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Heidelberger Jahrbücher der Literatur — 27,2.1834

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No. 75
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https://doi.org/10.11588/diglit.37274#0576
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1188

Ritgen, Baustiicke einer Vorschule

seinen Wirkungen als vorhanden an, aber wir erkennen es darin
blos als Kraft und nicht als das, was wir sind, wir haben keine
Anschauung von unserra Wesen. Wir behalten also in Beziehung
anf das Wesen unseres Selbst keine andere Erkenntnifs übrig,
als die, welche uns in Beziehung zur Gottheit als dem Urselbst
auch einzig übrig bleibt, nämlich, nach dem Ausdruck des Verfs.,
eine unendliche Sehnsucht, in welcher aber dennoch ein Abglanz
göttlicher Seligkeit schimmert, ähnlich wie wir selbst in unserem
Leibe sein Ebenbild darstellen.
3) Es ist nach dem Bisherigen unstatthaft, von einem Er-
kranken des Selbst zu sprechen. Doch beruht der Vorwurf, den
man hierin dem Verf. machen kann, mehr auf einer blofsen Ka-
liophonie des Ausdrucks. Was er im Grunde darunter versteht,
nämlich ein gradweises Abnehmen der centralen Kraft des Selbstes,
ist Thatsache und aufser Zweifel. Dieses Verlieren des Selbstes
äufsert sich in den Seelenkrankheiten namentlich als Verlust der
Willkühr, der freien Aufmerksamkeit und Selbstbeherrschung, als
Verschwinden der moralischen Empfindungen gegen Eltern, Ge-
schwister, Freunde, Vorgesetzte u. s. w. Da wir aber das Selbst
als eine überirdische Wesenheit keinen Gradunterschieden unter-
worfen denken können, so darf seine Abnahme nicht als eine Ver-
minderung, sondern nur als ein weiteres Hinausrücken aus der
Sphäre unseres irdischen Lebens angesehen werden, seine Zu-
nahme aber als ein tieferes Hineinrücken in dieselbe. Ein Zu-
stand, worin das Selbst ganz aus der Sphäre unsers Lebens ent-
schwunden wäre und wo also die Vielheit der untergeordneten
Geistes- und Leibeskräfte, verlassen vom centralisirenden Princip,
unter einander ihr verworrenes Spiel triebe, wäre der höchste
Grad des Wahnsinns und der Krankheit zugleich. Wie erklärt
aber der Verf. das Phänomen , dafs zuweilen in Krankheiten
(welche doch auf einer Verminderung des Selbstes beruhen) das
Selbst erst recht anfängt hervorzuglänzen, und dafs in hundert
Fällen der Mensch erst dann anfängt sich als Geist zu fühlen,
wenn seine körperlichen Kräfte gebrochen sind? Und umgekehrt,
dafs Blödsinnige, deren Selbst fast auf 0 vermindert ist, dem-
ohnerachtet in bester Gesundheit ein langes Leben hinbringen?
Nach seiner Ansicht vom Selbst als einer Kraft, welche einer
Verminderung fähig ist, bleiben dies unauflösliche Räthsel, nicht
aher wenn man sich das Unsterbliche unveränderlich denkt und
es betrachtet gleich einem nur tiefer in unser Leben hinein oder
weiter heraus rückenden Körper. Wir möchten dann jenes Phä
 
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