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Derwein, Herbert; Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Editor]
Neue Heidelberger Jahrbücher: Heidelberg im Vormärz und in der Revolution 1848/49: ein Stück badischer Bürgergeschichte — Heidelberg: Verlag von G. Koester, N.F..1958

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Derwein, Herbert: Heidelberg im Vormärz und in der Revolution 1848/49 - Ein Stück badischer Bürgergeschichte
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Die Reaktion
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https://doi.org/10.11588/diglit.47640#0133
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sammen die Funktionen des ausgeschalteten Großen Bürgerausschusses —
einmütig zum Ersten Bürgermeister Wilhelm Speyerer. Kein anderer war
nun wie er geeignet, Mittelpunkt der Bürgerschaft zu werden, brauchte er
doch nicht erst neues Vertrauen zu erwerben, nur altes wiederzuerwecken.
Speyerer hat später160 selbst gestanden, daß seine alternden Kräfte begei-
stert wurden von der hohen Aufgabe, wieder Friede und Eintracht in die
Bürgerschaft zurückzuführen. Unter der überlegenen Führung des seltenen
Mannes wurden die Grundlagen für die Sanierung des durch die Revo-
lution zerrütteten Gemeindehaushaltes gelegt, auf denen seine Nachfolger
weiterbauen konnten. So gut es unter der Herrschaft der Reaktion, die
auch die Gemeindeordnung rückwärts revidierte, möglich war, hat Speye-
rer die Selbständigkeit der Gemeinde zu wahren und dadurch das zusam-
mengeschlagene Selbstvertrauen der Bürgerschaft zu stärken gewußt.
Im Frühherbst 1851 durfte die Bürgerschaft zum ersten Male wieder den
Großen Bürgerausschuß und dieser die Bürgermeister wählen. In einer
verehrungsvollen Adresse161 bat die neue Vertretung der Gemeinde in ein-
stimmigem Beschluß Speyerer, sein Amt fortzuführen. Aber dieser lehnte
ab162. Seine Nachfolger suchten im Geiste Speyerers die Gemeindeverwal-
tung zu leiten und standen im Vertrauen der Bürgerschaft. Als im Dezem-
ber 1856 der Buchhändler Wilhelm Hoffmeister zum Ersten Bürgermeister
gewählt wurde, fand er, als ein Liberaler, nicht die Bestätigung der Regie-
rung. Vorübergehend bestand die Gefahr, daß der Stadt ihr Oberhaupt
oktroyiert würde. Die Bürgerschaft gab dazu die Quittung, indem sie 1859
Hoffmeister in den Landtag wählte.
Die wirtschaftlichen Schäden, die die Revolution hervorgerufen hatte,
wurden überraschend schnell überwunden. Alle die Kräfte, die sich nicht
mehr in der Politik auswirken konnten, schienen sich auf das Nächstlie-
gende, Greifbare stürzen zu wollen. Es folgen Jahre, die ausgesprochene
Gründerjahre waren. In dem 6. und 7. Jahrzehnt erstand eine Anzahl
industrieller Unternehmen, kleine ältere wurden schwungvoll weiterge-
trieben. Das schwer darniederliegende Gewerbe erhielt in der Gewerbe-
halle163 eine mächtige Stütze, die hier nach dem Vorbild anderer Städte
noch 1849 ins Leben trat. Sie bot den weniger bemittelten und nicht genü-
gend bekannten Handwerkern ein öffentliches Verkaufslokal. Für nicht
160 H.J. 1851, Nr. 283.
161 H.J. 1851, Nr. 276.
162 Grund der Ablehnung ähnlich dem von 1840. Vgl. H.J. 1851, Nr. 283 u. ebd. 1850,
Nr. 100.
163 Die Gewerbehalle geht zurück auf einen schon vor der Revolution gegründeten Ge-
werbeverein, zu dem Küchler den ersten Anstoß gegeben zu haben scheint (vgl. M.Az.
1846, Nr. 357). Die politisch erregte Zeit nach dem März 1848 ließ zunächst die schon
längst geplante Gewerbehalle nicht Zustandekommen.

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