Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

DOI Kapitel:
Nr. 10 - Nr. 17 (3. Februar - 28. Februar)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.44618#0064

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
6⁰

Die groß freiwil-
lig Selbſchtbeſchtei-
erung, die jetzt in
Frankreich Moode
worre is, loßt noch
ſehr viel zu winſche
iwerig, um die gran-
de Nation vun der
Occupation d'r ſo-
genannte deitſche
Barbare zu befreie.
Finf Milliarde ſinn
halt ke Käſebrod. Un
große franzeeſche
Meiler, die mit de
Milliarde norr ſo
um ſich ſchmeiße, als
kennte ſe alle Aage-
blick uff'm Diſch
ligge, um uns mit
zu bezahle, werre
awer an Zahlungs-
ſchtaͤtt nit angenum-
me. De Herrn Fran-
zoſe bleibt alſo nix
iwerig, als uff e
jed Schtreichholz
Schteier zu leege un —
zwar e Mußſchteier, dann die ecgeillig langt nit for den
dumme Schtreech, den 's Luiche III. gemacht. Daß awer
die franzeeſch Nattonalverſammlung in letſchter Zeit alle
Dag Händl g'hatt, welles Schteterobject 's beſchte wär,
ohne de Franzoſe zu weh zu dhun, is bekannt! Dir alte
Thiers hätt jo beinah dawege abgedankt. Um jetzt denne
Franzoſe e biſſl aus d'r Noth zu helfe, ſoll kerzlich fol-
gendes:
„Schreiben eines Schwarzwälders an Herrn Thiers in
Paris“ ö — abgange ſein.
„Alſo auch das noch! Ihr findet keine Steuerobjekte
mehr. Wo ſind eure Finanzgrößen? Kein einz'ger tüch-
tiger Steuermann mehr in dem großen Lande der Civilt-
ſation? Auch hier muß Ihr Untverſal-Genie Rettung
ſchaffen. Ein Kaiſerreich für eine Idee! Eine Idee?
En voilâ une! Eine Rohſtoff-Idee! Das iſt's. Aber
warum gehen Sie nicht weiter? Gibt es nicht noch an-
dere Stoffe ?, Stickſtoff, Sauerſtoff — he? — Geht Ih-
nen ein Licht auf? Sehen Sie, ich bin ein Deutſcher!
und noch dazu ein Schwarzwälder, Einer, der auf der Pe-
troleumsliſte ſtand. Aber der Deutſche vergißt leicht. Er
hat ein cosmopolitiſches Herz. Ich leihe Ihnen meinen
Finanzkopf auf einige Tage und — Sie ſind gerettet. Hö-
ren Sie. Sie müſſen das Uebel an der Wurvel faſſen
und zwar an der Haarwurzel. Warum? Ich will es
Ihnen ſagen. ö
Iſt der Krieg von den Franzoſen nicht an den Haa-
ren herbeigezogen worden? Iſt das richtig — und Sie
haben es im geſetzgebenden Körper zugegeben — dann wiſ-

D'r Nagglmaſier.

In die Haare!
der ſoll es auch curiren.

ſen Sie, wohin Sie zu greifen haben:
Wer das Uebel verſchuldet bat,
Similia similibus. Die Franzoſen müſſen Haar laſſen,
ſie müſſen zahlen. Mein Vorſchlag iſt der: Für jedes
Haar, ſei es natürlich oder künſtlich an dem Kopfe befe-
ſtigt, zahlt der Inhaber einen Centime. Einen Centime
— hören Sie, nicht mehr. Eine wahre Bagatelle! Und
doch wird Ihr Pouyer-Quertier jubeln. Ich will Ih-
nen den Budgetſatz bilden. Nach meinen Erfahrungen,
die ich im Kriege gemacht — ich bin Ihren Landsleuten
viel in den Haaren gelegen, zählt jeder Franzoſe, ohne Un-
terſchied des Geſchlechts durchſchnittlich 30,000 Haare, wo-
bei Backenbart, Schnurres und Chignons mitgerechnet ſind.
Nun hat Frankreich 36 Millionen Einwohner. Multi-
pliciren Sie einfach und Sie haben einen Budgetſatz von
zehn Milliarden und achthundert Millionen Franken weni-
ger dreihundert Franken für das Staatsoberhaupt, das ich
prinzipiell von der Steuer befreit wiſſen will, da man nicht
weiß, wie es ſich ſelbſt jeden Augenblick die Haare aus-
rauft, oder wie ſie ihm von dem Pöbel ausgerauft wer-
den. Sollten Sie ein Haar in meinem Vorſchlag finden,
ſo beſteuern Sie es nur gleich und belaſten Sie mich mit
einem Centimen! Hat Einer Haare auf den Zähnen, ſo
beſteuern Sie ihn doppelt. Rochefort kann zahlen. Gam-
betta auch, Sonſt haben Sie ja wohl Niemand, der von
dieſer Härte betroffen werden könnte?
Mein Vorſchlag hat auch noch eine politiſche Bedeu-
tung. Nur dann, wenn alle Franzoſen und Franzöſinnen
über einen Kamm geſchoren werden, haben Sie die wahre
Egalité. Und diejenigen, die ſich etwa beim Enregiſtre-
ment die Haare ausraufen, die gewinnen einen neuen Bo-
den für ihre politiſchen Anſchauungen, da ſie durch das
Strohdach, welches bisher den Schädel bedeckte, unmöglich
einen klaren Blick werfen konnten. Sie gewinnen auf die-
ſem Wege eine Menge Plato's und Periceles. Und
der ewige Tadel Ihrer Nation hört auf, wenn das Eau
de Lob zu einem geſuchten Artikel wird, denn Ste dann
wiederum beſteuern können. Warum wollen Sie nur das
Haar der Lämmer beſteuern? Steht der Menſch niederer
als dieſes Thier? Sind vor Ihrem Geſetze nicht Alle
gleich — Menſchen- wie Schafsköpfe? Und hat das
Schaaf nicht oft ſchon ſeinen Vließ an die Damen abge-
geben, um die Chignons zu einem menſchenwürdigen An-
ſehen zu erheben? Alſo ſchon des Schmuggels wegen —
Gleichheit in Behandlung der Steuerobjecte. Noch Eins,
Herr Präſident. Ihre Eigenſchaft als Univerſal-Heil-
künſtler iſt berühmt. Wiſſen Sie, welch' immenſen Erfolg
die allgemeine Schur — neu geſchoren laſſen ſich die Haare
genau kontroliren — noch in anderer Beziehung haben
wird? Im Rauſche haben die Franzoſen den Krieg un-
ternommen! Nach einem bekaͤnnten Naturgeſetze folgt je-
dem Rauſche ein Katzenjammer. Ich glaube, Sie heißen
das: mal aux cheveux. Schneiden Sie die chevoux
ab, ſo verliert das Uebel ſeinen Sitz. Nun überlegen Sie
meinen Vorſchlag. Laſſen Sie die Rohſtoffidee ſahren,
greifen Sie zur Scheere. Sie guter, treuer Finanzhirt.
Bedenken Sie Boni pastoris est pecus tondere et
non deglubere.“

Druck von G.=Mohr. — Verlag von G. Geiſendörfer.
 
Annotationen