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Strack, Friedrich [Hrsg.]; Becker-Cantarino, Barbara [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: 200 Jahre Heidelberger Romantik — Berlin, Heidelberg, 51.2007 [erschienen] 2008

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I: Romantische Erfahrung und poetische Innovation
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Strack, Friedrich: Historische und poetische Voraussetzungen der Heidelberger Romantik
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https://doi.org/10.11588/diglit.11459#0042

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Historische und poetische Voraussetzungen
der Heidelberger Romantik

FRIEDRICH STRACK

In einem Aurora-Aufsatz von 1804 nennt Joseph Görres „drei große Revolutio-
nen" die sich „in unseren Tagen" ereignet hätten und die Gegenwart nachhaltig
bestimmten: eine philosophische, eine poetische und eine politische, die „eins
[seien] in ihren Prinzipien, unabhängig von einander, und doch immer parallel
in ihrem Gange, [aber] höchst verschieden in ihren Resultaten".1

Zweifellos bezieht sich Görres mit dieser Unterscheidung auf Friedrich
Schlegels berühmtes Athenäums-Fragment Nr. 216, in dem es heißt: „Die Fran-
zösische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre, und Goethes Meister sind die
größten Tendenzen des Zeitalters"2 So kurios diese Zusammenstellung er-
scheinen mag (Schlegel selbst deutet auf ihre ,Anstößigkeit'): für Görres ist sie
ein Zeichen der Zeit, und sie markiert in wesentlichen Teilen seine weitere -
romantische - Entwicklung. Allerdings treten auch sogleich die Unterschiede
zu Schlegels provozierender Aussage in den Blick: Görres spricht nicht von
konkreten Ereignissen wie Schlegel, von der Französischen Revolution, der
Wissenschaftslehre Fichtes und Goethes Wilhelm Mezsfer-Roman, sondern er
verallgemeinert und ordnet die drei „Revolutionen" in einer neuen Klimax
an: Er nennt zuerst die philosophische und zuletzt die politische Revolution,
während Schlegel die historischen Umwälzungen in der poetischen Revoluti-
on gipfeln lässt und damit die Poesie (in Gestalt von Goethes Roman) zum
Höhepunkt der gegenwärtigen „Tendenzen" erklärt. Görres dagegen sind die
politischen Ereignisse wichtiger als die literarischen und philosophischen, die
er als deren Voraussetzungen betrachtet. Auch in seinen weiteren Ausführun-
gen begnügt sich Görres nicht mit Schlegels fragmentarischen Behauptungen.
Er lässt Philosophie, Poesie und Politik als drei allegorische „Schwestern" auf-
treten, deren Schicksal er in quasi-mythologischer Bildlichkeit breit ausmalt:

Die Philosophie, die rasche, königliche, herrliche Jungfrau, wie sie unter den
Griechen wandelte, das Haupt über den Sternen des Himmels, die Sandalen
nur im Staube der Erde, war, vom Geiste Gottes verlassen, alt und gebrech-

1 Görres 1978,1:113.

2 KFSA 1967, II: 198.
 
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