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Heidelberger Zeitung — 1863 (Januar bis Juni)

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Mai
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https://doi.org/10.11588/diglit.2820#0462
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Fürs Erste glaubt die Commission fragen ;n
müffen, „ob es nich! zwcckmäßig wäre, daß
neben der täglichen Beobachlung von Seilen
dcr stänbigen Beamten und Aerzte, welche die
Gefangenen täglich sehen, eben deshalb aber
stch möglicher Weise über die sich langsam stei»
gernden GcisteSkrankheiten täuschen könnten,
eine in größercn Zwischenräumen wiederkch-
rende Beobachtung durch solche Verwaltungs-
beamten und Aerzte, welche der Anstalt nicht
angehören, angeordnet würde." Die Anre«
gung dieser Frage cntspringt unzweifelhaft aus
dem besten Wiüen, aber im Falle der Be-
jahung derselbcn^ wird der gute Erfolg min-
destens sehr probleinatisch genannt werden
müffen. Wer Strafanstaltcn kennt und mit
der Durchsührung der verschicdenen Spsteme
vertraut ist, der wird vor Allem einc einheit-
liche Leitung als Grundbedingung des Gedeihens
der Anstalt verlangen. Dieselbe muß im Jn-
ncrn des ZnstitutS wurzeln, und es müßten
fremde Elcmente von Außcn so selten als mög-
lich daran Theil nehmen, oder beffer ganz da-
von ausgeschloffen bleiben, denn nur bei einer
genauen Kenntniß der Anstalt und aller ihrer
Bcwohner lassen sich stchere Wahrnehmungcn
machen, und zweckmäßige Anordnungen und
Vorkehrungen in vbjectiver und subjectiver
Hinstcht treffen. Diese allgemcinen Grundsätze
geltcn gewiß auch in specieller Beziehung auf
die Bcobachtung der Gefangencn hinstchtlich
der Gcisteskrankheiten. Eben weil diesc Krank-
heiten „sich langsam steigern", so ist die Wahr-
nehmung dcö Beginnens und Fortschreitens
derselben nur denjcnigen mit Zuverläffigkeit
möglich, welche täglich u»d stündlich mit den
Leuten umgehen und sie beokachten müssen,
um ste genau kennen zu lernen, damit sie
beffernd aus dieselben einzuwirken vermögen.
Dieses sind die weltlichen und geistlichen Be-
amten der Anstalt, vorzüglich die Aerzte. Wäre
die oben angcsührte EommissionS-Anstcht die
richtige, so müßten namentlich dic Zrrenan«
stalten nicht von ständigen Sanitätsbeamten,
svndern von ambulatorischen Aerzten geleitet
werden. Diese Maßregel wird aber gewiß
nirqends eingeführt werden, eben weil ste nicht
in pspchologischem Boden ruht und deshalb
eine verkehrte wäre. Setzcn wir den Fall,
ein auswärttger Arzt (von auswärtigen Ver-
waltungsbeamten kann ohnehin sür diese perio-
dischen Wahrnehmungen keine Redc scin) be-
sucht einc Anstalt; noch kennt cr keinen einzi-
gen Gefangenen, deren ctwa 200 in der An-
stalt sein solley. Bci dem ersten Besuch wird
er, unter Besprechung mit den Beamten des
Hauses, kaum sechs, wenn cr recht schnell
durchgeht, vielleicht zwölf Sträflinge sprechen
können. Wie oft muß er nun kommen, bis
er mit allen 200 nur einmal gesprochen hatl
und doch soll er nur „in größercn Zwischen-
räumen" die Anstalt besuchen. Gesetzt äber,
ed beschränke seine Beobachtungen auf Wenige,
etwa auf diejenigen, welchc Anlage zur Gei-
stcskrankheit haben; siier muß ihn denn zuerst
darüber bclehren? er kennt ja Keinen. Na-
türlich der HauSarzt, dcr demnach die Bevb-
achtung der Anlage schon gemacht hat, bcvvr
der Andere dic Anstalt belritt, um Wahrneh-
mungen zu machen. Nein, diesc Maßregel,
abgesihen davon, daß ihrc Einführung den
Beamten deS Hauses unnöthig ihre kostbare
Zeit rauben würde, ist nicht rathsam. Laffe
man die Beamten der Anstalt gewähren! sie
und nur sie allein sind im Vtunde, Anlage,
Beginn und Fortschritt der Geisteskrankheit
zu beobachten, und Simulation vvn Wirklich-
keit mit Sicherheit zu unterfcheiden, denn ihr
eigenes Geschäft ist es, alle Sträflinge ihrcr
Anstalt zu studircn, mit ihnen häufig umzu-
gehen und allc ihre Anlagen und Fähigkeiten,
Affecte und Lcidcnschafteii, mit einem Wort
ihren ganzen Charakter kennen zu lernen, da-
mit sie in den Stand gcsetzt werden, ihre leib-
liche und geistige Gesundheit zu überwachen,
und so viel möglich ihre moralische Befferung
befördern zu helfen. Dies genügt auch be-
züglich der Geisteskrankheiten.

