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Rosalien und Pas qua Rosa

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welche sich in der Anwendung mannichfarbiger Blumen statt der klassischen
Bosen kundgiebt, kennzeichnet den normannischen Brauch als eine spä-
tere Umbildung des römischen. Im Ausspinnen dieser Allegorik sehen
wir die weitere Entwicklung fortschreiten. Bald dienen die vielfarbigen
Blumen, „um die Freude und die Verschiedenheit der Sprachen und der
Tugenden zu bezeichnen“. So erläuterte die Ceremonie gegen Ende des
dreizehnten Jahrhunderts ein Bischof von Mende im Languedoc, Guil-
laume Durand (1232—96), der als „Statthalter des Erbes Petri“ lange
Jahre an der römischen Kurie lebte x). Das Glockenläuten während der
Ceremonie, welches an manchen Orten durch Orgelmusik und Posaunen-
stösse verstärkt wurde, bezog derselbe auf das wunderbare „Brausen
vom Himmel, wie eines gewaltigen Windes“, und knüpfte daran die
Deutung: wie ein heftiger Sturm den Staub von der Oberfläche der
Erde aufwirble, so verbanne der heilige Geist aus dem Herzen des Men-
schen alles Irdische1 2). Wir werden sehen, wie die Ceremonie, mit dem
Verlust ihrer klassischen Einfachheit und ihrer das Unbeschreibliche
einzig für das Gefühl andeutenden Symbolik, immer mehr zu einer alle-
gorischen, barocken, im besten Falle verständig sittlich ausgedeuteten
Nachahmung des Pfingstwunders, „wie es wirklich war“, herabsinken
sollte. Die Messvorschrift von Avranches findet sich ähnlich in vielen
französischen Bitualbüchern des Mittelalters3).

Anderswo gesellte sich dazu noch ein deutlicheres Bild der Herab-
kunft des heiligen Geistes: man liess eine mit Blumen bekränzte, weisse
Taube, an Fäden gefesselt, von der Deckenwölbung oder vom Chor herab,
zuweilen durch einen von Bosenkränzen gebildeten Bing herabflattern,
während zugleich der Bosenregen niedersank. Dieses anmutige Schau-
spiel wurde in mehreren Kirchen von Troyes während der Terz des
Pfingsttages bis ins fünfzehnte Jahrhundert aufgeführt4). Die Taube

1) S. Durandus, Rationale divinorum officiorum, Lib. 6, fol. 193 der Ausgabe
von Hagenau 1509. Vergl. Anm. S. 26, 3.

2) .... in nonnullis ecclesiis clanguntur tube, dum sequentia dicitur, Venit
enim Spiritus sanctus in spiritu vehementi. Quia, sicut ventus vehemens proiicit
pulverem a facie terre: sic Spiritus sanctus eicit a corde hominis omnem terreni-
tatem.

3) Martene, Eccl. discipl., p. 543: Id ipsum pluribus in Ritualibus libris prae-
scriptum repperi; sed eo praesertim tempore peragendum, quo in missa canitur
Prosa. Ita in Ordinario Silvanectensi (von Senlis) et in Rituali Turonensi S. Mar-
tini (Tours).

4) Zeugnisse in der Revue des trad. pop. 12 (1897), p. 314. In einem der Be-
richte heisst es: Les enfants de choeur . . . jetaient des fleurs rouges pour simuler
les langues de feu qui etaient descendues sur les Apötres. Ein Schritt weiter zur
Naturwahrheit!
 
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