines ſolchen Erfolges
ſich freuen; e8 war, wie Goethe felbft bemerkt,
alg ob ſein Verhältniß zu ihr, wie durch eine
geiſtige Nachkommenſchaft, ſich durch dieſe Dich-
tung enger zuſamwenzöge und befeſtigte. Bei
dem großen Ruhme, welchen der juͤgendliche,
auch durch maͤnche ſonſtige Excentricitäten Auf.
ſehen erregende Dichter ſich in raſchem Flug
erworben haͤtte, konnte die Kunde von ſeinem
neuen Drama und der artigen VBeranlaffung
deſſelben auch in den weiteren Kreiſen Frank-
furts nicht lange verborgen bleiben, und vor
allem mußte das Verhältniß den beiderfeitigen
Eltern zu Ohren kommen, welche mit einer
daͤher zu hoffenden Verbindung nicht unzufrie-
den waren, wenn ſie auch zunächſt die Sache
ihren Gang gehen ließen und der Eniwicklung
dieſer zaͤrtlichen Neigung nicht vorgreifen moch-
ten.
Kurze Zeit nach der Beendigung des „Cla:
vigo in der Nacht vom 28 Mai, einem
Sonnabend, auf den 29., brach in der engen
Judengaſſe deuer aus, das bald auf ſchreckliche
Weiſe überhand nahm, o daß man endlich,
um dem umſichgreifenden Elemente ein Ziel zu
ſetzen, mehre Häuſer niederreißen mußte. „Ich
ſchleppte auch meinen Tropfen Waͤffers zu,“
ſchreibt Goethe an Schönborn, „und die wun-
derbarſten, innigſten, mannigfaltigſten Cmpfin-
dungen haben mir meine Mühe auf der Stelle
belohnt. Ich habe bei dieſer Gelegenheit das
gemeine Volk wieder näher kennen gelernt,
und bin abder= und abermal vergewiſſert wor
den, daß es doch die beſten Menſchen ſind.“*)
In „Wahrheit und Dichtung“ (Bo. 22, 283)
findet ſich ausführlich erzählt, wie er in Schuhen
und ſeidenen Sttümpfen, wie man damals zu
ſpaniſchen Gefandten die Auffuhreng des „Clavigo“
unterfagt‘ Vergl. Meyers, Schröder Il. 47.
*) Vergleichẽ die ähnliche Aeußerung in den
Briefen an Frau von Stein I 131.
gehen gewohnt war, die thätigſte Theilnahme
am Loͤſchen genommen, indem ſein Zureden
bewirfte, daß man bis zum Orte des Feuers
eine Gaſſe bildete, in welcher er die Feucteimer
raſch zu ihrem Ziele befördern half, ohne Ruͤck-
ficht auf ſeine bald durchnaͤßten RKleiver, Da
viele, die von Neugierde zum Brande getrieben
wurden, ihn bei dieſem feuchten Geſchaͤft ſahen,
ſo wurde dieſe für einen Frankfurter von guter
Familie auffallende Betheiligung am Löfchen
bald zu einem allgemeinen Stadtaeſpraͤch.! Auch
in Weimar ſehen mir unſern Dichter flets bez
reit, bei den häufigen Brandfällen thaͤtige Huͤlfe
zu leiften.**)
Auch auf ſeine Geſchäfte als Advoeat mußte
Goethe neben ſeinen dichteriſchen Arbeiten und
den Anſprüchen, welche das gefellſchaftliche Le-
ben an ihn machte, einen Theil ſeiner Zeit
verwenden. So finden wir ihn um dieſe Zeit
als Bevollmächtigten der Erben der Vorſtaͤdt-
und Buͤddeiſchen Handlung, in welcher Eigen-
ſchaft er am 10. Juni und darauf am 18,
Oetober 1774 alle Schuldner derſeiben aufs
fordert, in vierzehn Tagen Zahlung zu leiſten,
mit Androhung! „gegen die Säumigen ernſt-
haftere Maßregeln zu ergreifen.“ Indeſſen ftel
die Hauptarbeit bei dieſen Geſchaͤften dem Bater
und einem gewandten Schreiber zu, Ertterer,
dem ſein Charakter als Rath das öffentliche
Auftreten als Advocat nicht erlaubte, hatte ſchon
früher ſeine eigenen Rechtshändel fowie die fei-
ner näheren Vertrauten in der Weiſe betrieben,
daß die von ihm ausgefertigten Schriften von
einem ordinirten Advocaten gegen eine billige
Vergütung unterzeichnet wurden! Als aber
der Sohn zu praktieiren begann, war ihm dies
eine willkommene Gelegenheit, ſeinen Geſchäfts-
kreis zu erweitern. ;
(Fortfegung folgt.)
BBunte s.
In Turin erſcheint eine militäriſche Zeitung :
„La Bandiera di Savoia‘, welche ſich dadulch aus-
zeichnet, daß ſie der Piemonteſiſchen Bürgerwehr
ſchmeichelt und über das Ausland fehr richtige und
wichtige Nachrichten bringt, . B.: „Eine ſtarke
ruffiihe Flotte bat bei Etfenach Anker geworfen.“
Wem fällt da nicht das alte Lied ein:
„Und irr i nicht, bet meiner Treu,
Flieht bei Prag das fchwarze Meer vorbet.“
Ein Normacher zu Paris, Vital-Moinau, be:
ſcäftigte ſich feit 33 Sahren mit Anfertigung etner
Mafchine, welche die Aufgabe des Perpetuum mo-
bile löſen ſollte. Er litt während diefer langen
Zeit große Eatbehrung und ertrug ruhig die Spot-
tereien feiner Freunde und Bekannten, welcdhe ihn
für verrüct hielten. Am 2. Oftober volNendete er
feine Maſchine und rief aus: „Nun kann ich zu-
frieden flerben; mein Werk iſt beendigt!“ Kurz
nachder ging er aus, fiel aber, Fauınm auf Die
Straße gefommen, vom Schlage getroffen 10dt zur
Erde! Die Yerzte ſchreiben den Schlaganfall ein-
zig dem Uebermaße feiner Freude zU.
Einem neuernannten Bauernfhulzen im
Schwarzwalde, der eben ſein Amt mit den beſten
Vorſätzen puͤnttlicher Dienſtbefliffenheit angetreten
hatte, begegnete es demungeachtet daß er zu einem
amtlichen Schreiben an den Revierförfter, Ddes
Bezirkes, aus purer Unkenntniß der betreffenden
Verordnung, nicht die vorgeſchriebene Papierform
wählte. Der Förſter ſetzte deßhalb bet feiner Ruͤck
äußerung unten hinter die Unterfchrift „& RNevier-
förfter N. N.“ noch die Mahnung: „NB. Künftig-
bin Kanzleiformat!“ Das ließ ſich der gute Schulze
gefagt fein, und gab gleich feinem nädften Schreis
ben. an die beſagte Forſtſtelle in pflichtſchuldiger
Folgeleiſtung, wie er meinte, die Auffchrift: „An
das Föniglidhe Kanzletformat in N. N.“
Nach einer Neberficht im niederrh. Kour. ſind
in Folge der letzten Neberfhwemmung in 11
vom 24 Mai 1776, Riemer IL, 27 98
—2 —
Redigirt unter Verantwortlichkett von G. Keichard.
Druck und Verlag von G. Re ich ard.