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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 44 - Nr. 52 (1. Juni - 29. Juni)
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Nr. 51. 4

Mittwoch, den 26. Juni 1872.

5. Jahrg.

richeint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 15 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Sch⸗ aſſe
ö und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

*

Das ruſſiſche Heldenmädchen.
Schluß.) ö

Eine Infanterieabtheilung wurde vermummt wie zu
einer Maskerade und mit Schwefellichtern bewaffnet vor-
geſendet, um die Barrikade zu ſtürmen und den Weg zu
bahnen.
Noch ſtand die Heldin hinter ühren letzten Käſtchen,
die ihre Reſerve verbarg und ſchien ruhig den Feind zu
erwarten. Dichte Schwärme umſpielten ihr Haupt und
zogen von ihr zu dem Sergeanten, der im nahen Graſe
lag und Geſicht und Hände verborgen hatte. Der Honig,
welcher ihm ſeit ſeinem erſten Angriffe anklebte, hatte die
meiſten Verfolger ihm nachgelockt,
Gutes zu ſtrafen.

Die Befehlshaberin des Paſſes begann von Neuem auf“

die Käſtchen zu ſchlagen, um ihre Reſerven zu allarmiren;
doch als ſie ſah, daß ſie auf Seitenpfaden von dem Feinde

umringt wurde, da tauchte ſie ihren Stab in den Honig,‚

und umhüllt von einer ſchützenden Bienenwolke ſchritt ſie
wie eine Zauberin durch den Kreis der Soldaten, die ſcheu
vor ihrem Zauberſtab auswichen. ö
Da ſprang plötzlich, mit Verachtung aller Gefahr, die
ihm von tauſend Stacheln drohete, der Sergtant ihr in
den Weg, entriß ihr den gefürchteten Zauberſtab und ſchleu-
derte ihn weit weg. Er lichtete das Strohviſier, um der
vermeintlichen Hexe einmal in das faltige Antlitz, in das
rothe Auge zu blicken; doch voll Staunen, wie bei dem
erſten Angriffe, blieb er ſtehen und ſchaute in die jugend-
lichen, aber vor Angſt bleichen Mienen eines ſchönen Mägd-
leins, das gefaßt auf ein trübes Schickſal, mit Ruhe den
vermeintlichen Rächer anblickte. Er konnte indeſſen nicht
lange ihren Anblick mit Ruhe ertragen, nicht weil die
Rache ihn ſpornte, ſondern weil ſeine Augen ihn ſchmerz-
ten, die er mit Waſſer zu kühlen eilte, um ſie bald in's
geſunde Auge faſſen zu können.
Als der Bienenſchwarm mit dem verlornen Zauberſtabe
das Mädchen verlaſſen hatte, wurde ſie bald von einem
Schwarme Franzoſen umringt, welche ſich an ihr zu rä-
chen herbeigeeilt waren. Sie riſſen ihr die ſchützenden
Kleider herab, feſſelten ſie an einen Baum, beſtrichen ihr
Geſicht und ihre Arme mit Honig und ſprachen: „Nun,
meine Süße, jetzt lerne Du die Stiche kennen und ſchwelle
an vor Zorn unter den Deinigen.“ Sie flohen von ihr zu-

rück und die gelockten Bienen zogen nun gierig und wü-

thend herbei, warfen ſich auf ſie, krochen ihr in die Naſe

um den Räuber ihres

und zerſtachen ihr den Mund, und die Gluth der Sonne
erhöhte noch ihren brennenden Schmerz.
Umſonſt verſuchte der Sergeant, als er ſich einigerma-
ßen von ſeinen Schmerzen erholt hatte, ihre Rettung; ſeine
Kameraden waren zu erboßt, als daß er ihre Rache hätte
verhindern können, ſo ſehr er es auch wünſchte, denn er
hatte trotz ſeiner geſchwollenen Augen zu tief in das ſchöne
Auge der jugendlichen Ruſſin geſchaut. Erſt am Abende,
nachdem die geflügelten Feinde ſich zur Ruhe begeben hat-
ten, war es möglich, das Defilse, wo Bäume und Geſtein
mit Honig getränkt und von Bienen umſchwärmt waren,
ohne Gefahr zu paſſiren, um vor dem nahen Dörfchen,
welches ſo lange durch ein ſchwaches Mädchen gegen Tau-
ſende von Kriegern vertheidigt und nun verlaſſen war, ei-

nen Bivouak zu beziehen.

Noch in keinem Gefechte hatte es ſo viele Verwundete
gegeben; faſt an allen Lagerfeuern ſaßen die lächerlichſten

Maskengeſichter ſich gegenüber, die ſich bei den gleichen

Uniformen oft nur erſt an der Sprache erkannten. Die-
ſem war das Pariſer Näschen zur Naſe geſchwollen, Je-
nem hatten ſich die Augen zu Koſakenäugelchen verkleinert.
Dleſer ſah aus wie ein Holländer mit dem Primchen
unter der Wange, Jener ſchien zum Mongolen mit breiten
Backenknochen geſtempelt. Dem Einen waren die Lippen
wie einem Indtaner aufgetrieben, der Andere hatte den
böſen Mund ganz nach der Seite derzogen; Magere ſchie-
nen feiſt geworden und die Bleichſten ſchienen oft in höch-
ſter Röthe. Hier ſteckten Einige, wie die Chineſen beim
Ackerbaufeſte, die Naſen in die Erde, damit von der Kühle
die Hitze des Stiches ausgezogen würde, dort bedeckten
Andere die Geſichter mit angefeuchteter Erde, wie die al-
ten Egypter zur Trauer bei dem Tode ihres Königs. An-
dere ſaßen wie die Biber am Ufer und ſteckten einzelne
Körpertheile in das Waſſer. Der Herzog von Abrantes
ſelbſt ſaß wie eine einbalſamirte Mumie in ſeinem Wagen.
Der Sergeant aber ſchlich mit einem vertrauten Ka-
meraden nach dem verhängnißvollen Orte, wo ſie die Un-
glückliche zwar noch lebend, aber im beklagenswertheſten
Zuſtande fanden. Der Sergeant löste ihre Feſſeln und

ihre Zunge und flößte ihr Muth und einige Tropfen aus

ſeiner Feldflaſche ein. Er verſprach ſie zu ſchützen und
zum Herzog von Abrantes zu führen, der auch in den Tha-
ten der Feinde die Vaterlandsliebe ehren und ſie zu ihren
Landsleuten hinüberſenden würde. Sie dankte ihm innig,
zwar nicht in Worten, da ihre Sprachen verſchieden wa-
ren, aber ſie verſtanden ſich doch.
Das Mädchen, von ſo viel Großmuth gerührt, folgte
ihrem Retter und wurde ſpäter deſſen Frau.
 
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