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Strack, Friedrich [Hrsg.]; Becker-Cantarino, Barbara [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: 200 Jahre Heidelberger Romantik — Berlin, Heidelberg, 51.2007 [erschienen] 2008

DOI Heft:
V: Wissenschaften und Künste
DOI Artikel:
Ziolkowski, Theodore: Historisierung der Wissenschaften im Heidelberger Kreis
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https://doi.org/10.11588/diglit.11459#0490
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Historisierung der Wissenschaften
im Heidelberger Kreis

THEODORE ZIOLKOWSKI

Um 1790 spielte an deutschen Universitäten der historische Sinn kaum eine
Rolle.1 In den juristischen Fakultäten herrschte das Naturrecht, ein rein theo-
retisches Rechtssystem, das mit keinem bestehenden Recht zusammenhängt.
So wurde das Recht immer mehr zu einer rein philosophischen Angelegen-
heit: 1795 veröffentlichte Schelling seine Neue Deduktion des Naturrechts, im
folgenden Jahr erschien Fichtes Grundlage des Naturrechts und 1797 Kants
Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Aus diesem Grund verzweifelte
der junge Heinrich von Kleist 1800 als Student der Jurisprudenz, wie er seiner
Verlobten schrieb: „(N)icht die Rechte will ich studieren, nicht die schwanken-
den ungewissen, zweideutigen Rechte der Vernunft will ich studieren, an die
Rechte meines Herzens will ich mich halten, und ausüben will ich sie, was auch
alle Systeme der Philosophen dagegen einwenden mögen."2

Die Theologie der Aufklärung hatte für die Geschichte nicht viel mehr übrig.
Die sogenannte neologische Theologie des späten 18. Jahrhunderts belächel-
te das theologische Denken der Vergangenheit als unwissend und irrelevant.3
Indem sie irrationale Quellen wie Offenbarung verleugnete und Tradition ver-
achtete, verließ sie sich wie das Naturrecht ausschließlich auf die menschliche
Vernunft. In diesem Sinn schrieb der junge Fichte seinen Versuch einer Critik
aller Offenbarung (1792) und Kant seine Abhandlung über Die Religion inner-
halb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793). Deswegen wendete sich Friedrich
Schleiermacher in der dritten seiner Reden über die Religion (1799) gegen die
rationalistischen Tätigkeitsbesessenen mit ihrer alles zerlegenden Schere, die
den Weg zur ruhigen Anschauung der Welt verstellen.

Fasst man schließlich die philosophischen Hauptwerke der 1780er und
1790er Jahre ins Auge, so sieht es ähnlich aus. Kants Kritiken und Fichtes Grund-
lage der gesamten Wissenschaftslehre (1794) weisen kaum eine historische
Dimension auf.

1 Vgl. Ziolkowski 2004.

2 Brief an Wilhelmine von Zenge, Anfang 1800; Kleist 1961, II: 504.

3 Aner 1929,144-201.
 
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