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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 10 - Nr. 17 (3. Februar - 28. Februar)
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Nr. 16.

Samſtag, den 24. Februar 1872.

5. Jahrg

icheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schi anſſe 4
und bei dea Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Incognito's.
Erzählung von Guſtav Nieritz.

(Fortſetzung.)

„General Napp machte es allerdings klüger,“ ent-
gegnete ein Mann mit breitem, abgelebtem Geſicht „Die-
ſer ließ ſeinen Soldaten Weſten und Beinkleider aus den
engliſchen Waaren verfertigen.“ ö
„Man könnte ihn daher mit Recht den neuern Cri-
ſpin nennen!“ ſprach Adolph bitter. Verſtohlen zupfte
ihn Hugo am Rocke. Jener ſah ihm in das beſorgt blickende
Auge und ſchwieg. ö ö
„Der heilige Criſpin war ein Ehrenmann,“ rief Je-
ner, „welcher wegnahm, wo es nichts nützte und hinthat,
wo es fehlte und General Rapp iſt es noch. Selbſt das
Verbrennen der engliſchen Waaren kann ich nicht tadeln.
Die aufgeblaſenen, dummſtolzen Britten verdienen es nicht
beſſer.“
„Ei!“ erwlderte das Mädchen, „ihnen widerfährt da-
durch kein Schade. Freuen werden ſie ſich über eine Hand-

lung, welche ihnen nur vermehrte Abnahme ihrer Erzeug-
niſſe verheißt. Das heißt, nach meiner Einſicht, die Pferde

hinter den Wagen ſpannen.“ ö
„Allerdings erſcheint Ihre Einſicht nur gering,“ ant-
wortete der Mann anzüglich, „indem ſie die Handlungs-
weiſe des großen Kaiſers zu tadeln ſich unterfangeen. Er
iſt die Sonne, von der alle andern Völker und Fürſten ihr
Licht erhalten. Sein unendliches Genie allein hat den
Sauerteig der beklagenswerthen Vorzeit beſeitigt und Deutſch-
land auf den Glanzpunkt erhoben, auf welchem es gegen-
wärtig ſteht. Nur er vermag uns von der ſchmählichen
Sklaverei der Engländer zu befreien, in welcher wir Zucker-
und Kaffee⸗gewohnten Deutſchen ſeit Jahrhunderten ſchmach-
teten.
„Sie ſind ein Deutſcher?“ fragte hier ein bis jetzt
ſtumm gebliebener Paſſagier aus dem Hintergrunde der
Kutſche. Aller Augen richteten ſich auf den Frager. Es war
ein Mann in den dreißiger Jahren; das etwas gelbbleiche
Angeficht faßte ein rabenſchwarzer Backenbart ein; ein
Paar kleine, ſtechende Augen blitzten unter buſchigten
WMaunen hervor. Der gewählten Kleidung nach gehörte
er dem höheren Stande an. ö
„Sie ſind ein Deutſcher?“ wiederholte er, ohne eine
Antwort abzuwarten, — „und preiſen Ihr Vaterland in
ſeiner tiefſten Erniedrigung? Ha! gewiß hat franzöſiſches

hier den Stöpſel dazu,
wir Eins ohne das Andere nicht beſtehen können und da-

der Franzoſe ſtreng.

Gold Sie zum Lobhudler des großen Tyrannen beſtochen-
Elender, erbärmlicher Menſch!“ Er wendete ſich zu den
beiden Freunden. „Ich bin ein Schwede, meine Herren!.
Wäre ich ein Deuiſcher wie Sie: ich würde dem lügen-
haften Schwätzer da gewaltſam den Mund ſtopfen. Ver-
mögen Sie die Schmähungen Ihres Vaterlandes ſo ruhig
zu ertr agen?ꝰ
„Sie' haben Recht!“ ſprach Adolph —
„Hüten Sie ſich!“ warnte Hugo.
Der Geſcholtene aber zog ſein geiſtleeres Geſicht in
höhniſche Falten und rief verächtlich: „Ein Schwede?
Guſtav Adolpoh war nur ein ſchülerhafter Stümper ge-
gen Napoleon f᷑ ö
Der wüthend gemachte Schwede wollte ohne Weiteres
über den Schmähſüchtigen herfallen, allein dieſer entzog ſich
durch eine ſchleunige Flucht aus dem Poſtwagen dem dro-
henden Ungewitter. Nach ſeiner Entfernung vertiefte ſich
der Schwede und Adolph in ein warmes, auf die neuern
Welthändel Bezug habendes Geſpräch. Letzterer wurde
faſt unwillig über das oft wiederholte Zupfen am Rocke
und das mißbilligende Brummen Hugo's.
In ihrer beiderſeitigen Vertiefung bemerkten die Spre-
chenden nicht, daß der Wagen ſtill ſtand.
„Was giebt's, Schwager?“ rief Hugo hinaus. Siatt
der Antwort des Poſtillons zeigte ſich die große Bären-
mütze eines franzöſiſchen Gensd'armes an dem Kutſchen-
ſchlage.
„Wer ſind Sie? woher? wohin? Ihre Namen,
Messieurs et mes dames!“ ſprach ihr Beſitzer.
Die Frauen erklärten ſich billig zuerſt. Als die Reihe
darauf an Adolf kam, verhehlte dieſer ſeine Empfindlich-
keit nicht, daß er in einem deutſchen Lande von einem
franzöſiſchen Beamten angehalten und verhört werde.
„Mein Kaiſer,“ war die Antwort, „weiß ſeine Feinde
überall aufzufinden und zu züchtigen. Kein Land zieht ihm
in dieſer Hinſicht eine behindernde Gränze. Ihr Name,
mein Herr?“
„Nun wohl!“ rief Adoloh mit erzwungener Luſtigkeit.
„Sie erblicken in mir eine Bouteille und in meinem Freunde
ö Sie begreifen deßhalb leicht, daß

rum immer vereint bleiben müſſen.“
„Sans badinage! wenn ich bitten darf!“ entgegnete

„Im Ernſt, mein Herr! Mein Name iſt Adolph
Flaſch und der meines Freundes: Hugo Kork. Wir
haben unſere Studien auf der Univerſität Leipzig beendet
und gedenken uns nun in der weſtphäliſchen Haußptſtadt zu
 
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