Wiesbaden, 12. Mai. Die Vorlage der
Regierung wegen Bewilligung eines weitern
ZuschuffeS von 3500 fl. für Lie Regierungs-
presse wurde in der heutigen Sißung drr ver-
einigten Ksmmern nach lebhaster Debatte mit

. 23 gegen 15 Stimmen abgelehnt. Zur Mehr-
heit gehörte auch Prinz Nikolaus vvn Naffau.

Berlin, 10. Mai. AuS sehr beachtens-
werther Quelle stammende St. Petersburger
Nachrichten schildern die Stcllung des Fürsten
Gortschakoff als gänzlich unhaltbar gcworden.
Man nennt bereitS alS als seinen eventuellen
Nachfolger entweder den Baron Brunnow in
London oder den Baron Budberg in Paris.
WSHrend jener sich mit Lord Palmerston ziem-
lich leicht verständigcn würde, ist dieser noto-
risch sehr französisch gesinnt, so daß er als
Nachfolger deS Fürsten Gortschakoff sich wohl
noch weit mehr dcn Tuilerien zuneigen würde,
als Fürst Gorlschakoff selbst.

Berli«, 15. Mai. Zn der heutigen Sitzung
des Abgcordnetenhauses war am Ministertisch
Niemand anwesend. Die Gallerien gedrängt
voll. Der Abg. Gneist und Gen, haben den
Antrag eingcbracht, eine Commission zur Vor-
berathung eincr Adreffe an den König'über
die Lage des Landes zu ernennen. Gleichzeitig
hat der Abg. Virchow ben Entwurf für eine
solchc Adreffe eiugebracht. Beide Anträge
werden einer besonderen Commisston von 21
Mitgliedern übergeben. Zur Tagesordnung
steht der Bericht betreffend daS Schreibcn deö
k. Staatsministeriums vom 11. d. M. (Ab,
lehnung der fernern Theilnahme an den Be-
rathungen des AbgeordnetenhauseS). Die Re-
solution, welche die Commission empfiehlt, ist
bereits mitgetheilk. Von Reichensperger (Bek-
kum) wird folgendes Amendement gestellt:

