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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 27 - Nr. 34 (3. April - 27. April)
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ſo roſig gemalt. Wie ganz anders hingegen erſchien ihr
der häßliche Couſin, der bei ſeinem erſten Erſcheinen auf
ſie einen ſo unangenehmen Eindruck gemacht. Welches
Zartgefühl, welche Beſcheidenheit lag in ſeinem ganzen We-
ſen, welche feine Bildung, welch' vollendeter Charakter
ſprach ſich in ſeinem Herzen gewinnenden Benehmen aus?
Er ſingt wunderhübſch zum Klavier, daß man über ſeiner
Stimme und der tiefen Innigkeit des Vortrages ſein Aeu-
ßeres vergißt. Er ſcheint nur für Emilien zu leben, macht
die ſchmelzendſten Gedichte auf jeden einzelnen ihrer Vor-
züge, er liest ihr vor mit einer Zartheit, die zur Bewun-
derung hinreißt, indeß ihr Bräutigam entweder nach Tiſch
in das Kaffeehaus eilt, oder in den Prater reitet, oder,
wenn er ja zu Hauſe bleibt, die Zeit verſchläft, bis eine
pikantere Zerſtreuung ihn wieder entführt. Geht Karl
mit der Familie in das Theater, ſo läßt er ſie allein auf
den Sperrſitzen, lorgnettirt in allen Logen herum und kehrt
nicht eher von den hinteren Bänken des Parterre's zurück,
als bis der Vorhang gefallen iſt.
Sichtbar welkte das bekümmerte Mädchen, mit jedem
Tage floh mehr das heitere Roth der Geſundheit und des
Frohſinns von Mariens Wangen, immer läſſiger betrieb
ſie die Anſtalten zur Verlobung, die einſt mit Ungeduld
erwartet, jetzt mit zu ſchnellen Schritten nahte. Ganz ih-
rem ſtillen Grame hingegeben, ſuchte ſie die einſamſten
Plätze ihres Gartens und kehrte nicht ſelten mit rothge-
weinten Augen zurück, während Emilie und ihr Bräuti-
gam ſo zufrieden lebten, und auf der ganzen weiten Erde
nur ſich allein genug zu ſein ſchienen.
Doch noch hatte Mariens getäuſchtes Herz nicht die
härteſte Probe beſtanden; das Schwerſte, das Bitterſte war
ihr ja noch aufbehalten. Sie hatte ſich eines Tages nach
den entlegenſten Parthieen des Gartens begeben, um ſich
einmal ungeſtört ihrem Schmerze und ihren Entwürfen für
die Zukunft überlaſſen zu können. Nachdenkend gelangt ſie
zu der Laube, in welcher ihre Schweſter gewöhnlich zu ar-
beiten pflegte; ein halblautes Geflüſter weckt hier ihre
Aufmerkſamkeit — ſchon will ſie weiter ſchreiten, um ihre
ſo glückliche Schweſter mit ihrem Geliebten nicht zu ſtö-
ren — doch die Männerſtimme klingt ihr, obwohl ſie ge-
dämpft war, nicht ſo wie von Emiliens Bräutigam, ſie
horcht, biegt endlich die Zweige auseinander und ſieht —
entſetzlicher Anblick für ſie — ihren künftigen Gatten in
Emiliens Armen, ſo vertraut, o zärtlich, wie er mit ihr
noch nie geweſen. — Sie war zur Bildſäule verwandelt,
ihre Kuiee wankten, alles Blut wich aus ihren Wangen
und drängte ſich ungeſtüm nach dem Herzen zurück. End-
lich wich die Erſtarrung, die ihren Fuß gelähmt und un-
ter einem Strom von Thränen wankte ſie fort von der
unheimlichen Stelle.
Karl und Emilie hatten Marie außer dem Hauſe ge-
glaubt und ſich nach langem drückendem Zwange der lä-
ſtigſten Verſtelluna, dem Drange ihrer liebenden Hexzen
überlaſſen.
der Wendepunkt des
gekommen.
Eine halbe Stunde mochte die Gekränkte mit bluten-
dem Herzen im Gartem herumgeirrt ſein, als ſie auf Hein⸗—
rich ſtößt, der eben im Begriffe iſt, von den ſchönſten Blu-

