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Heidelberger Jahrbücher der Literatur — 28,1.1835

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No. 35
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https://doi.org/10.11588/diglit.37276#0561
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YVilda, das Gildcinvescn im Mittelalter.

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der Abschaum der Menschheit war, und wo der ritterliche Adel
herabgekommen war bis auf Strafsenranb und Mord und selbst
bis zum Feilbieten seines ächten edlen Blutes, auf das doch der
Adel von je noch etwas zu halten pflegte, wenn er jedes Gut
seiner Seele und seines Körpers längst Preis gegeben, die, sagen
wir, in ihren ehrbaren Genossenschaften eine zwar derbe, aber
durchaus tüchtige Moral retteten, und durch die Festigkeit, mit
der sie im Staate und den bevorzugten Kasten des Staates gegen-
über standen , allein das völlige Versinken der Sitten aufhielten
und ein neues Geschlecht in den Vorgrund der Geschichte scho-
ben, unter dem sich neue Kräfte langsam zu neuen Entwicklun-
gen zeitigen konnten. Nicht allein die Sitten rettete diese durch
ihre Verbindungen grofse und ehrfurchtgebietende Corporation,
auch alles was sonst im Volk kräftig und regsam hält, nahm sie
in ihre Pflege, da es anderswo unterging. Die Volksfreude und
Volkslust zog mit der ächten Frömmigkeit zugleich in diese
Klassen ein. In allen gebildeten Ständen hört man im i4ten und
i5ten Jahrhundert nichts, als Lamentationen, als Jammer und
Elend, aber unter dem Bürgerstande weilt da jener Jubel und
jene Lust, die die niederen Stände nie ganz verlieren, und macht
sich in tausend Volks- und Zunftfesten öffentlich Bahn, und er-
hält eine Freude am Leben, die wir heute nicht mehr dem
Schatten nach kennen, erhält diese Freude eben durch deren
stete Erneuerung und Auffrischung vermittelst der einfachen und
darum nie ermüdenden Lustbarkeiten eben dieser vielen und man-
nichfachen Genossenschaften, während bei uns die blofse eintö-
nige Gleichförmigkeit den Ouell so vieler öffentlichen Freuden
verstopft hat. Als es noch Zünfte im alten Ansehn gab, hatte
der Handwerksmann noch etwas mehr, als den Reichthum, worauf
er stolz seyn, worin er eine Ehre setzen konnte, etwas, was
nicht, wie der Reichthum, vom Zufall und Glück abhing: er
hatte seine Gilde, deren Mitgliedschaft er Ministern und Fürsten
antragen durfte, in die einzutreten er einst den Adel zwang, in
die einzutreten noch im vorigen Jahrhunderte von Beamten und
Gelehrten nicht verschmäht ward. Ais es noch Zünfte im alten
Ansehn gab, nahm sich der Bürgerstand der Literatur an, die
der Adel und der Clerus aufgegeben hatte; er gründete litera-
rische, poetische Gilden neben seinen gewerblichen; und er
pflegte mit einer Ausdauer und mit einer Selbstvergniiglichkeit
die überkommene Kunst des Meistergesangs, dafs Jahrhunderte
vorbeigingen, ohne dafs die so ehrenwerthe Sitte erlöschen wollte»
 
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