Nr. 94. ö
Samſtag, den 23. November 1872².
5. Jahrg.
erſ cheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 15 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckeret, Schen ga ſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö
Die Zuchthäuslerin.
Novelle von J. Krüger.
(Fortſetzung.)
Von ihren Eltern einfach und ſtreng erzogen, war
ſie an Gehorſam und Unterwürfigkeit gewöhnt, woraus
der liſtige Freier ſchloß, daß ſie ſich auch der Herrſchaft
des künftigen Gatten, demüthig unterwerfen und ihm
freie Hand in ſeinen Vergnügungen außerhalb der Häus-
lichkeitlaſſen werde. Genug, die Eltern hatten ſich ge-
ehrt gefühlt, einen dem Namen nach reichen Eidam zu
erhalten und die Ehe zwiſchen Alfred und Cäcilie war
vollzogen worden, von ſeiner Seite mit dem Schein der
Liebe für das noch ſehr junge und hübſche Mädchen,
von der ihrigen aber nur mit dem Gedanken, daß es
ihre Pflicht ſei, wie in allen Dingen, auch bezüglich einer
Heirath dem Willen der Eltern keinen Wiederſpruch
entgegen zu ſetzen. — Nachdem Beide eine längere Hoch-
zeitsreiſe gemacht, hatten die Neuvermählten noch kurze
Zeit auf Handorf gelebt. Dann aber hatte Alfred ſich
in ſeinen neuen Verhältniſſeu zu langweilen angefangen.
Wie hätte auch derjenige, der das berauſchende Getränk
der Wolluſt ſchon bis auf die Hefen getrunken, an der
ſchönen, aber ſanften und nichts weniger als koketten
Frau auf die Dauer Gefallen finden können? Sein
Bruder, der Gardeoffizier, lebte ſeit vielen Jahren in
der Reſidenz und genoß dort alle Freuden, die ein groß-
ſtädtiſches Leben in Fülle bietet. Warum ſollte er es
nicht auch genießen, hatte er doch ſeiner Meinung nach
ein größeres Anrecht darauf, als Kurt, da er das künf-
tige Haupt der Familie war. Schon ſechs Wochen nach
ſeiner Vermählung führte er ſeinen Vorſatz aus und
vertauſchte Schlos Handorf mit einer glänzend einge-
richteten Wohnnng, in der Reſidenz, ſeine Eltern einſam
auf dem Schloſſe zurücklaſſend. ö
In der Zeit, wo Cäcilie mit der Gräfin von Bari-
koff bekannt wurde, hatte Alfred mit ſeiner Gattin ſchon
nahe an drei Jahre dort gelebt. Er hatte ſich ſeinen
wilden Leidenſchaften noch zügelloſer als früher über-
laſſen und die meiſten Tage und Nächte des Jahres
mit ihm gleichgeſinnten Cavalieren, deren eine große
Anzahl in der Reſidenz war, in wüſten Orgien ver⸗—
ſchwelgt. Was hätten dieſem Menſchen auch die Thrä-
nen, das immer bläſſere Ausſehen ſeiner Gattin ge-
kümmert? Ja, war er doch ſelbſt in der Nacht nicht
als Troſt bei ihr geblieben, wo ſein einziges Kind in
die Erde geſenkt worden, und hatte in der Spielgeſell-
ſchaft ſeinen eben nicht allzuſchweren Schmerz über den
Verluſt des holden Kleinen zu betäuben geſucht. Ja,
die arme Cäcilie hatte Grund, ſich unendlich elend zu
fühlen. Wußte ſie doch, daß, was ſie litt, noch nicht
auf ſeinem Gipfel angelangt war und in Zukunft ihr
noch ein viel größeres Unglück drohte. Frau von Ba-
rikoff hielt Wort. Nur zwei Tage vergingen, da erhielt
Cäcilie von Handorf eine Einladung von der Gräfiu,
ſie privatim am nächſten Tage zu beſuchen. Sie hielt
es für ihre Pflicht, ihrem Gatten von dieſer Einladung
eine Mittheilung zu machen. ö
„Es iſt eine noch junge, ſehr liebenswürdige Dame,“
ſagte ſie. „Die Gräfin hat auf dem vorgeſtrigen Baälle
mir ihre Freundſchaft angebotiz Ich fühle mich zu
Hauſe, da Du ſelten in meiner Geſellſchaft biſt, oft ſehr
einſam und verlaſſen:
Vielleicht würde der Umgang
mit ihr mich etwas erheitern und Du weißt, daß ich
deſſen bedarf. Drr Gram um den Tod unſeres Kindes
hat an meiner Geſundheit gezehrt und wird wohl nie-
mals erlöſchen.“
Alfred hatte nichts dagegen, und konnte es auch
nicht, da es ja gleichſam eine Ehre für ſeine Gattin
war, den nähern Umgang einer ſo hochſtehenden Dame
zu genießen.
