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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 18 - Nr. 26 (2. März - 30. März)
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Nr. 26.

Samſtag, den 30. März 1872.

5. Johrg.

— cheint Mittwoch und Sam ſcag. ö Preis monatlich 15 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffg ſſe 4

und ber den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Incognito's.
Erzählung von Guſtav Nieritz.
Schlutz.)

Letztere war nicht im Stande, ihre bebende Hand nach

demſelben auszuſtrecken. Die Blumenvaſe auf dem Mar-
mortiſchchen, welches ihre Rechte krampfhaft erfaßt hatte,
drohte von der zitternden Bewegung herabzuſtürzen. Die
Linke vor die erlöſchenden Augen legend, ſprach die Arme

halb athemlos: „Herr Kork! — Eugenie! — Der Schwin-

del kommt wieder! — Eugenle! — bitte?—
Kork ſprang herzu, die Umſinkende aufzufangen, Eu-
genie aber in das Nebenzimmer nach einem Stärkungs-
mittel. Sie erkannte jedoch ſolches ſofort als überflüſſig,
indem ſie das verlaſſene Zimmer wieder betrat. Sie-
traute ihren eigenen Augen nicht. Verſteinert blieb ſie auf
der Schwelle ſtehen — denn, in eine Ecke der Oktomane
gelehnt, ruhte, friſch und munter, die ohnmächtig geglaubte
Fürſtin. Vor ihr knieete der blöde Privatſecretär und be-
deckte mit feurigen Küſſen die ihm willig überlaſſene Hand
Helenens. ö
„Meine theure — meine geliebte Helene!“ ſprach er
mit gewinnendem Tone. Seine dunkeln Augen blickten
mit dem zärtlichſten Ausdrucke in ihre blauen, verſchwim-
menden — von ſeiner Rechten umſchlungen und geleitet,
ſenkte ſich ihr verſchämtes Haupt zu dem Knieenden herab
auf dem halben Wege ſchon kamen ſeine Lippen den ihri-
gen entgegen, um ſich dann innig mit einander zu ver-
mählen. —
Das war zu viel für die Gräfin. Ein ſo ſchneller
Uebergang von Blödheit zur größten Kühnheit von Sei-
ten Korks — von ſtrenger Zurückhaltung zur unbedingten
Hingebung von Seiten Helenens überſtieg alle Erfahrung
Eugeniens. Leiſe machte ſie die Thüre wieder zu und trat
in das Toilettenzimmer zurück, mit ſich kämpfend, ob ſie
das illegitime, undiplomatiſche téte à tete ſtören ſolle
oder nicht. Ihrer Unentſchiedenheit machte jedoch der
glückliche Privatſecretär ein ſchnelles Ende, indem derſelbe
mit lauten ſchnellen Schritten aus dem Zimmer der Prin-
zelſin ſich entfernte. ö
„. Der arme. Erbgroßherzog!“ dachte Eugenie für ſich,
während ſie ihren Poſten hinter der Thüre verließ, „wie

2


übel iſt er doch mit dieſem Privatſeeretär berathen! Das
ſind ſchöne Ausſichten für ein gekröntes Hauyt! Wer

hätte ſo etwas hinter meiner ſchüchternen Couſine vermu-

thet?!“

Sie fand die Prinzeſſin in einer förmlichen Verzückung.

Die ſelig trunkenen Augen gen Himmel gerichtet, drückte
ſie ein kleines Mebaillon bald an die Bruſt, bald an die

ſchwellenden Lippen. Als Eugenie in einiger Verlegenheit

ſich ihr nahte, zog dieſe ſie an ihr Herz. Thränen perlten

aus ihren Augen, aber zu reden vermochte der Mund nicht.
Endlich ſprach ſie mit inniger Bewegung: „O mein Gott!
verdien' ich auch dieß Glück? Eugente! Er iſt mein —

ich bin ſein — auf immer! Freue Dich mit mir!“

Ihre wiederholten Küſſe verſchloſſen der Fragenden
Mund.

Die Aufklärung.

„So allein, Loſſum2“ fragte an demſelben Abend ein
Veund den Grafen in der Theaterloge. „Wo haſt Du
Deine liebenswürdige Gemahlin 2“—

„Dieſe hat mich heute über die Maßen vernachläſſigt.
Schon ſeit dem Morgen iſt ſie bei der Prinzeſſin Helene
und ſelbſt zum Mittagseſſen nicht heim gekommen. Es
findet nach dem Theater die feierliche Vorſtellung des Braut-
paares ſtatt und da kann ich mir denken, daß die Prin-
zeſſin bei Anlegung des Brautſtaates meiner Frau ſehr be-
nöthigt ſein wird. Der Fürſt, ihr Vater, giebt deßhalb
eine glänzende Affemblee —“
„Wobei Du nicht fehlen darfſt und wirſt?“
„Allerdings konnte ich die Einladung, ſchon meiner
Frau wegen, nicht ablehnen. Auch intereſſirt mich Hele-
nens Schickſal zu lebhaft. Sie iſt eine Fürſtin, wie man
ſie ſelten findet, und meiner Eugenie die wärmſte Freun-
din. Möge ſie in ihrer Ehe nur glücklich ſein!“
„Sahſt Du ihren Bräutigam ſchon?“
„Nein! Er iſt erſt geſtern Abend mit ſeinem Vater
hier angelangt.“
„Das Gerücht erzählt Abenteuerliches von ihm. Er
hatte ſich den Kriegerſtand zu ſeiner Laufbahn erwählt,
als aber ſein älteſter Bruder am Nervenfieber ſtarb und
ein zweiter im Kampfe gegen Napoleon das Leben ver-
lor, vermochten ihn die Bitten ſeines ſchwer gebeugten Va-
ters, das Schwerdt mit den friedlicheren Wiſſenſchaften zu
vertauſchen. Im ſtrengſten Incognito ſtudirte er einige
Jahre aufs Leipzigs Univerſität, wo er die genaueſte Freund-
ſchaft mit einem Bürgerlichen, Namens Kork, ſchloß. Von
dieſem begleitet, begab er ſich hierauf nach Kaſſel, um
die dort im tiefſten Incognito lebende Prinzeſſin Helene
kennen zu lernen — oder gleichſam Brautſchau zu halten.
 
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