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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 44 - Nr. 52 (1. Juni - 29. Juni)
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Nr. 52.

Samſtag, den 29. Juni 1872.

5. Jahrg.

cheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonntrt in der Druckeret, Schuſga
„ und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Der Cornet und die engliſche Dogge.

Nach der Schlacht von Jena wurde ein preußiſcher
Cornet mit vier Reitern von der Armee abgeſchnitten. Sie;
kamen in ein Dorf, und ſtiegen vor dem Pfarrhaus ab.

Es war gegen Abend, und die Hausthüre verſchloſſen.
„Aufgemacht!“ rief der Cornet mit Ungeſtüm, „oder die
Thür wird in Stücken gehauen.“ — „Wer iſt da?“ fragte
der Paſtor. „In's Teufels Namen aufgemacht oder ein
„Donnerwetter ſoll drein ſchlagen.“ Die andern Reiter ver-
hielten ſich ſehr ruhig. Ein Knecht machte endlich auf und
der achtzehnjährige Held bewies ſeine Tapferkeit durch ſein
grobes Betragen, weßwegen der Sohn des Predigers auf
eine Züchtigung des Grobians dachte und dieſe in folgen-
der Art ausführte.
Der Prediger hatte nämlich von einem zum Regiment
zurück beorderten Werber eine äußerſt ſchöne engliſche Dogge
gekauft, die von ihrem vorigen Beſitzer dahin abgerichtet
war, auf Transporten die angeworbenen Rekruten zu be-
wachen. Sein Herr durfte dieſem Hunde den Rekruten
nur mit den Worten zeigen: „Sultan, ein Rekrut!“ nun
konnte er ſicher darauf rechnen, daß der Angeworbene un-
ter der muſterhafteſten Aufſicht war. Beſonders ließ das
Thier Niemand aus der Stube, wenn einmal über ihn
das ſchreckliche: „Sultan, ein Rekrut!“ ausgeſprochen war.
Wollte ein ſolcher ihm Anvertrauter zur Thüre hinaus,
ſo wurde er bei dem Rockſchoß von ſeinem Inſpector ſanft
zurückgeführt. Wiederholte er den Verſuch, ſo nahm der

Hund ernſthaftere Maßregeln; that er dieß mit Gewalt,

ſo warf der Hund den Rekruten auf die Erde, trat ihm

auf die Bruſt, und rief durch heftiges Brüllen ſeinen.

Herrn.
Oft ſchon hatten die muthwilligen Söhne des Predi-
gers dieſen Spaß in der Geſindeſtube gemacht; mancher
Bauer mußte Stunden lang warten, ehe Sultan durch das
gehörte „laß paſſiren!“ ihm die Freiheit wieder gab.
Der Prediger ſtand mit den Reitern auf dem Hofe;
ſein Sohn war im Zimmer allein mit dem Cornet, der
mit Gemächlichkeit ſich in's Sopha warf und auf's Vor-
führen des Pferdes wartete. Sultan lag ganz ruhig hin-

ter dem Ofen. Ohne daß der Cornet es bemerkte, zeigte

der Sohn des Pfarrers auf den Offizier, und ſagte ganz
verſtohlen: „Sultan, ein Rekrut!“ Nun verließ er das
Zimmer. Sultan ſtand bedächtlich auf, ſtreckte ſich einige
Mal und faßte nun ganz gravitätiſch Poſto vor ſeinem
Schützling, der ſich übrigens nicht im Traume einfallen
ließ, der Gegenſtand zu ſein, den der Hund ſo aufmerk-
ſam beobachtete.

„Nun, Herr Cornet, wenn Sie mitwollen, ſo kommen
Sie!“ rief der eine Reiter, der ſchon zu Pferd hielt, in's
Fenſter hinein. „Gleich!“ war die Antwort. Hut und

Stock wurden genommen, die Handſchuhe angezogen; noch

einmal beſah man ſich im Spiegel, ſchon lag die eine Hand
an der Thürklinke, als Sultan zwiſchen die Thüre und
den Cornet ſprang und den Letzteren gar unſanft zurück
warf. Er erſchraͤck, als hätte in ein Chaſſeur beim Achſel-
bande; er wollte ſich mit dem Säbel in der Fanſt durch-
ſchlagen, doch dieß ſchien der Ehrenwache gar zu ſehr ge-
gen die Subordination gehandelt; und ehe der Pallaſch
aus der Scheide war, lag der Cornet auf der Erde, Sul—-—
tan ſtand auf ihm und brüllte mit der Stimme einhs Lö-
wen ſein Siegeslicd. ö
„Aber in's Henkers Namen, machen Sie doch fort!
Glauben Sie ſich denn ſo ſicher?“ wiederholte der vor dem
Fenſter haltende Reiter. „So helft mir doch!“ ächzte der
Cornet. Der Prediger hörte dieſen Stoßſeufzer. Die Rei-
ter ſtiegen ab, traten in die Stube und wer konnte ihnen
verdenken, daß ſie laut auflachten, da ſie ſahen, wie höf-
lich und beſcheiden der Cornet gegen den Hund war.
„Was haben Sie denn mit dem Hunde?“ — „Ach
Gott! ich weiß nicht“, war die Antwort des immer noch
unter den Vorderfüßen des Hundes auf der Erde liegen-
den und todtenbleichen Offiziers. ö
Der Prediger merkte wohl, daß dieſes von ſeinem
Sohn herrühre; er rief ihn, allein vergebens. Zum Un—-
glück hatte Sultan ſeinen Dienſt ſo gelernt, daß er von
Niemand Gegenbefehl annahm, als von dem, der ihm
den erſten Befehl gegeben hatte. Unſer Cornet mußte alſo
im Arreſt bleiben, bis der Sohn des Pfarrers ankam.
Zum Glück kam er bald und ſein: „Sultan, laß den Re-
kruten paſſiren!“ gab dem Gefangenen die Freiheit wieder.

Transatlantiſche Viſionen.
(Schluß.)

Eine eigenthümliche Geſellſchaft aber treffen wir in
den Tombs, d. h. Grabgewölben. So werden die offi-

ciell „Halls of Juſtice“ genannten Gebäude richtiger be-

ſpitznamſt, weil ſie in der That ein Hohn auf die Hu-
manität und die amerikaniſche Freiheit ſind. Während die
großen Spitzbuben dem zehnmal verdienten Strang und
Zuchthaus durch das beliebte Univerſalmittel der Dollars
entgehen, treibt ſich hier je in einem Hofraum, an deſſen
Wänden Anhaltspunkte für einen ſinnigen Hängeapparat
angebracht find, eine Geſellſchaft von ca. 100 Perſonen
 
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