Joseph von Görres’ Briefe an Achim von Arnim
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werm gute Häuser so schmählich fallen, dann ist das schon etwas. Ich
finde wohl im andern Monath einen Tag Zeit, wo ich Dir mehr und
besser schreiben werde, als auf diesem Fezzen. Halte Dich wohl.
Dein J. Görres.“
Görres gab nun seine Schrift „Europa und die Revolution“ heraus,
deren Einleitung den 1. März 1821 unterschrieben ist. Erst geht eine
allgemeine „Orientirung“ in blühender Sprache voraus, dass man sich
in den grossen Wellen der menschlichen Gesellschaft nach den Stand-
sternen des Himmels zurecht zu finden habe. Auf dies Thema wird
die „Vergangenheit“, dann die „Gegenwart“ betrachtet, und nach dem
Gesetz, dass die künftige Entwickelung nach den von Vergangenheit und
Gegenwart abgegebenen Regeln vor sich gehen werde, die „Zukunft“
geweissagt. Von Frankreich meint Görres, es solle fürohin als Mitte
und Anschliessungspunkt aller politischen Verhältnisse fortbestehen; von
Deutschlands kirchlichen Zuständen, ein schwaches, flaches, theils gut-
müthiges, theils absichtliches Bestreben mit demselben Föderations-
kleister, der die politischen Formen zusammenhalten solle, werde die
Confessionen zusammenpappen.
Jacob Grimm las die Schrift und schrieb am 11. December 1821
an Arnim: „Görres’ letzte Schrift habe ich gelesen, doch weder ordent-
lich noch mit Wohlgefallen, sein Blick ist zu scharf und ausgedehnt, da-
durch verletzt er die Wahrheit und verzerrt den Zusammenhang. Ohne
Noth mischt er Dinge und Worte ein, die ihm die Herzen der Deutschen
abwendig machen müssen, und ich glaube, er hätte sie nicht schreiben
können, wäre er nicht so lange französischer Unterthan gewesen, das
hängt ihm bei aller Geistesfreiheit doch an. Denn was hat dann das
deutsche Volk in den letzten Jahren unwürdiges verbrochen ? Die Vor-
züge unserer Zertheilung in kleine Staaten und die Nachtheile einer
Verschmelzung in einen oder zwei grosse sind uns ja schon lange klar.
Die völlige Unlust der Deutschen zu neuen Umwälzungen sollte nicht
bloss die Regierungen einer thörichten Angst überheben, sondern auch
die Lärmmacher, die immer das jüngste Gericht einbrechen sehen, von
ihrem Irrthum bringen. So etwas lärmmachendes hat Görres bei der
unbezweifelt redlichsten Gesinnung; die durch sein Schicksal entschul-
digte Bitterkeit nicht einmal in Anschlag zu bringen. Ich wiinsche
herzlich, dass es ihm wohlgehe.“
Arnim war gerade zum Reformationsfeste in Wittenberg gewesen,
das nur vier Meilen von Wiepersdorf entfernt ist; er sprach aus dem
Anlass von der schwebenden Kirchenvereinigung und fuhr fort am 22. De-
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werm gute Häuser so schmählich fallen, dann ist das schon etwas. Ich
finde wohl im andern Monath einen Tag Zeit, wo ich Dir mehr und
besser schreiben werde, als auf diesem Fezzen. Halte Dich wohl.
Dein J. Görres.“
Görres gab nun seine Schrift „Europa und die Revolution“ heraus,
deren Einleitung den 1. März 1821 unterschrieben ist. Erst geht eine
allgemeine „Orientirung“ in blühender Sprache voraus, dass man sich
in den grossen Wellen der menschlichen Gesellschaft nach den Stand-
sternen des Himmels zurecht zu finden habe. Auf dies Thema wird
die „Vergangenheit“, dann die „Gegenwart“ betrachtet, und nach dem
Gesetz, dass die künftige Entwickelung nach den von Vergangenheit und
Gegenwart abgegebenen Regeln vor sich gehen werde, die „Zukunft“
geweissagt. Von Frankreich meint Görres, es solle fürohin als Mitte
und Anschliessungspunkt aller politischen Verhältnisse fortbestehen; von
Deutschlands kirchlichen Zuständen, ein schwaches, flaches, theils gut-
müthiges, theils absichtliches Bestreben mit demselben Föderations-
kleister, der die politischen Formen zusammenhalten solle, werde die
Confessionen zusammenpappen.
Jacob Grimm las die Schrift und schrieb am 11. December 1821
an Arnim: „Görres’ letzte Schrift habe ich gelesen, doch weder ordent-
lich noch mit Wohlgefallen, sein Blick ist zu scharf und ausgedehnt, da-
durch verletzt er die Wahrheit und verzerrt den Zusammenhang. Ohne
Noth mischt er Dinge und Worte ein, die ihm die Herzen der Deutschen
abwendig machen müssen, und ich glaube, er hätte sie nicht schreiben
können, wäre er nicht so lange französischer Unterthan gewesen, das
hängt ihm bei aller Geistesfreiheit doch an. Denn was hat dann das
deutsche Volk in den letzten Jahren unwürdiges verbrochen ? Die Vor-
züge unserer Zertheilung in kleine Staaten und die Nachtheile einer
Verschmelzung in einen oder zwei grosse sind uns ja schon lange klar.
Die völlige Unlust der Deutschen zu neuen Umwälzungen sollte nicht
bloss die Regierungen einer thörichten Angst überheben, sondern auch
die Lärmmacher, die immer das jüngste Gericht einbrechen sehen, von
ihrem Irrthum bringen. So etwas lärmmachendes hat Görres bei der
unbezweifelt redlichsten Gesinnung; die durch sein Schicksal entschul-
digte Bitterkeit nicht einmal in Anschlag zu bringen. Ich wiinsche
herzlich, dass es ihm wohlgehe.“
Arnim war gerade zum Reformationsfeste in Wittenberg gewesen,
das nur vier Meilen von Wiepersdorf entfernt ist; er sprach aus dem
Anlass von der schwebenden Kirchenvereinigung und fuhr fort am 22. De-