Nr. 73.
Mittwoch, den 11. September 1872.
5. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer 3 2 kr. Man abonnirt in der Druckerer, Schi, aſſel
ö und ber den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Johannes Guttenberg und Peter Schöffer.
(Schluß.) ö
Er hob ſie auf und trug ſie auf ein im Zimmer
befindliches Ruhebett; ſie athmete noch, aber nur ſchwach,
und ihre Augen waren noch i mer geſchloſſen. Schöffer
begriff jetzt Alles und fragte ſo den Freund nicht; auch
hatte der Junker für nichts in dieſem Augenblicke
Sinn, als für Enneli, und ſchien ſeine Gegenwart
gänzlich zu überſehen.
Guttenberg begab ſich, als er ſich etwas gefaßt
hatte, zu dem Wirthe hinunter und nahm die Hülfe
deſſelben für die Ohnmächtige in Anſpruch. Man trug
ſie in ihre Kammer und ſandte nach Meiſter Helmin-—
gius, der ſich bald einfand; der Junker wich nicht von
Enneli's Lager.
„Hier,“ ſagte der Arzt, der den Puls der Kran-
ken, die noch immer mit feſtgeſchloſſenen Augen da-
lag, ſorgſam unterſucht hatte, zu Gutt⸗nberg, „hier
wird wenig mehr zu thun ſein; der unerbittliche Tod
entfaltet bereits ſiegreich ſein Panier, und das Leben
eilt, von ihm in die Flucht geſchlagen, unaufhaltſam
davon. Doch wohl ihr! was iſt Lehen noch für den,
in dem der göttliche Funke der Vernunft erloſchen iſt,
als ärgerer Tod, denn des Leibes? Wohl ihr, wenn
ſie ſchmerzlas hinüberſchlummert — und das wird ſie
— die nur unter Thränen und Schmerzen lebte!“
Seine Prophezeihung traf ein; der Starrkrampf,
der die Unglückliche beim Anblicke des ſo lange Er-
ſehnten, laͤnge Erwarteten ergriffen hatte, ließ nicht
wieder von ihr; die durch ihn ſtarr und ſteif gemachten
Glieder erhielten ihre Biegſamkeit nicht wieder, und
bald erloſch auch der letzte Anſchein von Leben, der die
datte Enneli's zur Eiſernen Thüre bis dahin beſeelt
atte.
So hatte ſie doch Recht gehabt, daß ſie den ge-
liebten, treuloſen Mann noch wiederfinden würde ö
Guttenberg redete nicht, klagte nicht;
erſtarrt; dann drückte er einen Kuß auf die erbläichte
Stirne, betrachtete noch einmal die ihm nur zur wohl
bekannten Züge des Geſichtes, das ihm zuerſt Liebe ge-
lächelt hatte, und begab ſich zu Schöffer hinauf.
„Der Wittwer Enneli's ſteht vor Euch,“ ſagte er
mit bebender Stimme, indem er dem Freunde die Hand
reichte; „ja, wenn Ihr wollt, ihr Mörder!“ Seine
Stimme brach bei dieſen Worten, ſein Geſicht war
ſo bleich, daß Schöffer das innigſte Mitleid mit dem
er warwie-
ben einräumen,“
unglücklichen Freunde fühlte, und ſeinen eigenen Schmerz
einen Augenblick darüder vergaß.
„Ich wollte der Liebe gar kein Recht über das Le-
fuhr Guttenberg wehmüthig fort,
„ich verachtete ſie, ich hielt ſie für einen erniedrigenden
Trieb der Seele, für unvereinbar mit allen höheren
Beſtrebungen; ich begreife jitzt, in dieſer Stunde, daß
ſie uns etwas ſein kann, ſein muß — vielleicht iſt ſie
uns gar Viel und nothwendig zur Entwickelung des
Daſeins; der Menſch bleibt Knospe, ſo lange er nicht
geliebt hat. — Auch ich liebte einſt, liebte ſie, die
jetzt aus Liebe zu mir geſtorben iſt, deren Geiſt Nacht
umhüllte, als ich ſie verließ. Mein Herz, das einige
Zeit nur für ſie geſchlagen hatte, entbrannte in einer
höheren, mächtigeren Liebe für die Kunſt, und die erſte,
die Jugendliebe meines Herzens erloſch in dem hellen
Sonnenſtrahle der Allgewaltigen. Ich ſagte Enneli
dies offen — ich bat ſie, mir meine Freiheit wieder-
zugeben: ich beſchwor ſie darum; ſie wollte nicht dar-
auf hören; ſie hoffte vielleicht, mich noch wieder in den
Zauberkreis zurückzuführen, in dem ſie mich früher ge-
bannt gehalten hatte; ich aber wußte, daß dies nicht
möglich ſein würde. Wir verſtanden uns nicht mehr.
