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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 27 - Nr. 34 (3. April - 27. April)
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Mittwoch, den 10. April 1872.

5. Jahrg

Eiſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 18 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckeret, Schin aa ſſe 4

und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Verwechslungen.
Erzählung von C. W. Koch.
(Fortſetzung.)

Auch Heinrich fühlte ſich ganz ſonderbar, als er ſeine
Schwärmereien einem Dritten unterſchteben hörte, ungefähr
ſo, wie ein ungedruckter Schriftſteller, der die geheimſten
Gedanken ſeines Schreibepultes in einem neuen Journale
wiederfindet, in das ſie ſich ohne ſein Wiſſen verirrt und
dankte dem Himmel, als es dem ſchnäbelnden Taubenpaar
gefiel, die gute Tante im Garten wieder aufzuſuchen. Frei-
lich war dadurch die Spannung noch immer nicht gehoben,
allein an der kleinen Tafel, die er jetzt auftragen ließ,
hatte er auch freieren Spielraum, und Marie mußte ihn
beachten, wenn ſie ihen vorher auch nur als einen Gedan-
kenſtrich in ihrer Converſation mit Karl angeſehen hatte.
Champagner, ächter und unächter, die Kellner vergriffen
ſich zuweilen, machte bald die Runde und belebte den klei-
nen Kreis zur ungebundetſten Freude. Heinrich entfaltete
ſeinen beſten Humor und Marie beachtete ihn ſichtlich mit
jedem Augenblicke mehr, denn es ſprach ſich in jedem ſei-
ner Worte ſein durchdringender Geiſt, tändelnder Witz und
die unbeſiegbarſte Laune, die nur das Eigenthum eines
ſchönen Gemüthes ſein kann, aus. Endlich ſchlug die
Stunde des Aufbruches. Ein wohlkonditionirter, vierſitzi-
ger Fiaker brachte Mutter und Tochter nebſt den beiden
Herrn Couſins in die Jägerzeile, indeß der ſchon längſt
entſchlafene Herr Vetter in einer andern Karoſſe nach der
Joſephſtadt, wo er reſidirte, gerädert wurde.
Bis jetzt war Heinrich überaus tolerant gegen ſein
Pfeudo-Ich geweſen, allein als das Dunkel des Wagens
ſie aufnahm, machte er ſeine Rechte geltend und pflanzte
ſich breit und lang, um in einem ganz kleinen Anfluge
von Eiferſucht Karl'n das Wagenrecht zu entziehen, als
Mariens Gegenüber auf den Rückſitz. Ihm war ſo ſelig
um das Herz, als der herrliche roſige Athem jetzt ſeine
Wangen umſpielte, ein geheimes Sehnen ſchwellle ſeine
Bruſt, er konnte den Gedanken nicht denken, dieſen Engel
verlieren zu müſſen, und wäre ſein Verſtand nicht ſtärker
seweſen als ſein Herz, er hätte noch im Wagen den Schleier
gelüftet, der ſeine Anſprüche in ein ſo mißliches Dunkel
hüllte. Doch die Klugheit gebot ihm Selbſtbeherrſchung,
und die Hoffnung erhohte den ſtillen Genuß, in den ihn
ſeine tief verſchloſſene Sehnſucht wiegte. Gern hätte er in
Mariens Nähe noch länger den ſchönen Traum fortge-
träumt, allein die Fahrt war zu ſeinem Verdruſſe in we-

die erſehnte Ruhe fand.

nig Augenblicken zu Ende. Er hatte den Abſchied gefürch-
tet und das nicht ohne Grund, denn am Thore wurde das
Mädchen ſo zärtlich mit Karl, daß er faſt die Glocke ab-
riß, um den ſchlaffeligen Hausmeiſter aus den Federn zu
läuten und das Ende der herzbrechenden Scene herbeizu-
führen. Mit der Verſicherung, morgen bei Tiſche zu er-
ſcheinen, nahmen die beiden Couſins Abſchied und kehrten
verſtimmt, jeder aus einer andern Verlaſſung, nach ihrem
Gaſthofe zurück, wo Karl ſpät, Heinrich aber gar nicht

Noch umgaukelten ſüße Träume das Lager der ſchlum-
mernden Marie und zauberten ſchöne Bilder vor die Seele
der holden Schläferin. Ihre Mutter hatte ſchon früh das
Lager verlaſſen, um Emilien die Vorgänge des vergange-
nen Abends zu erzählen und ſie auf ihre Rolle vorzube-
reiten. Lange wollte dem guten Mädchen die Verwechslung
der beiden Bräutigame nicht in das Köpfchen.
„Wenn ſich nun Karl am Ende wirklich in meine
Schweſter verliebt,“ entgegnete ſie den Gründen ihrer Mut-
ter, „wenn aus dem Poſſenſpiele zuletzt gar voller Ernſt
würde?“
„Du biſt eiferſüchtig,“ ſchalt die Mutter, „ſonſt wür-
deſt Du Dir ſo unnütze Sorge nicht machen.“
„Gott behüte!“ erwiederte Emilie, eiferſüchtig bin ich
nicht. Aber ſo, wie zu Deiner Zeit, liebes Mütterchen,
ſind die Männer nicht mehr. Vorſicht kann deßhalb nicht
ſchaden, denn ein Spaß dieſer Art iſt jetzt gefährlich, be-
ſonders da Marie viel ſchöner iſt als ich und wie Sie ſa-
gen, in ihrer romantiſchen Liebe Karl'n als ihrem Bräu-
tigam entgegenkommt.“
„Aber Du ſiehſt, daß man Deine Schweſter unmög-
lich ſo ſchnell aus ihrem Wahne reißen kann,“ entgegnete
die Mutter. ö
„Run, ihr zu liebe will ich ſchon etwas wagen,“ ent-
ſchloß ſich Emilie endlich, „wenn es nur nicht zu lange
dauert. Aber das behalte ich mir vor — ſobald ſich meine
Furcht bewährt, falle ich aus der Rolle.“ ö
Die Mutter beruhigte ſie hierüber, ſo viel ſie konnte,
und ſchied mit guten Hoffnungen. Schon nach 12 Uhr
fanden ſich die beiden heirathͤluſtigen Couſins, jeder in
der verkehrten Rolle, zum Beſuche ein. Emilie hätte bei-
nahe Alles verdorben, denn des Wiederſehens Ueberra-
ſchung wirkte zu gewaltig auf ihr ſehnendes Herz. Sie
eilte ihrem Karl entgegen und würde durch ihre Umar-
mung Alles verrathen haben, wäre ſie nicht durch Marie
ſelbſt, die dem falſchen Bräutigam entgegenflog, auf ihre
 
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