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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 27 - Nr. 34 (3. April - 27. April)
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5

zeitlelberger

Ir. 30.

Samſtag, den 13. April 1872.

5. Jahrg

eſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonntrt in der Druckerei, Sn eſſe 4
und ber den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Verwechslungen.
Erzählung von C. W. Koch.
(Fortſetzung.)

Alle waren erſtaunt, als ſie eintraten, denn Marie
war nicht im Stande, ihre Bewegung zu bemeiſtern, das
ſonſt nur dem Frohſinn offene Geſicht hatten einige Wölk-
chen überzogen, und Heinrich jubelte ſchon im Stillen,
denn offenbar hatte Karl bereits mit ſeinem Experimente
einen glücklichen Anfang gemacht.
Allein Mariens Heiterkeit kehrte bald wieder; im engen
Zimmer, wo er mit Niemand anders als mit ihr liebäu-
geln konnte, war ſie gar bald mit dem ſchönen Manne
verſöhnt, den wahrſcheinlich die Damen nur wegen ſeinen
Vorzügen ſo angeſtaunt hatten. ö
Die Tafel war bald beendet. Der wirkliche Heinrich
hatte während derſelben wieder den reichen Schacht ſeines

Humors entfaͤltet und war mit Emilien, ſeiner einſtweili-

gen Braut, ſo zart, ſo zuvorkommend umgegangen, daß es
Marien auffallen mußte, beſonders da ihr Verehrer nur
für ſeinen Teller zu leben ſchien, entweder einſilbig war,
oder mit der Tante über die gleichgiltigſten Gegenſtände
plauderte, den Wein ſtets ungewäſſert trank, während der
Andere nur Waſſer genoß und Alles, was er ſprach und
that, nur für Emilie zu reden und zu thun ſchien, ohne
die abrige Geſellſchaft dabei zu vernachläſſigen. ö
Nach aufgehobener Tafel ſchlug Karl Marien eine
Spazierfahrt nach Hietzing vor. Abends beſuchen wir dann

den Volksgarten,“ ſetzte er aufgeweckt hinzu, „es ſoll ja

dort ſo herrliche Muſik geben, und die ſchöne Welt läßt
ſich zu ſolchen Vergnügungen nicht vergebens locken.“ Ma-
rie willigte für die Spazierfahrt ein, doch von dem Volks-

garten wollte ſie nichts wiſſen, die Erinnerung an die'
Promenade auf der Baſtei beunruhigte noch immer ihr

Herz.
Zwei Miethwagen brachten die Familie aus der Stadt.
Am Roſenhügel unweit Hietzing wurde Kaffee genommen.
Die Tochter des Hauſes, ein recht blühendes kräftiges Mäd-
chen mit feurigem Auge, ſchien Herrn Karl nicht uninte-
reſſant zu finden. Wo es nur anging, verließ er die Ge-
ſellſchaft, und wenn Marie ihn ungeduldig ſuchen wollte,
fand ſie ihn jedesmal mit der ländlichen Schönen ſcher-
zend. Das beunruhigte nun beide Schweſtern aus gleichen
Gründen, denn in ihre Herzen hatte die Eiferſucht ihren
ſchmerrzvollen Stachel gedrückt und beinahe hätte Emilie

ihren Vorbehalt gültig gemacht und wäre aus ihrer Rolle
gefallen, denn Karl ſpielte die ſeine auch gar zu natürlich.
Beide Mädchen waren froh, als endlich die Mutter zum
Aufbruch mahnte. Die kleine Karavane befahl den Kut-
ſchern langſam nachzufahren und ſpazierte an Malfatti's
Garten hinab nach Hietzing, wo Karl aller Widerrede zum
Trotz bei Dommayer einſprach und den Wagenlenkern ſo
viel zu trinken geben ließ, daß ſie beinahe trunken die
Familie nach Hauſe brachten. Für heute war es freilich
mit dem Volksgarten nichts mehr, denn die beiden Mäd-
chen waren wirklich, die Tante und Heinrich hingegen ſchie-
nen zu ſehr verſtimmt, als daß ſie Karls Laune noch län-
ger nachgegeben hätten. Doch dieſer kündigte, als ſie kaum
zu Hauſe angelangt waren, für morgen eine Beſichtigung
des Waſſerglacis und einen Beſuch im Leopoldſtädter Thea-

ter an.

Noch lange, als die beiden Couſins ſich empfohlen hat-
ten, ſaßen Mutter und Töchter beiſammen, das Vergan-
gene mit ſtummem Unmuthe üherlegend. Karl hatte von
Marien auf eine Weiſe Abſchied genommen, die zu deut-
lich zeigte, daß er vom Weine aufgeregt ſei, indeß ſich der
beſcheidene Heinrich trotz ſeiner Häßlichkeit ſo ſanft, ſo

liebenswürdig von Emilien empfahl, daß es Marie um ſo

mehr verletzte, da Karl auch ohne Abſchied von der Mut-
ter weggegangen war.

— 4.
So warenz acht Tage auf gleiche Weiſe vergangen.
Marie hatte Karl ganz anders gefunden, als ſie ihn nach
ſeinen Briefen erwartet hatte. Er jagte von Luſtbarkeit
zu Luſtbarkeit, unbegnügt mit dem häuslichen Glücke der
Liebe, er überhäufte ſie mit Geſchenken, die, ſo reich, ſo
verſchwenderiſch ſie geboten wurden, ihr doch bei ſeiner üb-
rigen Handlungsweiſe keine Freude machen konnten. Er
zeigte ſich eigenſinnig und aufbrauſend, und hatte gar bald
eine Menge bekannter junger Männer aus Heidelberg,
Jena und Leipzig in's Haus gebracht, die ihn erſt recht
zu allen Genüſſen verleiteten, und ihr faſt gar keine Zeit
ließen, ihn deßhalb zur Rede zu ſtellen.
Oft weinte Marie, wenn ſie ſich unbeachtet ſah, über
die ſchmerzvolle Enttäuſchung. Sie hatte ihren Bräuti-
gam ſo innig geliebt, ſie war ſo glücklich geweſen, als er
endlich angekommen, ſie hatte geglaubt, daß er nur für
ſie leben würde, allein, wie ganz anders fand ſie ihn jetzt,
da war kein Zug aus ſeinen Briefen in ſeinem ganzen
Benehmen wiederzufinden; wie verſchwanden mit jedem
Tage mehr die ſchönen Träume von häuslicher Glückſe-
ligkeit, von einer heitern Zukunft, die ſie ſich lange ſchon
 
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