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Strack, Friedrich [Hrsg.]; Becker-Cantarino, Barbara [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: 200 Jahre Heidelberger Romantik — Berlin, Heidelberg, 51.2007 [erschienen] 2008

DOI Heft:
V: Wissenschaften und Künste
DOI Artikel:
Ziolkowski, Theodore: Historisierung der Wissenschaften im Heidelberger Kreis
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https://doi.org/10.11588/diglit.11459#0491

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Theodore Ziolkowski

Bereits im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts hören wir aber einen
neuen Ton. Hegels Phänomenologie des Geistes (1807) verfolgt die Geschichte
des Geistes durch die verschiedenen Stadien seiner Bildung von den aller-
ersten Anfängen bis in die Gegenwart. Schleiermachers Kurze Darstellung des
theologischen Studiums (1811) - das klassische Werk, das die Grundlage der mo-
dernen Religionswissenschaft bildet - stellt die Historie geradezu in die Mitte
des theologischen Studiums. „Die historische Theologie", heißt es, „ist sonach
der eigentliche Körper des theologischen Studiums, welcher durch die philoso-
phische Theologie mit der eigentlichen Wissenschaft, und durch die praktische
mit dem tätigen christlichen Leben zusammenhängt."4 Bertold Georg Niebuhr
lieferte mit seiner Römischen Geschichte von 1811 das exemplarische Beispiel
einer modernen Historiographie, die dann von Leopold von Ranke zur Schule
der empirischen Geschichte ausgebildet wurde. Mittlerweile begründete Fried-
rich Karl von Savigny mit seiner Geschichte des Römischen Rechts im Mittelal-
ter (1815-1831) und seiner Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft (seit
1815) die Historische Schule der Rechtswissenschaft. Friedrich von der Hagen
erhielt 1810 in Berlin eine (außerordentliche) Professur für deutsche Sprache
und Literatur, wo er neben seinen Editionen und seinem bibliographischen
Grundlagenwerk zur Geschichte der deutschen Dichtung auch die erste ger-
manistische Zeitschrift gründete: Museum für Altdeutsche Literatur und Kunst
(i809ff.)-5

Mindestens drei Gründe lassen sich für diese bekannte Wende benennen,
die um die Jahrhundertwende in Deutschland ein neues Bewusstsein der Ge-
schichte verursachten.6 Die Französische Revolution und deren Folgen er-
schütterten die politischen Fundamente Europas und zwangen denkende Men-
schen, die Voraussetzungen und Prioritäten, die das vorhergehende Jahrhun-
dert dominiert hatten, einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Die Industriel-
le Revolution verursachte zunächst in Berlin eine Reihe von Transformationen
- Industrialisierung, Urbanisierung, Kommerzialisierung -, die die bestehende
Gesellschaft unterminierten und eine neue soziale Mobilität ermöglichte. Und
die durch Kant eingeleitete „Epistemologische Revolution" ließ die gewohnten
Bedeutungssysteme auseinanderfallen, indem sie die Emphase der Philosophie
von der äußeren Realität in das menschliche Bewusstsein mit seinen Katego-
rien verlegte. Die Wirkung dieser drei Revolutionen wurde durch den Schock
der Napoleonischen Kriege und dann 1806 durch den Zerfall des Heiligen Rö-
mischen Reiches Deutscher Nation und durch die deprimierende Niederlage
der Preußen bei Jena-Auerstedt noch weitgehend intensiviert. Zusammen zei-
tigten sie politisch, gesellschaftlich und geistig eine klaffende Diskontinuität in
der Episteme der abendländischen Kultur, deren Wendepunkt Michel Foucault

4 Schleiermacher 1910, nf.

5 Weimar 1989,217-219.

6 Ziolkowski 2004,5-11.
 
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