— Es traten Fremde zwiſchen uns, ein Anverwandter;
man machte mir zu Straßburg einen häßlichen Prozeß,
denn ich natürlich verlor — ich bin nicht glücklich in
Prozeſſen, wie Ihr wißt — und das Ende davon war,
daß ich Enneli meine Hand am Altar reichen mußte.
Dies brachte mich noch mehr auf, und nach der Trau-
ung ſchwang ich mich auf mein Roß, um die mir Auf—⸗
gedrungene nie wieder zu ſehen, wie ich ihr und mir
ſelbſt gelobt“ ...
Guttenberg ſchwieg hier; er verſank in ein trübes
Nachſinnen, aus dem er endlich, da Schöffer, der ihm
keinen Troſt zu geben wußte, ihn nicht unterbrach, mit
den Worten erwachte— ö
„Das Ende dieſer traurigen Geſchichte wißt Ihr:
Enneli iſt todt — und mein Gewiſſen für immer ſchwer
belaſtet. Ich war ein elender Selbſtſüchtler, ich dachte
nur an mich, an mein Wohlergehen, nicht auch an Ihr
Glück, nicht daran, welche gerechte Anſprüche auch ſie
an Glück und Leben zu machen habe: ich, ich hatte für
das entſchwundene, in meinem Herzen erloſchene Lie-
besglück durch die Kunſt Erſatz gefunden — ſie behielt
nichts, als das Andenken an die Grauſamkeit des Man-
nes, den ſie ſo innig geliebt; ihr Antheil waren Thrä-
nen, Wahnſinn, Tod!“
Schöffer war noch immer zu bewegt und ergriffen
Mittwoch, den 11. September 1872.
5. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer 3 2 kr. Man abonnirt in der Druckerer, Schi, aſſel
ö und ber den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Johannes Guttenberg und Peter Schöffer.
(Schluß.) ö
Er hob ſie auf und trug ſie auf ein im Zimmer
befindliches Ruhebett; ſie athmete noch, aber nur ſchwach,
und ihre Augen waren noch i mer geſchloſſen. Schöffer
begriff jetzt Alles und fragte ſo den Freund nicht; auch
hatte der Junker für nichts in dieſem Augenblicke
Sinn, als für Enneli, und ſchien ſeine Gegenwart
gänzlich zu überſehen.
Guttenberg begab ſich, als er ſich etwas gefaßt
hatte, zu dem Wirthe hinunter und nahm die Hülfe
deſſelben für die Ohnmächtige in Anſpruch. Man trug
ſie in ihre Kammer und ſandte nach Meiſter Helmin-—
gius, der ſich bald einfand; der Junker wich nicht von
Enneli's Lager.
„Hier,“ ſagte der Arzt, der den Puls der Kran-
ken, die noch immer mit feſtgeſchloſſenen Augen da-
lag, ſorgſam unterſucht hatte, zu Gutt⸗nberg, „hier
wird wenig mehr zu thun ſein; der unerbittliche Tod
entfaltet bereits ſiegreich ſein Panier, und das Leben
eilt, von ihm in die Flucht geſchlagen, unaufhaltſam
davon. Doch wohl ihr! was iſt Lehen noch für den,
in dem der göttliche Funke der Vernunft erloſchen iſt,
als ärgerer Tod, denn des Leibes? Wohl ihr, wenn
ſie ſchmerzlas hinüberſchlummert — und das wird ſie
— die nur unter Thränen und Schmerzen lebte!“
Seine Prophezeihung traf ein; der Starrkrampf,
der die Unglückliche beim Anblicke des ſo lange Er-
ſehnten, laͤnge Erwarteten ergriffen hatte, ließ nicht
wieder von ihr; die durch ihn ſtarr und ſteif gemachten
Glieder erhielten ihre Biegſamkeit nicht wieder, und
bald erloſch auch der letzte Anſchein von Leben, der die
datte Enneli's zur Eiſernen Thüre bis dahin beſeelt
atte.