D-S Hau» dcr Abgeordnlteu wolle erktären: 1) d-ß da«
Präsidtum d>« H-use« zum Zwecke der thm obltegcnden
Leitnng der Veehandlungin, sowtc zui Allsrechlhaltung der
Ordnnng tm Hause, auch die Mintstcr tn thren Reten zu
nnterbrechen besugt tst; r) daß dem Präsidtnm ctne Dt»>
cipltnargewatt und tnibesonder« auch da« Rccht, dte Mit-
glteder zur Ordnung jll rusen, odcr thnen da« Wort zu
cnlztehen, den Mtntstl.n gcgenübcr ntchl zustlht. Der Be-
richtcrstatter Wachimuth wnnscht etnstimmige Annahme der
Resolutton. Gnetst: Da« Rccht der Ccnslir über ten
Jnhall einer Redc set dem Präfltcnten von der Geschäst«-
ordnung übertragcn; ob thm dtese« Rccht anch übcr dte
Mtntstcr zustche, set ctne cootiovcrsc Fragc. Zn dem
Schictdrn de« StaatSmintstcriümS sci gesagt, dcr Präsidcnt
habc untcr Bcrusung aus setnc DiScipltnargewalt den Mt-
ntster unterbrochcn; der Präsidcnt habc dagcgcn nur da«
Rccht tn Änspruch genommcn, te» Mtuister zu unterbrcchcn.
Nach der Berfaffung hätten dte Mintstcr da« Recht, jcder»
zeit gchört zn wirdcn; da« könnc aber nur so gcdcutet
wcrdcn, daß dtc Mtntstcr fich innerhalb der Ordnung htcltcu.
». Gottbcrg: Dle Mtntstcr. bcstrttten gar nicht da«
Rccht dc« Piäfldentcn, sie zu unterbrcchen. HGroße Hcitcr-
kett.) Schulzc (Dclthsch): Dcr SkiiegSmtntstcr habe
dadurch, daß cr dtc Worlc tc« Abg. ». Sybcl gerügt, in
da« Amt de« Präfidentcn etngegrtffcn; dcr Präfldent hättc
fich dagcgen vcrwahren müffen, oder cr hättc seine Pfltcht
vcrsäumt. Schon damals, als der Mlnlsterpräfldent seinc
Abwisinhclt damtt entschuldiglc, daß die Rcdncr im Aebcn-
zimmer »crständlich seten, habe e« großc Sensation irrcgt,
daß das Hau« nicht cin ernste« Wort gcsprochcn; jctzt dürsc
man damtt ntcht zögcrn. Graf Schwcrtn: Er sttmmt
für dtc CommisflonSanträge mit dem Bedauern, daß er
übcrhaupt in dtc Lagc versetzt tst, über etnc solche Fragc
in eincm Augcnblick abzustimnien, wo ltefgehendc Confltctc,
auf dcrcn Lösung ganz Europa mtt Spannung ficht, im Lande
bestchcn. Dtescr Confltct muß gelöst wcrden, wenn ntcht
dte hciligsten Gütcr tc« Vatcilandes beschädtgt wiiden
solltcn. Zch hätte gcwünscht, daß dtc Anträgc ohnc Dt«-
cusfion angcnommen worden wären, denn e« tst gcgen dic-
sclbcn ntcht« ctnzuwenden. Mtt der Form, dtc der Präfi-
tent gcwjhlt, ist Redner nlcht linvcistande»; aber sormcll
sct d-r Präfident in seinem Rccht giwiscn. Dic Fragc,
dte Reichcnsperger bedauerlicher Wcisc mtt htnctnzteht, tst
cvntrovcrs und flchcr nicht zweckmäßtg. Er empflchlt etu-
sttmmtgc Annahme dcr CommisflonSanträge. Zn cincr
pcrsönltchen Brmcrkuag Irklärt »on Spbcl, daß- c« aicht
sctne Abflchl g-wescn, mit sltncn Worten, wilchc zu der
Erwiederung dcS Skrtegsmtntstcrs Vcranlaffung gcgcbcn,
etne persönlichc Bcleidtgung auSzusprcchen. Bct der Ab-
stimmung wlrd da« Amcndcmcnt Rcichensperger abgclehnt
und d-r CommissionSantrag mit LS5 gcgcn rv Sltmmen
angenommen. ». Shbel llnd ». Bockum-Dolff« habeu flch
dcr Absitmmung enthalten. Nach dcr Absttmmung bemcrkt
der Präfident: Er werde gletch dcm StaalSmintstcrtnm »ou
dem Beschluß Kenntntß gcbcn. Er schlagc »01, am Schluß
dcr Mttthetlung an taö Mtnkstcrtum zu crktären, daß am
Montag dte nächste Sttzung ftattfindcn und daß da» Mt-
nistertum dazu etngeladcn werdc. ». Forckcnbcck fl-llt
den Antrag, dte Anwesenhett dcs Rrtkgsmtatstcr« in -tner
auf Montag anzuberaumrndcn Sttzung zur Vcrhandlung
über das Militärgesctz zu »erlangcn. Gnetst hält dcn
Antrag de« Abg. Forckcnbeck erst tn dcr folgendea Sttzung
sür gercchtsertigt, wcnn die Lage cbenso ist wtc hcute. Gras
Echwertn schlicßt sich dcm Vorredncr an; dte Abgeord-
Ulten Schulze-Delttzsch und Hennig sür den Antrag Forcken-
beck'«. ». Vtncke: Dem geschlagenen Felnde müffe man
goldene Brücken b-ueu. Er cmpfchle den Vorschlag «e«
Präfidenten. Bet der Absttmmung wtrd der Antrag Forcken-
beck's mit 167 g,g,n 1Z8 Sttmmen angenommen. Schluß
der Sttzung.

Berlin, 15. Mai. Abgeordnetenhaus. Zm
weiiercn Verlaufe der heutigen Sitzung erklärte
sich Graf Schwerin nachdrücklich für den Com-
misstonsantrag, obschon er mit dem Berfahren

des Vicc-Präsidenten, materiell. nicht überein-
stimme, weil die Aeußerung bes Hrn. v. Spbel
sehr hart gcwesen sei; er bedauerte lebhaft,
daß die Regierung die schweren Conflikte noch
vermehre, hielt dafür, daß das Haus sich nur
für ben Antrag der Commifsion entscheiden
könne, und forderte Hr». Reichensperger auf,
das Apiendement (des katholijchen Centrums)
fallen zu laffcn und dic Einmüthigkeit hcrzu-
stellen. Herr v. Spbel bcdauerte persönlich
das durch seine neuliche Aeußerung hervorge-
rufene Mißverständniß; seine Worte seicn nur
politisch geweint, nicht persönlich gegen den
Kriegsminister gerichtct gewesen. Das Rei-
chensperger'sche AmeNdement ward gegen eine
aus den-meisten Katholiken und den Conser»
vativen bestchende Minderheit abgelehnt.

