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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 27 - Nr. 34 (3. April - 27. April)
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Nr. 33.

Mittwoch, den 24. April 1872.

5. Jahrg.

rſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schi aa ſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Aus den Geheimniſſen einer Putzmacherin.

Linda Niedlich war eine fleißige, geſchickte, hüb-
ſche, junge Putzmacherin. Stie beſaß alle Eigenſchaften zu
dieſem für die Damenwelt ſo wichtigen Verſchönerungs-
fache; keines der hierzu nöthigen Erforderniſſe fehlte ihr;
Linda Niedlich hatte eine zierliche kleine Hand, einen gu-
ten Geſchmack, vornehme und wo hlhabende Kundſchaft und

mehrere eifrige Verehrer — mein Liebchen, was willſt du

noch mehr? ö
Linda's Verdienſte um die Toilette der vornehmen Da-
menwelt waren allgemein anerkannt, ihr Fleiß und ihre
Rechtſchaffenheit fand ſogar Gnade bei denjenigen jungen
Mädchen, welche es für entehrend halten, wenn eine junge
Dame zu ihrem anſtändigen Lebensunterhalt ihre Geſchick-
lichkeit und ihren Fleiß zu verwerthen ſucht und Linda's
kleine unſchuldige Fenſterparadebeziehungen lagen ſo offen
vor den Augen des „hohen Adels und verehrungswürdi-
gen Publikums“, daß einige neidiſche Nachbarinnen mit
ſtatiſtiſcher Genauigkeit nachweiſen konnten, wie oft Dieſer
oder Jener erfolglos an ihren Fenſtern vorübergegangen war.

Nur ein Geheimniß Lindaͤ's war der Nachbarſchaft,

den Kunden und Verehrern unergründlich.
Im Frühjahr, ſobald die erſten warmen Lüfte den letz-
ten Schnee von den Bergen jagten, verſchwand Linda.
Die Vorhänge ihres Fenſters blieben zuſammengezogen,
die Kunden, welche allerdings in der Wintertoilette ſich
noch ganz wohl fühlten und nur ſpärlich erſchienen, muß⸗—
ten ſich mit einer weniger erwünſchten Stellvertreterin be-
gnügen; die Verehrer ſuchten vergeblich das hübſche ſchwarze
Lockenköpfchen am Fenſter, ja, die boshaften Lehrmädchen
Linda's hatten ſich einmal ein Vergnügen daraus gemacht,
einen alten Haubenſtock aus der Rumpelkammer an's Fen-
ſter zu ſtellen und damit einem kurzſichtigen jungen Baron
ein freundliches Heraufgrüßen abzuzwingen.
Beinahe wäre die Aechtheit dieſes menſchlichen Antlitzes

Gegenſtand einer Wette oder gar eines Duell's zwiſchen

zwei Mitgliedern des Cavalier-Caſino's geworden, wenn
nicht der Lieutenant von Kalauer durch eine genauere Re-
cognoscirung mit dem Operngucker dieſes Scheinmanöver
der Lehrmädchen gründlich desavouirt hätte.
Auch die Nachbarſchaft erging ſich ſtets in neuen bös-
willigen Vermuthungen über das Verſchwinden Linda's.
Einige wollten dieſelbe Abends mit ihrer Geſchäftsgehilfin
mehrmals geſehen haben, andere dachten an eine baldige
Geſchäftsaufgabe wegen veränderter Verhältniſſe, kurz, es
fehlten alle beſtimmten Anhaltspunkte für ein entſchiedenes

Urtheil, welches die öffentliche Meinung in ſolchen Fällen
ſo gern ausſprechen möchte.
Während deſſen ſaß Linda, unermüblich thätig und ſtets
Neues erſinnend und ſchaffend, in ihrem Hinterſtübchen.
Nur Abends in der Dunkelheit machte ſie einen kleinen
Ausgang zu ihrer Erholung, zugleich, um mit ihrer erſten
Gehilfin einige wichtige Geſchäftsangelegenheiten zu be-
ſprechen und derſelben neue Aufträge für nothwendige Ein-
käufe von Putzgegenſtänden zu geben.
So verlief eine ganze Woche, ſogar noch einige Tage
der zweiten, die Kunden wurden bald unzufrieden über
die ihnen nicht recht klar angedentete Abweſenheit der be-
währten Meiſterin; die Nachbarſchaft war nahe daran,
wegen Stoffmangel über dieſen Gegenſtand zur Tagesord-
nung, d. h. zu einem anderen Falle überzugehen und die

Verehrer ſuchten ſich nach und nach in irgend einer an-

dern Straße zu revanchiren.
Da erſchien plötzlich wieder an einem ſchönen Früh-
lingstage der reizende Lockenkopf Linda's am altgewohnten
Fenſter. ö
Kaum wußten ſich die Nachbarn zu faſſen über dieſe
unvermuthete Aenderung der Dinge. Zu einiger Beruhi-
gung fand man Linda ſehr blaß und angegriffen ausſe-
hend — das angeſtrengte Arbeiten, namentlich bei Licht,
iſt der Geſundheit niemals zuträglich — jedoch ſie ſchien
äußerſt zufrieden, munter und glücklich. Sofort verbreitete
ſich die Nachricht auf dem Caſino, die Verehrer bekamen

wieder Fühlung mit dem alten Fenſter, aber — das Ge-

heimniß blieb noch ungelöſt.
Endlich, am zweiten Tage nach Linda's Ankunft las
man im Tages-Anzeiger der Stadt folgendes Inſerat:
„Meinen geehrten Kunden hiermit die ergebenſte An-—
zeige, daß ich von meinen perſönlichen Einkäufen in
Paris zurückgekehrt bin und das Neueſte in Fagonen,
Muſtern und Modellhüten bei mir zu finden iſt.
Achtungsvoll
Linda Niedlich, Putzgeſchäft.“

Die Natur der Erdbeben.

Bei all' den bittern Kämpfen mit den Elementen ver-
läßt uns die Hoffnung nicht, ſo lange wir uns an den
feſten Grund der Mutter Erde klammern können; wenn
dieſe aber einmal wankt, fühlen wir unſere ganze Hülf-
loſigkeit. Daher ſind Erdbeben die ſchwärzeſten Punkte
in den Tagebüchern der Geſchichte, Punkte, welche ſchon in
der Erinnerung unſere Kraft lähmen. Selbſt die unver-
 
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