ihnen aufgedrungenen Drama's war

Der Zufall hatte Marie hieher geführt, und

men einen Strauß zu binden. Mitleidsvoll, den eigenen

Schmerz vergeſſend, betrachtet ſie den argloſen Verehrer
ihrer Schweſter, der, während dieſe in den Armen eines
Andern liegt, trotz der drennenden Sonnenhitze im Garten
herumirrt, um ihr eine Blumenſpende zu bieten. Sie wollte
dem Getäuſchten ausweichen, denn ſie fürchtete, daß er in
ihren rothgeweinten Augen und in ihren Zügrn ihre in-
nere Zerrüttung leſen würde; allein er hatte ſie ſchon er-
blickt. Freundlich grüßend eilte er ihr entgegen und ſteckte
ihr die ſchönſte Roſe aus ſeiner Sammlung mit ſo vieler
Zartheit an die Bruſt, daß ihn Marie zum erſten Male
recht aufmerkſam betrachtete und bei weitem nicht ſo häß-
lich fand, als ſie anfangs geglaubt. ö
„Wohin gehen Sie ſo allein?“ fragte er, nachdem er
ſeinen Strauß wieder geordnet. „Wo iſt Ihr Heinrich?“
Lautes Schluchzen war Mariens Antwort. Heinrichs Frage
hatte all' ihren Schmerz wieder aufgeweckt. Sie hatte an-
fangs ihre Schweſter nicht beſchämen wollen, die ſie ſich
nur verführt gedacht hatte, und deßhalb war ſie nicht in
die Laube getreten. Doch jetzt regte ſich jede Fiber wie-
der auf und laut weinend ſank ſie auf eine Steinbank hin.
„Was iſt Ihnen, gute Marie? Reden Sie doch —

Sie machen mich beſorgt!“ rief Heinrich, und pries dieſe

Stunde als die glücklichſte ſeines Lebens, denn etwas Wich-
tiges, vielleicht Entſcheidendes mußte vorgefallen ſein, was
ſie ſo ſehr erſchüttert hatte. Endlich ermannte ſich das ge-
folterte Mädchen auf Heinrichs fortgeſetztes Zureden.
„Couſin,“ ſprach ſie mit gebrochener Stimme, „Sie
beſitzen das Vertrauen meiner Mutter, und das mit Recht,
auch das meine kann ich Ihnen nicht verſagen, denn Jede
Ihrer Handlungen nöthigt mich dazu. Deßhalb will ich
mich in meinem Unglücke an Sie wenden, und all' den
Kummer, der unbarmherzig mein unerfahrenes Herz zer-
reißt, vor Ihnen ausſchütten.“
„Sie machen mich ſtumm,“ verſetzte Heinrich; — „Sie
wären unglücklich, Sie, die nur zum Glücke geboren zu
ſein ſcheinen? Reden Sie, wer iſt es, der Sie kränkt?“
„Heinrich!“ verſetzte mit von Seufzern erſtickter Stimme
Marie.
„Heinrich, Ihr künftiger Gatte?“ fragte der Schlaue,
der nun alles errieth, mit erkünſteltem Staunen. ö
„Ja er,“ entgegnete Marie. — Er iſt reich und noch
mehr, er iſt ſchön. Allein die Vorzüge, die mich Anfangs
ſo glücklich machten, ſind jetzt meine größte Qual.“
„Wie ſa?“ forſchte Heinrich mit Begierde.
„Ich bin betrogen, ſchändlich betrogen,“ jammerte Ma-
rie in einem Tone, der Heinrich Alles befürchten ließ,
„betrogen von einem weiblichen Weſen, das mir nach mei-
ner Mutter am nächſten ſteht.“
„Nicht möglich!“ verſetzte jetzt der wirklich Ueberraſchte,
doch einlenkend fügte er hinzu: „Freilich — die Liebe
überſchreitet ſo leicht die Gränzen — er iſt ſchön und der
Schönheit widerſteht die Schweſter, oft ſelbſt die Mutter
nicht. Ich könnte Ihnen Beiſpiele aus der Geſchichte
eben.“
„Sie vernichten mich,“ entgegnete Marie gepreßt, „Auf
dieſe Art werde ich mit Heinrich nie glücklich, nie zufrie-
den leben. Ich würde nach meiner Verwählung mit allen
meinen Freundinnen brechen müſſen.“
 
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