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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 1 - Nr. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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Nr. 4.

Samſtag, den 13. Januar 1872.

5. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 42 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonntrt in der Druckerei, Schi,gaſſel

und bei bea Trägern.

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Gräfinnen von Schauenſtein.
Novelle von Wilhelm Blumenhagen.

Fortſetzung).

Wo der Garten, der Wald, das Flüßchen nur irgend
ein Plätzchen darbot, das beſondere Schönheit trug, dahin
mußte der Gaſt ihr folgen, und ſie bot ſelbſt den vollen
Arm zur Führung des Schwankenden, dem das verletzte
Knie noch nicht geanz gehorchte und der Obriſt legte ſeine
Hand mit einer ſunausſprechlichen Wolluſt auf die zarte
Sammethaut des! runden Frauenarmes.

Traulich forchte ſie nach ſeinen Verwandten, und als x

er mit einem düſteren Blick in die dunkeln Buchengipfel

antwortete: „Es lebt Niemand außer mir, in dem meiner

Väter Blut wallet.
Freund, den der zerſtörende Krieg mir gewann“ — da
ſah ſie mit einem Blick voll Mitleid zu ihm auf, und es
war ihm, als leuchtete hinter dem Mitleid Troſt und Hoff-
nung, gleich zwei fernen Schimmerſternen, die eben erſt
am Abendhimmel mit mattem Schimmer ſichtbar gewor-
en. Er erzählte von ſeiner Familie. Seine Väter wa-

ren keine Deutſche. Nach den Gräueln der Bartholomäus-

nacht hatte ein Urgroßvater von ihm ſich und den Reſt
ſeines Vermögens nach Deutſchland gerettet und im Nor-
den ein Aſyl und eine neue Heimath gefunden. Der Aus—⸗
wanderer heirathete ein deutſches Fräulein und mit jeder
Generation germaniſtrte ſich der fremde Stamm mehr und

maehr und vergaß zuletzt die unſichere Erdſcholle gänzlich

die er von ſich geworfen. Richard's Eltern ſtarben früh-
zeitig; ein Oheim, ein alter Kriegsmann aus des großen
Preußenkönigs Zeit und Heldenſchule, ein ernſter Hage-
ſtolz, übernahm des Knaben Erziehung und ſchuf ihn zum
Militär im ganzen Sinne des Wortes. Strenge Studien
füllten den Frühling des Jünglings, den Mann rief ſein

erwählier Stand von Feldzug zu Feldzug und nur in kur-

zen Zwiſchenräumen erlaubte ihm die Waffenruhe Erho-
lungstage auf dem Landgute, welches ſein Erbe gewor-
den, das am Ufer eines großen Stromes zwiſchen Fels
und Bergwald gelegen, das angenehmſte und bequemlichſte
Winterquartier für den ausgedienten Soldaten oder den
in Schlachten verkrüppelten Invaliden verſprach und von
ſeinem Beſitzer für ſolche Zeit mit Liebe gepflegt und ein-
gerichtet worden. Richard erzählte noch von ſeiner reichen
Wildbahn, von ſeinen edlen, ſelbſtgezogenen Roſſen, von

Ich bin allein und habe nur den

ſeinem Saale voll hiſtoriſcher Bilder, in welchem er ſich.

ein Erinnerungsbuch aller der ſelbſt erlebten ungeheuren
Weltbegebenheiten gebildet, von der buntbewimpelten Scha-
luppe, die dicht unter ſeinem Schlößchen auf dem fiſchrei-
chen Strome vor Anker lag, und ſetzte zuletzt hinzu: „Es
iſt kein Fürſtenſchloß, kein Schauenſtein, Erlaucht! aber
es wird ein weicher Polſterſtuhl für den Invaliden ſein,

und iſt geräumig genug, um darin auf ſeinem Stelzfuß

ſich marode zu marſchieren, hat Einſamkeit genug für ei-
nen zerſchoſſenen Graukopf, um ſich ungeſtört die alten
Kriegsmärſche verpfeifen und an langen Abenden ſe in
Tagebuch durchblättern und ſo mit dem Spirit der Ju-
gendthaten das flackeende Ledensflämmchen auffriſchen zu
können.“ —
Die Gräfin betrachtete lächelnd den rüſtigen Mann,
der mitten im vollen Sommer ſchon mit der Winterzeit
liebäugelte und ein ächtes Cisgeſicht dazu machte: doch ehe
ſie dazu kam, eine humoriſtiſche Erwiederung zu geben,
trat der Hofrath heran und erwähnte die eingetretene
Dämmerung und die trüben Nebel, die aus den niedern-
und feuchten Feldern bereits ſich die Höhe herauf wälzten
und kommandirte zum Rückzuge. Verwundert folgten die
Blicke des Obrißen und der Gräfin ſeiner in das Thal
deutende Hand und beide bekannten ſich ſelbſt, daß ihnen
noch kein Lebenstag auf ſo leichten und ſchnellen Füßen
vorüber gerauſcht. ö

4.

Die Spiegelfenſter der Hauptetage des Schloſſes ſchim-
merten in hellſter Beleuchtung und gleich goldenen Ster-
nenkränzen ſtrahlten die mächtigen Kronleuchter ihr blen-
dendes Licht weit in den Abend hinaus. Der Obriſt fühlte
den Arm der Gräfin unter ſeiner Hand zittern, indem ſie,
die breite Marmortreppe hinauf ſtiegen und als ſie an der
Flügelpforte des Gartenſaales ſtanden, weilte ſie einen
Augenblick, ſah bittend zu ihm empor, und faßte ſeine
Hand mit Herzlichkeit. ö
„Ihr Männer ſeid von der Natur mit einer wunder-
baren Gewalt über uns bevorrechtigt und wie das Weib
nicht frei, ſondern unterthänig geboren, fühlte ich nie wie
heute,“ ſagte ſie halblaut und faſt wehmüthig. „Stehe
ich doch fürchtend in meinem Eigenthume, zagend auf der
Schwelle, wo man mich Herrin nennt, weil ich beſorge,
die nächſte Minute möchte wiederum das Auge des Man-

nes verfinſtern, der mir eine unauslöſchliche Hochachtung

aufgedrungen, und dem ich ſo gern und ſo ganz zeigen
möchte, wie ich ſeinen Werth erkannt. Obriſt, was hin-
 
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