Zudem hatte er mit ſeinen Freunden für den fol-
genden Tag einen Ausflug nach einem nahegelegenen
Orte, wo eine heimliche Spielbank etablirt war, verab⸗—
redet, weßhalb ihm die Einladung für ſeine Gattin ganz
willkommen. Kam er von derſelben ſpät nach Hauſe,
ſo würde ſie ihn vielleicht mit weniger traurigem Ge-
ſichte empfangen. Er gab alſo ſeine Einwilligung und
entfernte ſim dann, um in einer benachbarten Condi-
torei zu frühſtücken. — Am andern Tage Nachmittags
fuhr Frau von Handorf nach dem Hotel des ruſſiſchen —
Geſandten. Sie wurde von der Gräfin ſo herzlich em-
pfangen, als wenn Beide ſchon Jahrelang vertraute
Freundinnen geweſen wären. Der Geſandte hatte ſich
kurz vor dem Eintritte der Baronin in Geſchäften, die
ſeinen hohen Poſten betrafen, vom Hauſe entfernt.
Seine Frau erwartete ihn jedoch nach Verlauf von ei⸗—
nigen Stunden zurück und dann, wie ſie ſagte, würde
es ihm Vergnügen gewähren, die Bekanntſchaft einer
jungen Dame zu machen, von der ſeine Gattin ſich ſo
ſehr angezogen gefühlt hätte. — Welche Mutter, der
der Himmel liebliche Kinder geſchenkt, möchte nicht ſolche
gern einer neuen Freundin vorführen? Was man ſelbſt
liebt, mag man auch von Andern, wenn auch nicht glei⸗—
Samſtag, den 23. November 1872².
5. Jahrg.
erſ cheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 15 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckeret, Schen ga ſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö
Die Zuchthäuslerin.
Novelle von J. Krüger.
(Fortſetzung.)
Von ihren Eltern einfach und ſtreng erzogen, war
ſie an Gehorſam und Unterwürfigkeit gewöhnt, woraus
der liſtige Freier ſchloß, daß ſie ſich auch der Herrſchaft
des künftigen Gatten, demüthig unterwerfen und ihm
freie Hand in ſeinen Vergnügungen außerhalb der Häus-
lichkeitlaſſen werde. Genug, die Eltern hatten ſich ge-
ehrt gefühlt, einen dem Namen nach reichen Eidam zu
erhalten und die Ehe zwiſchen Alfred und Cäcilie war
vollzogen worden, von ſeiner Seite mit dem Schein der
Liebe für das noch ſehr junge und hübſche Mädchen,
von der ihrigen aber nur mit dem Gedanken, daß es
ihre Pflicht ſei, wie in allen Dingen, auch bezüglich einer
Heirath dem Willen der Eltern keinen Wiederſpruch
entgegen zu ſetzen. — Nachdem Beide eine längere Hoch-
zeitsreiſe gemacht, hatten die Neuvermählten noch kurze
Zeit auf Handorf gelebt. Dann aber hatte Alfred ſich
in ſeinen neuen Verhältniſſeu zu langweilen angefangen.
