Goͤthe's Werke. 169
lich hat es ſeine vollkommne objective Richtigkeit und Wahr⸗
heit, daß eine ſolche Liebe, ein ſolches Gefuͤhl wie das der
untergehenden Perſonen, in einer ſolchen Welt und Umgebung,
ohne Rettung untergehen mußten; und es wird der Verſtand
hier auch keinesweges als das Hoͤchſte und Letzte dargeſtellt,
ſondern vielmehr als etwas allein ganz unzulaͤngliches einſeiti—
ges und duͤrftiges. Dasjenige was aber als das Hoͤchſte und
Erſte aufgeſtellt iſt, die Bildung iſt, wie ſehr auch der
Verſtand darin uͤberwiegen mag, doch gewiß auch nicht ohne
das andre Element des empfaͤnglichen Sinns, offenbar alſo als
ein Mittleres zwiſchen Gefuͤhl und Verſtand gemeint, was ſie
beyde umfaßt. Dieſe Bildung nun, ſo wenig ſie ganz voll⸗
ſtaͤndig in dem Werke entwickelt iſt, muß unſtreitig als eine
durchaus kuͤnſtleriſche, ja poetiſche, gedacht werden, und es
ſtreitet wohl nicht mit der Abſicht des Verfaſſers, wenn wir
uns den blos angedeuteten Umriß dieſes Begriffs durch jenen
Geiſt kuͤnſtleriſcher Bildung ergaͤnzen, der auch andre, beſon—
ders aber die antiken Gedichte des Verfaſſers beſeelt. So
kann man dann gewiß nicht behaupten, die Abſicht des Ver—
faſſers ſey gegen die Poeſie gerichtet, ob man gleich allenfalls
ſagen koͤnnte: es ſey ein Roman gegen das Romantiſche, der
uns auf dem Umweg des Modernen (wie durch die Suͤnde
zur Heiligkeit) zum Antiken zuruͤckfuͤhre. Aber es kommt we—
niger darauf an, die ſonderbaren Eigenthuͤmlichkeiten des Werks
unter einer auffallenden Formel zu faſſen, als vielmehr den
eigentlichen Punct des Streits zu treffen, woran es liegt,
daß fo viele vorzliglehe Menfchen, welche die andern Werke
unfers Dichters wohl zu empfinden und zu ſchaͤtzen wiſſen,
ſich von dieſem mit einer bleibenden Abneigung getrennt fuͤh⸗
len. Die Antwort auf dieſe Frage, ſo weit ſie ſich beantwor—
ten laͤßt, ſcheint uns folgende zu ſeyn: Bildung iſt der
Hauptbegriff, wohin alles in dem Werke zielt und wie in einen
Mittelpunct zuſammengeht; dieſer Begriff aber iſt gerade ſo
wie er ſich hier vor uns entfaltet, ein ſehr vielſinniger, vieldeu—
tiger und mißverſtändlicher. Jene innere Bildung, welcher die
lich hat es ſeine vollkommne objective Richtigkeit und Wahr⸗
heit, daß eine ſolche Liebe, ein ſolches Gefuͤhl wie das der
untergehenden Perſonen, in einer ſolchen Welt und Umgebung,
ohne Rettung untergehen mußten; und es wird der Verſtand
hier auch keinesweges als das Hoͤchſte und Letzte dargeſtellt,
ſondern vielmehr als etwas allein ganz unzulaͤngliches einſeiti—
ges und duͤrftiges. Dasjenige was aber als das Hoͤchſte und
Erſte aufgeſtellt iſt, die Bildung iſt, wie ſehr auch der
Verſtand darin uͤberwiegen mag, doch gewiß auch nicht ohne
das andre Element des empfaͤnglichen Sinns, offenbar alſo als
ein Mittleres zwiſchen Gefuͤhl und Verſtand gemeint, was ſie
beyde umfaßt. Dieſe Bildung nun, ſo wenig ſie ganz voll⸗
ſtaͤndig in dem Werke entwickelt iſt, muß unſtreitig als eine
durchaus kuͤnſtleriſche, ja poetiſche, gedacht werden, und es
ſtreitet wohl nicht mit der Abſicht des Verfaſſers, wenn wir
uns den blos angedeuteten Umriß dieſes Begriffs durch jenen
Geiſt kuͤnſtleriſcher Bildung ergaͤnzen, der auch andre, beſon—
ders aber die antiken Gedichte des Verfaſſers beſeelt. So
kann man dann gewiß nicht behaupten, die Abſicht des Ver—
faſſers ſey gegen die Poeſie gerichtet, ob man gleich allenfalls
ſagen koͤnnte: es ſey ein Roman gegen das Romantiſche, der
uns auf dem Umweg des Modernen (wie durch die Suͤnde
zur Heiligkeit) zum Antiken zuruͤckfuͤhre. Aber es kommt we—
niger darauf an, die ſonderbaren Eigenthuͤmlichkeiten des Werks
unter einer auffallenden Formel zu faſſen, als vielmehr den
eigentlichen Punct des Streits zu treffen, woran es liegt,
daß fo viele vorzliglehe Menfchen, welche die andern Werke
unfers Dichters wohl zu empfinden und zu ſchaͤtzen wiſſen,
ſich von dieſem mit einer bleibenden Abneigung getrennt fuͤh⸗
len. Die Antwort auf dieſe Frage, ſo weit ſie ſich beantwor—
ten laͤßt, ſcheint uns folgende zu ſeyn: Bildung iſt der
Hauptbegriff, wohin alles in dem Werke zielt und wie in einen
Mittelpunct zuſammengeht; dieſer Begriff aber iſt gerade ſo
wie er ſich hier vor uns entfaltet, ein ſehr vielſinniger, vieldeu—
tiger und mißverſtändlicher. Jene innere Bildung, welcher die