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Heidelberger Tagblatt — 1860 (Juli bis Dezember)

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December
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https://doi.org/10.11588/diglit.2834#0622
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pcbrn in dem großcn Mcchnni'Sinnö cuifrecht
crhült. Sic ivi'sscn, dciß, wcnn nii't Hülfc
dcr Iahrhunderte rtwcis iin Stande scin
könnte, für dic gcinze Menschhrit dic Pa-
rabel dcr Vcrvirlfachiing der Brode zu
verwirklichen, dics die Finanzcn, der Cre-
dit bcwcrksteÜigen würden.

Um seine Bcthciligniig an ver Ver-
bürgniig dcö italienischen Anlehenö zu be-
stiinineii, hättc jeder iialieiil'sche Staat sich
bloß zu bcfragrn, ob dieseö Anlehen ei'nc
solide Opcration sei, welche die Aussicht
auf eincn beträchtli'chcn Gewinn ervffnc.

XH.

Großbritaiiiiien, Nnßland und Frank-
reich haben sich für das Anlchen verbürgt,
welches die Unabhängigkeit dcs Kvnig-
rcichcs Griechcnland gegründet hat. Es
waren da Gefahren zu laufen, an wcl-
chen sich zu betheiligen nicht allen Mäch-
ten ziiqciinikhct werden konnte, und deren
Veranlwortlichkeit bloß einige große Staa-
ten iin Nanicn und zur Ehre der religiö-
scn Gefühle der Völker, wclche sie ver-
traten, auf sich uehmcn durften.

Hcute ist es die ganze Gesellschaft, welche
leidet. Die Herzen sind beengt, die Ar-
beiten, die Hülfsquellen eines Ieden fin-
den sich gefährdet. Man kann daher le-
diglich in Berücksichtigung der niateriellen
Ergrbnisse allein ohne Uebertreibung sageu,
daß Europa ein Intercssc habe, das zur
Pacisicirung von Italien und zur Wieder-
herstelluiig von Ocsterreichs Finanzen be-
sti'ininte Anlchen nicht blos zu vcrbürgcn,
sondrrn aus scinem eigenen Säckel zu be-
zahlen.

Die unuiittelbaren Vortheile, welche al-
len Familien aus der ncucn Situation,
in welche dicsc große Operation den eu-
ropäischen Markt versetzen würde, ent-
ständen, uiüssen nach Milliarden berechnct
werdcn.

Der Verkehr, die grvßen Ulitcrnehinun-
gen und die vssentlichen Anlehen schaffen
unter allen ssändcrn Dande dcr Gegen-
seitigkcit, deren Wichtigkcit mit jedcin Tage
zunl'uinit. Auf allen Puncten des Erd-
balles ernährcn und unterstützcn die In-
dustrieen sich wechselseitig; der Handel,
die Börsen aller Wclttheile sind jvlida-
risch. Der Sturz einer einzigen ist ein
Unglück für alle.

Eiiie Crise in Amerika hat vor 3 Jah-
ren in England und Scholtland die feste-
sten Bankeu und Häuscr zu Falle gebracht
und sich auf allcn Plätzen des Festlandes
fühlbar geniacht. Nuu denn! Diejer rasch
vorübergehcnde Sturin kann nur einc
jchwachc Vorstellung vvn der Stvrung ge-
ben, wclche dcr Zustand der Wicner Fi-
nanzen für den europäischen Markt zur
Folge hat.

xm.

Seit 20 Iahrcn habcn die Budgets von
Oesterreich sich nur durch Ausfälle aus-

Nedaction. Druck und Vcrlag i

geglichcn, wclche dic Negierung nach der
Neihe ini't Hülfc ini Auslandc gemachter
Anlehen gedrckl hat. »

Als dcr Credit dcr Häuser von Frank-
furt, Berli'u, Amsterdani, London uud Pa-
ris Oesterreich nicht mchr zur Verfügung
stand, hat es seine Eisenbahncil, seine
Bergwcrke, seine Waldungen an franzv-
sische Gesettschaften verkauft. Als auch
diese Hülfsquellen verschlungcn waren,
schöpfte es auö beg Kogern seiner Bank,
indcm es dieser verpfändete, was noch
i'rgend zu verpfänden war.

Heutc erreicht die Staatsschuld dic
Summe von 2,500,000,000 Gulben (6
Milliarden 300 Millionen Francs), und
diese Werthe finden auf allen Bvrscn
Deutschlands nur gegen einen Verlust von
mehr als 50 pCt. Absatz.

Sv wie der Mißcredit aufhvrt, kehren
diese Werthe, welche heute in Frankfurt
einen Cours von 49 haben, minbcstens
zum Course von 1858 zurück, wclcher 86
betrug. Dieser Unterschied stellt für Oe-
stcrreich, Deutschland, Holland und Belgien
eine Wertherhöhung von mindestens 2 Mil-
liarden. Nur würde die.Coursbesscrung
sich nicht bloß auf die österreichischen Pa-
piere beschränken, sie würde auch auf die
vffeiitlichen Werkhe Deulschlanbs, Bel-
gicns, Hollands, Rußlands, Frankrerchs
und Englands sich ausdehnen. Die Werth-
erhvhung würde in einem geringeren Ver-
hälinisse stattsinden, aber auf cin sv un-
geheures Capital sich erstrecken, daß sie
auf nicht weni'ger denn fünf biS sechs
MiUi'arde» geschätzt werden kann.

