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Derwein, Herbert; Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Editor]
Neue Heidelberger Jahrbücher: Heidelberg im Vormärz und in der Revolution 1848/49: ein Stück badischer Bürgergeschichte — Heidelberg: Verlag von G. Koester, N.F..1958

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Derwein, Herbert: Heidelberg im Vormärz und in der Revolution 1848/49 - Ein Stück badischer Bürgergeschichte
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Die Reaktion
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https://doi.org/10.11588/diglit.47640#0132
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teilt würde. An die Stelle der ersehnten Freiheit war noch größerer Zwang
getreten, statt des einigen und in Macht selbständigen Vaterlandes hatte
man ein Deutschland, das noch zerrissener und schwächer war als das vor
1848. In dem furchtbaren Schiffbruch aller Hoffnungen klammerten sich
vorübergehend die, denen die Einheit des Reiches auch um einen noch so
hohen Preis nicht zu teuer erkauft schien, an den schwachen Balken der
Union — an den Versuch Friedrich Wilhelms IV., von oben her die deut-
schen Staaten zu einigen. In dem Erfurter Unionsparlament saßen auch
Häusser und Speyerer. Aber auch dieser Versuch scheiterte. Bald wurde der
verhaßte Bundestag, seit der Einsetzung der Provisorischen Zentralgewalt
außer Tätigkeit, wieder einberufen. Das öffentliche Leben, trag und müde
geworden, zog sich in die Grenzen der Kleinstaaten zurück, entleert von
allem, was mitreißt und beschwingt.
Noch die ganzen 1850er Jahre standen im Zeichen der Reaktion, die die
Untertanen zum Gehorsam erziehen will, sie überwacht, bevormundet und
maßregelt, die immer wieder zum Bewußtsein bringt, daß die Revolution
ein Verbrechen war, durch nichts gerechtfertigt und ein schreiender Un-
dank gegen den gütigsten Landesherrn. War es anfangs darum gegangen,
die Radikalen unschädlich zu machen, so ließ nach einigen Jahren, als das
Land längst gezähmt dalag, der Staat auch die Liberalen seine Macht füh-
len. In Heidelberg führte v. Uria, ein fanatischer Reaktionär, von August
1852 bis Ende 1853 als Stadtdirektor ein Pascharegiment, das die Bürger-
schaft erzittern ließ. Besonders hatte er es auf die liberalen Professoren ab-
gesehen. In seine Amtszeit fällt der Hochverratsprozeß gegen Gervinus,
die Entsetzung Kuno Fischers vom Lehramt, die Maßregelung einzelner
Dozenten. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts verlor das reaktionäre
System allmählich viel von seiner Schärfe, so daß sich die Atmosphäre ent-
spannte.
Das Bürgertum, betäubt von dem Sturz in den Abgrund, eingeschüchtert,
ruhebedürftig und von einem übermächtigen Verlangen erfüllt, wieder zu
gesicherten Verhältnissen zu gelangen, schien sich zunächst ganz in den
engsten Kreis persönlichen Lebens einspinnen zu wollen. Man war bis zum
Ekel übersättigt von Politik, mied, an das Geschehene zu rühren, wollte
vergessen und vergessen lassen. Viele verdeckten ihre Unsicherheit und
Angst, noch nachträglich zur Rechenschaft gezogen zu werden, mit einer
betonten Loyalität.
Der Standrechtsbürgermeister Weber erklärte sofort nach seiner Ein-
setzung als oberstes Gesetz für die Stadtverwaltung, versöhnend und ver-
mittelnd zu wirken. Nachdem er schon nach wenigen Wochen sein Ent-
iassungsgesuch eingereicht hatte, wählten im Dezember 1849 der provi-
sorische Gemeinderat und Kleine Bürgerausschuß — sie hatten jetzt zu-

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