Berlin, 16. Mai. Prinz Wilhelm von
Baden verläßt am Dienstag Berlin und kehrt
nach Karlsruhe zurück. Wie man ersährt,
nimint der Prinz seinc Rcsidenz in Mannheim,
und soll auch dorthin von hier aus das Mo-
biliar geschafft «erdcn.

Berli«, 17. Mai. Jn Folge der Vor-
gänge dcr letzten Woche stnd im Ministerium
Differenzen auSgebrochen. Thatsache ist eS,
daß der Finanzminister seine Entlassung ein-
gereicht hat.

Königsberg, 14. Mai. Der K. H. Z.
wird über das schreckliche Ereigniß in Bre-
dinken aus MenSguth berichtet: „Am 9. Mai
machte ich in Begleitung zweier Kaufleute u.
cines Arztes einen Ausflug nach Bredinken.
Bei unserem Eintreffen daselbst waren socben
noch 95 Mann Militär von der 9. Compagnie
des 43. Regiments aus Lötzen angekommcn.
Wir fanden eine Todtenstille im Dorfe vor.
Als wir dic Stelle, anf welcher die 25 Mann
Soldaten (unter Anführung des Lieutenants
Koffak) auf die Tumultuanten Fcuer gegeben,
besichtigt hatten, begaben wir uns in Beglei-
tung des im nächsten Dorse wohnenden LehrerS,
sowie mchrcrer Dorfbcwohner zur Besichtigung
der im Sarge ruhenden 12 Leichen und der
25 Verwundeten, wovon nach dcm Gutachten
des ArzteS noch 3 dem Tode verfalle» werden.
Erschüttcrnd war der Anblick der Leichen, dercn
Mehrzahl dem weiblichen Geschlcchte angehört,
daruntcr iiiie in gcsegneteii Umstände». Dic
meisten von ihncn hakten Stich- und Schuß-
wunden im Rücken und ,'n der Scite. Bei
einer Fr^au waren zwei Kngeln durch de» Hals
gegangcn. Einem Mannc hatte eine Kugel
dic rechte Wange zerriffen, eine andsre das
Herz durchbohrt. Der Gruudbesitzer Kariot
hat brei Baponnetstiche und cine Kugel durch
die Brust erhaltcn. Auch wurdc ihm der Hirn-
schädel zerschmettcrt. Die Gchirnmaffe fanden
wir noch auf ver Erde. Eine Frau empsing
cinen Baponnetstich, wobei das Baponnet ab-
brach uud dann von ihr selbst aus der Wuudc
gezogen und zur Erdc geschlcndert wurdc.
W(r habe» dic Wunde geschen und wurbe uns
dieS vo» der Frau selbft mitgethcilt. Der
Arzt zweifelt an ihrem Auskoinmcn. Außcr
einem jungcn Manne, der auf der Schwelle
deS Schulhauses niedergestoßen wurde, sayen
wir noch die Leiche einer Frau, der ein Bapon-
netstich unter dem Rückcn hinein durch den
Unterleib in das linke Bein gcdrungen war.
WaS die hier verbreitcte Meinung betrifft, daß
die Bauern aus Feigheit die Weiber voran-
stellten, so ist zu coustaliren, daß die Frauen
das meiste Jntereffe an Erhaltung des Waffers
hatten, indem ste es fortwährcnd zu wirth-
schaftlichen Zweckcn brauchten und deßhalb als
die am meisten Erbittertcn sich in die vorder-
sten Reihen drängte». Auch war den Fraucn
von ihren Männcrn eingeredct, daß preußische
Krieger nicht auf.ihrc Landsleute, am aller-
wenigsten auf Frauen schießen würden. '

Prag, 12. Mai. Fürst Rudol'ph von
Turn unv Taris ist am 27. April durch Spruch
dcs Obergerichts in Prag wegen Preßvergehen
zu einer 14tägigen Gefängnißstrafe verurtheilt
worden.

K r a n k r e i ch.

Paris, 17. Mai. Der „Moniteur" bringt
Berichtc aus Vera-Cruz vom 20. April. Vor
Puebla standen am 12. d. die Sachen gut.
Die Stadt Merida hatte sich für die Franzosen
 
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