Kant’s Werke von Hartenstein.
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Entdeckung gemacht haben, dass der menschliche Kopf eigentlich
eine Trommel sei, die nur darum klingt, weil sie leer ist. Ich
sehe demnach nichts Besseres für mich, als die Methode der Aerzte
nachzuahmen, welche glauben, ihrem Patienten sehr viel genutzt
zu haben, wenn sie seiner Krankheit einen Namen geben, und ent-
werfe eine kleine Onomastik der Gebrechen des Kopfes, von der
Lähmung desselben an in der Blödsinnigkeit bis zu dessen
Verzuckungen in der Tollheit; aber um diese eckelhaften Krank-
heiten in ihrer allmähligen Abstammung zu erkennen, finde ich
nöthig, zum voraus die milderen Grade derselben von der Dumm-
köpfigkeit an bis zur Narrheit zu erläutern, weil diese Eigen-
schaften im bürgerlichen Verhältnisse gangbarer sind und dennoch
zu den ersteren führen.« Besonders wichtig für unsere Zeit und
die in ihr herrschenden Anschauungen des Materialismus ist Kant’s
Andeutung über die verschiedenen Racen der Menschen
zur Ankündigung der Vorlesungen der physischen Geographie im
Sommerhalbjahre 1775. Refer. führt die Stelle im zweiten Bande
dieser Sammlung S. 440 an: »Die in der Natur eines organischen
Körpers (Gewächses oder Thieres) liegenden Gründe einer bestimm-
ten Auswickelung heissen, wenn diese Auswickelung besondere Theile
betrifft, Keime; betrifft sie aber nur die Grösse oder das Verhalt-
niss der Theile unter einander, so nenne ich sie natürliche An-
lagen. In den Vögeln von derselben Art, die doch in verschiede-
nen Klimaten leben sollen, liegen Keime zur Auswickelung einer
neuen Schicht Federn, wenn sie im kalten Klima leben, die aber
zurückgehalten werden, wenn sie sich im gemässigten aufhalten
sollen. Weil in einem kalten Lande das Waizenkorn mehr gegen
feuchte Kälte geschützt werden muss, als in einem trockenen oder
warmen, so liegt in ihm eine vorher bestimmte Fähigkeit oder
natürliche Anlage, nach und nach eine dickere Haut hervorzubrin-
gen. Diese Vorsorge der Natur, ihr Geschöpf durch versteckte
innere Vorkehrungen auf allerlei künftige Umstände auszurüsten,
damit es sich erhalte und der Verschiedenheit des Klima oder des
Bodens angemessen sei, ist bewundernswürdig und bringt bei der
Wanderung und Verpflanzung der Thiere und Gewächse, dem Scheine
nach, neue Arten hervor, welche nichts Anderes, als Abartungen
und Racen von derselben Gattung sind, deren Keime und natür-
liche Anlagen sich nur gelegentlich in langen Zeitläuften auf ver-
schiedene Weise entwickelt haben. Der Zufall oder allge-
meine mechanische Gesetze können solche Zusammenpassun-
gen nicht hervorbringen. Daher müssen wir dergleichen gelegent-
liche Auswickelungen als vorgebildet ansehen. Allein selbst da, wo
sich nichts Zweckmässiges zeigt, ist das blosse Vermögen, seinen
besondern angenommenen Charakter fortzupflanzen, schon Beweises
genug, dass dazu ein besonderer Keim oder natürliche Anlage in
dem organischen Geschöpf anzutreffen gewesen. Denn äussere Dinge
können wohl Gelegenheits- aber nicht hervorbringende Ursachen
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Entdeckung gemacht haben, dass der menschliche Kopf eigentlich
eine Trommel sei, die nur darum klingt, weil sie leer ist. Ich
sehe demnach nichts Besseres für mich, als die Methode der Aerzte
nachzuahmen, welche glauben, ihrem Patienten sehr viel genutzt
zu haben, wenn sie seiner Krankheit einen Namen geben, und ent-
werfe eine kleine Onomastik der Gebrechen des Kopfes, von der
Lähmung desselben an in der Blödsinnigkeit bis zu dessen
Verzuckungen in der Tollheit; aber um diese eckelhaften Krank-
heiten in ihrer allmähligen Abstammung zu erkennen, finde ich
nöthig, zum voraus die milderen Grade derselben von der Dumm-
köpfigkeit an bis zur Narrheit zu erläutern, weil diese Eigen-
schaften im bürgerlichen Verhältnisse gangbarer sind und dennoch
zu den ersteren führen.« Besonders wichtig für unsere Zeit und
die in ihr herrschenden Anschauungen des Materialismus ist Kant’s
Andeutung über die verschiedenen Racen der Menschen
zur Ankündigung der Vorlesungen der physischen Geographie im
Sommerhalbjahre 1775. Refer. führt die Stelle im zweiten Bande
dieser Sammlung S. 440 an: »Die in der Natur eines organischen
Körpers (Gewächses oder Thieres) liegenden Gründe einer bestimm-
ten Auswickelung heissen, wenn diese Auswickelung besondere Theile
betrifft, Keime; betrifft sie aber nur die Grösse oder das Verhalt-
niss der Theile unter einander, so nenne ich sie natürliche An-
lagen. In den Vögeln von derselben Art, die doch in verschiede-
nen Klimaten leben sollen, liegen Keime zur Auswickelung einer
neuen Schicht Federn, wenn sie im kalten Klima leben, die aber
zurückgehalten werden, wenn sie sich im gemässigten aufhalten
sollen. Weil in einem kalten Lande das Waizenkorn mehr gegen
feuchte Kälte geschützt werden muss, als in einem trockenen oder
warmen, so liegt in ihm eine vorher bestimmte Fähigkeit oder
natürliche Anlage, nach und nach eine dickere Haut hervorzubrin-
gen. Diese Vorsorge der Natur, ihr Geschöpf durch versteckte
innere Vorkehrungen auf allerlei künftige Umstände auszurüsten,
damit es sich erhalte und der Verschiedenheit des Klima oder des
Bodens angemessen sei, ist bewundernswürdig und bringt bei der
Wanderung und Verpflanzung der Thiere und Gewächse, dem Scheine
nach, neue Arten hervor, welche nichts Anderes, als Abartungen
und Racen von derselben Gattung sind, deren Keime und natür-
liche Anlagen sich nur gelegentlich in langen Zeitläuften auf ver-
schiedene Weise entwickelt haben. Der Zufall oder allge-
meine mechanische Gesetze können solche Zusammenpassun-
gen nicht hervorbringen. Daher müssen wir dergleichen gelegent-
liche Auswickelungen als vorgebildet ansehen. Allein selbst da, wo
sich nichts Zweckmässiges zeigt, ist das blosse Vermögen, seinen
besondern angenommenen Charakter fortzupflanzen, schon Beweises
genug, dass dazu ein besonderer Keim oder natürliche Anlage in
dem organischen Geschöpf anzutreffen gewesen. Denn äussere Dinge
können wohl Gelegenheits- aber nicht hervorbringende Ursachen