Goͤthe's Werke. 170
bildung und falfhes Studium nicht leugnen Finnen. — Die
Laft der Selehrfamkeit, noch mehr aber der Glanz fo vieler
mit Recht bewunderten Vorbilder, Konnte das Genie, das
jetzt nur die Wahl hatte zwiſchen roher Formloſigkeit und
gruͤndlichem Studium, wohl blenden, verwirren, mißleiten,
hemmen, aber unterdrücken Fonnte fie es nicht. In Söthe,
dem fi Schiller, obwohl auf einem andern Wege in dies
fer Hinficht anfchloß, fing die Poefie zuerſt wieder an, ihren
Flug freyer und fiegreich zur erheben, und das Studium nicht
mehr als eine Seffel zu fragen, fondern als‘ Werkzeug zu ge,
brauchen. Wenn aber die gefchichtliche Kenntniß der eignen
Kunſt und die reiche Erbſchaft ſo vieler Zeitalter auch dem
Dichter wie jedem andern Kuͤnſtler viele Vortheile gewaͤhren,
fo iſt die Gefahr einzelner, falſcher Verbindungen, Nachbil⸗
dungen und Fehlgriffe auch durch die letzten Fortſchritte noch
nicht ganz beſeitigt, und es muß das vornehmſte Augenmerk
der Kritik ſeyn, die Abwege zu bezeichnen, auf denen das Senie
oft feine fehßnfte Kraft an eine falſch berechnete Abſicht nutz⸗
los verſchwendet. Zwey allgemeine Abwege begleiten dieſe
moderne Poeſie, die unter dem Einfluß der Kritik ſteht, noth⸗
wendig, und werden unfehlbar noch lange fortdauern. Der
erſte iſt der einer bloß grammatiſchen Poeſie, oder Vers:
kunſt, die von Solchen herruͤhrt, welche ſich wegen ihrer
Sprachfünftlichkfeit und Kuͤnſteley fuͤr Dichter halten; und da
ein Extrem immer das entgegengeſetzte herbeyzufuͤhren pflegt,
ſo ſtellen wir daneben den zweyten Abweg der alles Studium
verwerfenden, ja verabſcheuenden, ihr Heil in der rohen Form⸗
loſigkeit ſuchenden, ſeynwollenden Volks; und Naturdichter.
Dieſe Verirrungen werden, wie geſagt, noch lange fortdauern,
es ſind aber doch nur Nebenerſcheinungen zur Seite; die
Poeſie ſelbſt und ihre Geſchichte, wird durch alle Zeiten von
den Kuͤnſtlern gebildet, bey denen Studium und Genie in
Eintracht wirken. WE ΤῊ ἐν
Dieſe kurze Erörterung, glaubten wir, würde unſre ei⸗
gentliche Anſicht von Meiſters Lehrjahren erſt recht deut
bildung und falfhes Studium nicht leugnen Finnen. — Die
Laft der Selehrfamkeit, noch mehr aber der Glanz fo vieler
mit Recht bewunderten Vorbilder, Konnte das Genie, das
jetzt nur die Wahl hatte zwiſchen roher Formloſigkeit und
gruͤndlichem Studium, wohl blenden, verwirren, mißleiten,
hemmen, aber unterdrücken Fonnte fie es nicht. In Söthe,
dem fi Schiller, obwohl auf einem andern Wege in dies
fer Hinficht anfchloß, fing die Poefie zuerſt wieder an, ihren
Flug freyer und fiegreich zur erheben, und das Studium nicht
mehr als eine Seffel zu fragen, fondern als‘ Werkzeug zu ge,
brauchen. Wenn aber die gefchichtliche Kenntniß der eignen
Kunſt und die reiche Erbſchaft ſo vieler Zeitalter auch dem
Dichter wie jedem andern Kuͤnſtler viele Vortheile gewaͤhren,
fo iſt die Gefahr einzelner, falſcher Verbindungen, Nachbil⸗
dungen und Fehlgriffe auch durch die letzten Fortſchritte noch
nicht ganz beſeitigt, und es muß das vornehmſte Augenmerk
der Kritik ſeyn, die Abwege zu bezeichnen, auf denen das Senie
oft feine fehßnfte Kraft an eine falſch berechnete Abſicht nutz⸗
los verſchwendet. Zwey allgemeine Abwege begleiten dieſe
moderne Poeſie, die unter dem Einfluß der Kritik ſteht, noth⸗
wendig, und werden unfehlbar noch lange fortdauern. Der
erſte iſt der einer bloß grammatiſchen Poeſie, oder Vers:
kunſt, die von Solchen herruͤhrt, welche ſich wegen ihrer
Sprachfünftlichkfeit und Kuͤnſteley fuͤr Dichter halten; und da
ein Extrem immer das entgegengeſetzte herbeyzufuͤhren pflegt,
ſo ſtellen wir daneben den zweyten Abweg der alles Studium
verwerfenden, ja verabſcheuenden, ihr Heil in der rohen Form⸗
loſigkeit ſuchenden, ſeynwollenden Volks; und Naturdichter.
Dieſe Verirrungen werden, wie geſagt, noch lange fortdauern,
es ſind aber doch nur Nebenerſcheinungen zur Seite; die
Poeſie ſelbſt und ihre Geſchichte, wird durch alle Zeiten von
den Kuͤnſtlern gebildet, bey denen Studium und Genie in
Eintracht wirken. WE ΤῊ ἐν
Dieſe kurze Erörterung, glaubten wir, würde unſre ei⸗
gentliche Anſicht von Meiſters Lehrjahren erſt recht deut