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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

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Wille, Jakob: Pfalzgräfin Elisabeth Charlotte, Herzogin von Orléans
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https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0234
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J. Wille

Mitglied des französischen Königshauses, in der damals ersten Gesell-
schaft Europas, gelebt hat, eine echte Deutsche, „une Allemande au
dernier point“, wie Saint Simon sie genannt hat, geblieben ist, deutsch
in der Sprache, deren Klang sie selten vernahm, deutsch in allen An-
schauungen des Lebens, in Sitten und Gewohnheiten, im Denken und
Fühlen, in Ehrbarkeit, Sittenreinheit und Tugend, und das zu einer
Zeit, als Christian Thomasius in seiner berühmten Schrift „Von der
Nachahmung der Franzosen“ seinen Deutschen einen moralischen Spiegel
vorhielt! Sie hat ihr deutsches Wesen gerade da am treuesten bewahrt,
wo es am meisten in Gefahr war, so treu, dass heute Liselotte, die
Herzogin von Orleans und Mutter des Regenten, nicht der französischen,
sondern der deutschen Culturgeschichte angehört, dass die Erzeugnisse
ihres fröhlich sprudelnden Geistes neben den Briefen Luthers zu Denk-
malen unserer Sprache gehören, an denen kein deutscher Forscher, welcher
den Spuren der Vorzeit folgt, vorüber gehen kann. Für uns aber ist
das Charakterbild dieser Frau noch von ganz besonderem Wert, denn
es steht unter den Flammenzeichen des Heidelberger Schlosses: Seit
den Tagen, als mit Friedrich V. die Pfalz nach Böhmen zog, war sie die
erste Prinzessin, die auf dem Schlosse das Licht der Welt erblickt hat,
zu einer Zeit, als man kurz zuvor zu Nürnberg dem grossen west-
fälischen Friedenswerke, die letzten Siegel angehangen hatte. Man
konnte dieses heitere Pfälzerkind als den Friedensengel betrachten, der
nach dreissigjährigem Elend in die Pfalz wieder eingezogen war, und
doch hat das Schicksal, auch in ihre Wiege die Loose des Krieges
gelegt. Sie war auch die letzte Pfalzgräfin, die unser Schloss ihre
Heimath nennen konnte und nach ihr kam auch kein Pfalzgraf mehr.
Es schien mit den gesprengten Türmen und Mauern ihres väterlichen
Schlosses, auch die letzte eigenartige Kraft eines Fürstengeschlechtes
gebrochen zu sein, dessen Vertreter nicht allein Pfalzgrafen bei Rhein
hiessen, sondern auch echte Pfälzer waren, und Liselotte ist der letzte
Ausläufer dieses Geschlechtes, sie ist die eigentliche Originalgestalt des
pfälzischen Hauses und Landes.

Wenn so oft in schönen Sommernächten die schicksalskundige Burg
plötzlich im Feuerscheine sich abhebt vom dunkeln Himmel, wenn die
Gluten, der verlöschenden Brandfackel gleich, in rötlichen Dämpfen ver-
sinken und immer dunkler werdende Schatten über die Flächen hinweg
gleiten, so ist es nicht allein der Wechsel von Tag und Nacht, nicht
allein das Geheimnis architektonischer Formen und Linien, das sich uns
hier reiner als bei des Tages Sonnenlicht offenbart — es ist die elementare
 
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