Der^vsterrcichi'iche Staatöschatz schuldet
der Wicner Bank 340 Millionen Gulden
(850 MilO Fr.). Wcnn nun mitlelst ber
Abtretung von Vcnetien die Bank ihre
Zahlungen in Baarem wieder beginnt, so
wird jeder vsterreichische Unterthan, der
ein Bankbillet oder Papiergeld, das gleich-
falls Zwangscvurs hat, besitzt, und so
werden allc diejeiiigen, wclche Ncvenukii,
Nechnungcn, Tratten, Handels-Efseclen,
Hppothekenscheine zu decken haben, ihr
Capital um nahe an 50 pCt. vermchrt
sehen, weil der Wcrth von 1 Fr. 57 C.
auf 2 Fr. 50 C. .steigt. Es sind. noch
Verbesserungeii) die sich nach Milliarden
berechncn, zu erwarten.

Doch das ist nvch nicht Alleö. Die
Neducirung dcs österreichischen effecliven
Armeebestandes, wclchc als Folge der Ab-
tretung von Venetien einlrilt, gestattet
dem Wiener Hvfc, die crdrückende Steucr-
laft zu erleichtern, welche bloß in den
Iahren 1859 und 1860 um 40 Millivncn
Gulden (100 Mi'll. Fr.) gewachsen ist,
also um ein Sechstel der Gesamint-Ein-
nahme des Budgets.

Gegcnwärtig übersteigt die Gründsteuer
i'n Ungarn 32 pCt. dcs Einkvmnicns und
steigt mit den Zusatz-Ccntiiiien auf40 pCt.

Dic Mirthsteuer erreicht in Wien d.en
vrittcn Theil des Miethprciscs. D.'e Fleisch-
steucr, welche svwoh, auf die Landgcmcüi-
den, wie auf dic Siävte sich ersireckt, bi,
bct ein Sechstel des Zuschlags von 18
Millionen Gulden (45 Mill. Fr.) in vcm
Einkouiliien der indirecten Stcuern. Die
Stempel- und die MutationLsteuer gcben
Stvg zu allgeincincr Klage." Durch ein
Hanv,chrciben hat der Kaiser sich genö-
thigt gejehen, zu verordnen, daß vicselben
nur auf die Hälfte des Wcrthes vcr
Grundbesitzungen Anwendung haben sollen.
Der größte Fchler bes Sleuersystems ist
jedoch vie Last, wclche die Erhebungs-
kvsten den Steuerpflichtigen aufbürde».
Diejenigen für die ind.irecten Stcuern ver-
schlingen die Hälfte ber Einnahme.

Wclche Veränderung, weichc Verbesse-
rung in allen Industriezweigen, in allen
Aermögensverhältnisscn tritt mit dcin Tage
ein, wv biescr bleierne Mantel, diese bar-
barische Sequcstrirung, die der Krieg oder
vielmehr die Furcht vvr dem Kriege, und
Oesterreichs Mangel au Crcvit über einen
bcbeutenden Theil beö europäischen Ca-
pitals verhängt hat, verschwindel!

Ni'emand vermag den Aufschwung, den
die sofvrr eintretende Wittigkeit aller Neich-
thümer niid deren Versetzung in Umlauf,
die Nückkchr des Vertraiienö und die Zu-
versicht auf Lie Zukunft der Produciion
uub dem Eigenthume aller Länver Euro-
pa's einflößen werden, zu bcrcchnen.

Dcnn ungeachtet der allgemeinen Flau-
heit, bie sich fnhlbar niacht, darf man doch
auch den Ernft der Lage nicht übertreiben.

Der Punct des eurvpäischen Festlandes,
wo die Menschen in Hitze dcr Vaterlanbs-
liebe vdcr aüs Treue zur Fahne bereit
sind, einander das Lebenölicht auszublasen,
ist klein. Alle ^iationen leben in Friedcn
mit einander und halten einen vernichten-
den Militär-Etat nur auö Furcht vor Ver-
wicklungeii aufrecht, zu benen die Verschlep.
pung der italienischen Krisis führen kann.

Sobalv jeder Grund zu Haß und Streic
zwischcn den Ländern, die burch die Alpen
getrennt werden, verschivundeii ist, ver-
schwinbet auch die Angst Europa's, und
die pvlilische Sicherheit stellt sich ein, wv-
nach es sv lange trachtec; über alle Län-
ber verbrcitct sich der fchvpferische Nieder-
schlag, den Lurgot — als er vvn ber
stetcn Entwicklung der Arbeit sprach, welchc
vurch das Sinkcn des Zinsfußcö hervvr.
gerufen wird — nüt dem Nüderschlage
vergli'ch, der auf Wiesen und Fruchcgefil-
dcn vvn den Flüssen nach Ueberschwcm-
mungcn zurückgelassen wirb. Lebte Turgol
in unserer Zeit, wo die Creditverhällnisse
sich mchr als verhundertfacht haben, wie
würde seine heiße Liebe zur Menschheil bei
dem Anblicke deö aUgcmeinen Wohlstanves,
den dic Beruhigung Italiens zur Folge
haben wird, erglühen! (Forts. folgt.)

son Adolph Emmciling, LcllagS-Buchhandtuug und Buchdruckcrci tn Hctdclbcrg.
 
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