So hatte ſie doch Recht gehabt, daß ſie den ge-
liebten, treuloſen Mann noch wiederfinden würde ö
Guttenberg redete nicht, klagte nicht;
erſtarrt; dann drückte er einen Kuß auf die erbläichte
Stirne, betrachtete noch einmal die ihm nur zur wohl
bekannten Züge des Geſichtes, das ihm zuerſt Liebe ge-
lächelt hatte, und begab ſich zu Schöffer hinauf.
„Der Wittwer Enneli's ſteht vor Euch,“ ſagte er
mit bebender Stimme, indem er dem Freunde die Hand
reichte; „ja, wenn Ihr wollt, ihr Mörder!“ Seine
Stimme brach bei dieſen Worten, ſein Geſicht war
ſo bleich, daß Schöffer das innigſte Mitleid mit dem
er warwie-
ben einräumen,“
unglücklichen Freunde fühlte, und ſeinen eigenen Schmerz
einen Augenblick darüder vergaß.
„Ich wollte der Liebe gar kein Recht über das Le-
fuhr Guttenberg wehmüthig fort,
„ich verachtete ſie, ich hielt ſie für einen erniedrigenden
Trieb der Seele, für unvereinbar mit allen höheren
Beſtrebungen; ich begreife jitzt, in dieſer Stunde, daß
ſie uns etwas ſein kann, ſein muß — vielleicht iſt ſie
uns gar Viel und nothwendig zur Entwickelung des
Daſeins; der Menſch bleibt Knospe, ſo lange er nicht
geliebt hat. — Auch ich liebte einſt, liebte ſie, die
jetzt aus Liebe zu mir geſtorben iſt, deren Geiſt Nacht
umhüllte, als ich ſie verließ. Mein Herz, das einige
Zeit nur für ſie geſchlagen hatte, entbrannte in einer
höheren, mächtigeren Liebe für die Kunſt, und die erſte,
die Jugendliebe meines Herzens erloſch in dem hellen
Sonnenſtrahle der Allgewaltigen. Ich ſagte Enneli
dies offen — ich bat ſie, mir meine Freiheit wieder-
zugeben: ich beſchwor ſie darum; ſie wollte nicht dar-
auf hören; ſie hoffte vielleicht, mich noch wieder in den
Zauberkreis zurückzuführen, in dem ſie mich früher ge-
bannt gehalten hatte; ich aber wußte, daß dies nicht
möglich ſein würde. Wir verſtanden uns nicht mehr.
— Es traten Fremde zwiſchen uns, ein Anverwandter;
man machte mir zu Straßburg einen häßlichen Prozeß,
denn ich natürlich verlor — ich bin nicht glücklich in
Prozeſſen, wie Ihr wißt — und das Ende davon war,
daß ich Enneli meine Hand am Altar reichen mußte.
Dies brachte mich noch mehr auf, und nach der Trau-
ung ſchwang ich mich auf mein Roß, um die mir Auf—⸗
gedrungene nie wieder zu ſehen, wie ich ihr und mir
ſelbſt gelobt“ ...
Guttenberg ſchwieg hier; er verſank in ein trübes
Nachſinnen, aus dem er endlich, da Schöffer, der ihm
keinen Troſt zu geben wußte, ihn nicht unterbrach, mit
den Worten erwachte— ö
„Das Ende dieſer traurigen Geſchichte wißt Ihr:
Enneli iſt todt — und mein Gewiſſen für immer ſchwer
belaſtet. Ich war ein elender Selbſtſüchtler, ich dachte
nur an mich, an mein Wohlergehen, nicht auch an Ihr
Glück, nicht daran, welche gerechte Anſprüche auch ſie
an Glück und Leben zu machen habe: ich, ich hatte für
das entſchwundene, in meinem Herzen erloſchene Lie-
besglück durch die Kunſt Erſatz gefunden — ſie behielt
nichts, als das Andenken an die Grauſamkeit des Man-
nes, den ſie ſo innig geliebt; ihr Antheil waren Thrä-
nen, Wahnſinn, Tod!“
Schöffer war noch immer zu bewegt und ergriffen