Wie hätte auch derjenige, der das berauſchende Getränk
der Wolluſt ſchon bis auf die Hefen getrunken, an der
ſchönen, aber ſanften und nichts weniger als koketten
Frau auf die Dauer Gefallen finden können? Sein
Bruder, der Gardeoffizier, lebte ſeit vielen Jahren in
der Reſidenz und genoß dort alle Freuden, die ein groß-
ſtädtiſches Leben in Fülle bietet. Warum ſollte er es
nicht auch genießen, hatte er doch ſeiner Meinung nach
ein größeres Anrecht darauf, als Kurt, da er das künf-
tige Haupt der Familie war. Schon ſechs Wochen nach
ſeiner Vermählung führte er ſeinen Vorſatz aus und
vertauſchte Schlos Handorf mit einer glänzend einge-
richteten Wohnnng, in der Reſidenz, ſeine Eltern einſam
auf dem Schloſſe zurücklaſſend. ö
In der Zeit, wo Cäcilie mit der Gräfin von Bari-
koff bekannt wurde, hatte Alfred mit ſeiner Gattin ſchon
nahe an drei Jahre dort gelebt. Er hatte ſich ſeinen
wilden Leidenſchaften noch zügelloſer als früher über-
laſſen und die meiſten Tage und Nächte des Jahres
mit ihm gleichgeſinnten Cavalieren, deren eine große
Anzahl in der Reſidenz war, in wüſten Orgien ver⸗—
ſchwelgt. Was hätten dieſem Menſchen auch die Thrä-
nen, das immer bläſſere Ausſehen ſeiner Gattin ge-
kümmert? Ja, war er doch ſelbſt in der Nacht nicht
als Troſt bei ihr geblieben, wo ſein einziges Kind in
die Erde geſenkt worden, und hatte in der Spielgeſell-
ſchaft ſeinen eben nicht allzuſchweren Schmerz über den
Verluſt des holden Kleinen zu betäuben geſucht. Ja,
die arme Cäcilie hatte Grund, ſich unendlich elend zu
fühlen. Wußte ſie doch, daß, was ſie litt, noch nicht
auf ſeinem Gipfel angelangt war und in Zukunft ihr
noch ein viel größeres Unglück drohte. Frau von Ba-
rikoff hielt Wort. Nur zwei Tage vergingen, da erhielt
Cäcilie von Handorf eine Einladung von der Gräfiu,
ſie privatim am nächſten Tage zu beſuchen. Sie hielt
es für ihre Pflicht, ihrem Gatten von dieſer Einladung
eine Mittheilung zu machen. ö
„Es iſt eine noch junge, ſehr liebenswürdige Dame,“
ſagte ſie. „Die Gräfin hat auf dem vorgeſtrigen Baälle
mir ihre Freundſchaft angebotiz Ich fühle mich zu
Hauſe, da Du ſelten in meiner Geſellſchaft biſt, oft ſehr
einſam und verlaſſen:
Vielleicht würde der Umgang
mit ihr mich etwas erheitern und Du weißt, daß ich
deſſen bedarf. Drr Gram um den Tod unſeres Kindes
hat an meiner Geſundheit gezehrt und wird wohl nie-
mals erlöſchen.“
Alfred hatte nichts dagegen, und konnte es auch
nicht, da es ja gleichſam eine Ehre für ſeine Gattin
war, den nähern Umgang einer ſo hochſtehenden Dame
zu genießen.
Zudem hatte er mit ſeinen Freunden für den fol-
genden Tag einen Ausflug nach einem nahegelegenen
Orte, wo eine heimliche Spielbank etablirt war, verab⸗—
redet, weßhalb ihm die Einladung für ſeine Gattin ganz
willkommen. Kam er von derſelben ſpät nach Hauſe,
ſo würde ſie ihn vielleicht mit weniger traurigem Ge-
ſichte empfangen. Er gab alſo ſeine Einwilligung und
entfernte ſim dann, um in einer benachbarten Condi-
torei zu frühſtücken. — Am andern Tage Nachmittags
fuhr Frau von Handorf nach dem Hotel des ruſſiſchen —
Geſandten. Sie wurde von der Gräfin ſo herzlich em-
pfangen, als wenn Beide ſchon Jahrelang vertraute
Freundinnen geweſen wären. Der Geſandte hatte ſich
kurz vor dem Eintritte der Baronin in Geſchäften, die
ſeinen hohen Poſten betrafen, vom Hauſe entfernt.
Seine Frau erwartete ihn jedoch nach Verlauf von ei⸗—
nigen Stunden zurück und dann, wie ſie ſagte, würde
es ihm Vergnügen gewähren, die Bekanntſchaft einer
jungen Dame zu machen, von der ſeine Gattin ſich ſo
ſehr angezogen gefühlt hätte. — Welche Mutter, der
der Himmel liebliche Kinder geſchenkt, möchte nicht ſolche
gern einer neuen Freundin vorführen? Was man ſelbſt
liebt, mag man auch von Andern, wenn auch nicht glei⸗—