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Strack, Friedrich [Hrsg.]; Becker-Cantarino, Barbara [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: 200 Jahre Heidelberger Romantik — Berlin, Heidelberg, 51.2007 [erschienen] 2008

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II: Volksdichtung und ihre romantische Poetisierung
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Landfester, Ulrike: Von Hühnerställen und anderen Märchenschlössern
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https://doi.org/10.11588/diglit.11459#0264

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Von Hühnerställen und anderen Märchenschlössern

Die Heidelberger Romantik in Clemens Brentanos
Gockel, Kinkel und Gackeleia (1838)

ULRIKE LANDFESTER

Als Rauhgraf Gockel von Hanau nach seiner Entlassung aus dem Amt des
Hühnerministers am Hof König Eifrasius' in Gelnhausen mit seiner Frau Hinkel
von Hennegau und der Tochter Gackeleia in sein Stammschloss zurückkehrt,
das Generationen zuvor von marodierenden französischen Truppen zerstört
worden ist, findet die Familie eine Ruine vor:

Ihre Wohnung war in einem wüsten Schloß, woran nichts auszusetzen war,
denn es war nichts darin, aber viel einzusetzen, nämlich Thür und Thor
und Fenster. Mit frischer Luft und Sonnenschein und allerlei Wetter war
es wohl ausgerüstet, denn das Dach war eingestürzt und die Treppen und
Decken und Böden waren nachgefolgt. Gras und Kraut und Busch und Baum
wuchsen aus allen Winkeln, und Vögel, vom Zaunkönig bis zum Storch,
nisteten in dem wüsten Haus.1

Angesichts dieses umfassenden Verfalls sieht die Familie sich gezwungen, in
dem „im wunderbaren, kunstreichen, im neben-, durch- und hintereinandri-
gen Stil der Urwelt, Mitwelt und Nachwelt erbauten Hühnerstall" Quartier zu
nehmen, denn ,,[d]er Hühnerstall war der einzige Raum in dem alten Schloße,
der noch bewohnbar unter Dach und Fach stand."2

Die von den Brüdern Jakob und Wilhelm Grimm gesammelten Kinder-
und Hausmärchen, deren erster Band 1812 mit einer Widmung an Brentanos
Schwester Bettine von Arnim erschien und 1837 - im Jahr vor der Publikation
des Gockel-Märchens - mit eben dieser Widmung als Große Ausgabe neu zu er-
scheinen begonnen hatte, dokumentieren mit einer eindrucksvollen Fülle von
Belegstellen, welche Bedeutung dem Motiv des Schlosses im paradigmatischen
deutschen Volksmärchen zukommt. Kaum eines dieser Märchen verzichtet dar-
auf, das Schloss zum Fluchtpunkt seiner Handlung zu machen, oft in Gestalt
des verwunschenen Schlosses, zum Ausgangspunkt der von dem jeweiligen

1 Brentano 1838,1.

2 Ebd.,3f.
 
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