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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 1 - Nr. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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Mittwoch, den 17. Januar 1872.

5. Jahrg.

cheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 15 kr. Einzelne Nummer à 2 ke. Man abonnirt in der Druckerei, Schiaa

und ber den Trägern.

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Gräſinnen von Schauenſtein.
Novelle von Wilhelm Blumenhagen.
(Fortſetzung.)
„Nein, nein,“ rief die Gräfin lebhaft, „den Raub

könnte ich nicht dulden. Sind doch dieſe Menſchen mir
die Liebſten der Meinen geworden, werden ſie mir doch im-

mer den Mann vergegenwärtigen, der ſie mir erhielt, auch

wenn er lange ſchon und weit in die Ferne gezogen.“ —
Sie wandte ſich mit geſenktem Auge ab und bog ſich lieb-
koſend zu dem jüngſten der Kinder; da öffnete ſich plötz-
lich die Flügelthür, und eine Geſellſchaft rauſchte herein,

die Niemand erwartet hatte, denn mit Erſtaunen erkannte

„die Gräfin in den ſich laut Eindrängenden ihre Tochter,
die Marquiſe Blanda, den Grafen Auguſtin, noch begleitet
von zwei unbekannten Herren, die durch Tracht und Or-
densband ſich als Gäſte vornehmer Art verkündeten. —
Comteſſe Viktorie trat mit kecken Schritten ſofort den
Uebrigen voraus und mit einem ſeltſamen, faſt feindſeligen
Blick ſchnell den ganzen Saal überlaufend, näherte ſie ſich
der Tafel. ö
„Alſo hatte Couſine Blanda nicht Unrecht in ihren
Ahnungen?“ ſprach ſie erhitzt und in bitterem Tone. „Man
feiert zu Hauſe ein Feſt und ſchickte uns fort wie ſtörende
Neidlinge. Eti, Mama, das war recht ſchlecht von Ihnen.“
Die Gräfin ſchien in der Wahl zu kämpfen, wie ſie
dem Uebermuthe ihrer Tochter begegnen ſollte; ihr Geſicht
hatte einen ſchmerzlichen Ausdruck bekommen und des
Obriſten Auge hing feſt und forſchend an dieſem Geſicht.
„Ich hoffte Viktorien einige ſeltene Freudentage zu be-
reiten, wie ſolche Schauenſtein nicht darbot, und von de-
nen ich vermuthete, daß ſie nach ihrem Geſchmack ſein
würden. Die gute Abſicht ſehe ich mit Undank vergolten
und das Räthſel dieſer Luſtfahrt möchte ich mir gelöſet
wiſſen.“ —
Der Gräfin ſanfte Stimme zitterte, indem ſie ſprach.
Graf Auguſtin drängte ſich zum Vorredner und Aus-
gleicher. „Mit dem Schickſal kämpfen ſelbſt die Götter
vergebens,“ fiel er ein. „Jener grauen, boshaften Dame
allein muß unſere herrliche Gebieterin den Ungehorſam ih-
rer Unterthänigen aufbürden.
zende Comteß ſchon Morgens in der Sonnengluth und in
dem afrikaniſchen Staubgewölk eine quälende Migraine,
welche uns Sorgen brachte und der Lieblichen ein Heim-

Freilich bekam unſere rei-

weh weckte. Da fuhr aber der unbeſonnene Leibkutſcher
Mittags mit verwegener Schnelligkeit den Schneckenberg
hinab. Ein unverſchämter Granitblock berührte das Rad,
es zertrümmerte und nur ein kecker Sprung von meinem
Goldfuchs vergönnte mir das Glück, die Karoſſe vor ei-
nem entſetzlichen Sturze, die theuern Damen vor Beſchä-—
digung zu bewahren. O Erlaucht, Sie hätten anſehen
müſſen, wie unſere reizende Viktorta Kutſcher und Vorrei-
ter mit den eigenen Peitſchen züchtigte. Stammt ſie doch
aus einem der älteſten Heldengeſchlechter und unverfälſch-
tes Blut ſtrömt im Herzen unſerer edlen Monarchin. Wir.
waren die letzten in der Feſtkaravane und weit voraus
konnte die übrige Geſellſchaft von dem Unfall keine Kunde
bekommen. So lagen wir gleich Schiffbrüchigen auf dem
ſterilen, ſonnverbrannten Bergrücken, uud mein Vorſchlag
war bereits beifällig angenommen worden, gute Miene zum
ſchlechten Spiel zu machen und auf dem breiten Rücken der
Wagenpferde zur nächſten Station hinzuziehem, da kam ein
Aurtlarcorps wie vom Hiumel geſchnetiet. Dieſe beiden
Herren aus der Reſidenz, Freunde von mir, welche beab-
ſichtigten, mich eines wichtigen Geſchäftes wegen aufzuſu-
chen, rollten zu uns bergherauf. Ihre Equipage nahm
unſere beiden reizenden Ariadnen freundlich auf und ich ver-
gönne mir, unſere Befreier ſofort Erlaͤucht vorzuſtellen.“
Die Fremden näherten ſich, doch die Marquiſe ſtreckte
ihren Arm gegen den Grafen aus und trat in einer thea-
traliſchen Stellung zwiſchen die Sprechenden. „Zuerſt Ehre
und Wort den Damen. mein Graf!“ rief ſie. „Ihre ga-
lanten Freunde werden gern verzethen, wenn wir ihre Prä-
ſentation einige Minuten verzögern.
Wir ſehen überraſcht mitten in einer Feſtſtunde, und
müſſen eilen, unſere Spende auf den Feſtaltar zu legen,
da die mißgünſtige Couſine uns nicht früher dazu gelaf-
ſen. Ach, unſere Florentine iſt tief wie alle ſtillen Waſ-
ſer. Schlau wollte die ſchöne Eva den früheſten Maien-
morgen nach langem Unwetter allein genießen. O, Du
Neidiſche, liebte ich Dich weniger, müßte ich grollen. Du
wollteſt ihn allein hinausführen in das neue Leben, in Luft
und Sonne, den Mann, der lange traurige Wochen hin-
durch unſer einziger Gedanke, unſer einziges Geſpräch ge-
weſen. Die Götter haben gerecht Deinen Eigenſinn be-
ſtraft, Couſinchen, und wir treten in unſere Rechte. Und
Sie, mein herrlicher Obriſt, erinnern Sie ſich nicht mehr
Ihrer dankbarſten Freundin?“
„Die Marquiſin d'Alene, wenn ich nicht irre 2“ fragte
der Obriſt verdüſtert.
„Irren! pfui, wie ungalant!“ rief die Signora aus.
„Der edle Herr commandirte in einer Feſtung. Eine Le-
 
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