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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 88 - Nr. 96 (2. November - 30. November)
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NI. 93.

Mittwoch, den 20. November 1872.

5. Jahrh-

rſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonntrt in der Druckerer, Sthingaſſel
ö und ber den Trägern. Auswärts bet den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Zuchthäuslerin.
Novelle von J. Krüger.
CFortſezung.)

Frau von Handorf ſenkte plötzlich den Blick und:

antwortete nicht. Die Gräfin murmelte ein paar leiſe
Worte in ſich hinein und fuhr dann fort:
„Gewiß ſind Sie ſehr glücklich in Ihren ehelichen
Verhältniſſen?“ ö
Die Lieder der Baronin erheben ſich wieder. Offen-
bar ſetzte ſie dieſe Frage in Verlegenheit. Indem ſie
ſich emporrichtete, verſetzte ſie, wenn auch mit unſiche-
ter Stimme:
„Gewiß bin ich geücklich, Frau Gräſin. Warum
ſollte ich es nicht ſein?“
Durch dieſe Bewegung wurde ihr Hals vollſtändig
dem Auge der Gräfin ſichtbar. Ein koſtbares Collier,
aus Juwelen zuſammengeſetzt, blitzte ihr entgegen. In-
dem ſie es ſah, fuhr ſie zurück und die Worte: „Ah,
dieſe Juwelen! Dieſe Juwelen!“ entbebten ihren Lip-
pen. ö
Frau von Handorf ſah ſie erſtaunt an, betroffen
über den ſeltſamen Ton, der in dieſem Ausrufe lag.
„Warum fällt Ihnen dieſer Schmuck ſo auf, Frau
Gräfin?“ ö ö ö
„Weil — weil ich ihn bewundern muß,“ verſetzte
Frau von Barikoff raſch.
und,“ ſie blickte noch näher darauf hin, „die geſchmack-
volle, wenn auch nicht moderne Faſſung der Juwelen.“
„Der Schmuck iſt nicht neu,“ ſagte die Baronin.
„Es iſt ein Geſchenk meines Mannes, der ihn von ſei-
ner Mutter erhielt. Aufrichtig geſagt, ich trage ihn
nicht gern und nur auf den Wunſch meines Gatten.“
„uUnd weshalb nicht? Verzeihen Sie meine Neu-
gierde,“ ſagte die Gräfin. „Sie wiſſen, dieſe Eigen-
ſchaft iſt unſerem Geſchlechte angeboren.“
„Weil mit dieſem Collier ein ſehr unangenehmes
Ereigniß zuſammenhängt, von dem beſonders der alte
Herr von Handorſ, mein Schwiegervater, ſchmerzlich
betroffen wurde.“ ö
„Ich bitte, erzählen Sie,“ drängte die Gräſin.
„Dieſer Schmuck,“ begann die Baronin, „ein Braut-
geſchenk meiner Schwiegermutter, das ſie beſonders hoch-
ſchätzte und nur bei feſtlichen Gelegenheiten trug, wurde
ihr einſt von einem jungen Mädchen geſtohlen, das mein
Schwiegervater als Waiſe aus Barmherzigkeit zu ſich

„Dieſes Feuer der Steine

genommen und, weil es ein liebenswerthes Geſchöpf,
ſein ganzes Herz an daſſelbe gehängt hatte.“
Nachdem das Mädchen vier volle Jahre im Schloſſe
gelebt und von dem Freiherrn und ſeiner Gattin wie
eine Tochter gehalten worden, entfloh ſie mit ihrer Er
zieherin eines Nachts, nachdem ſie zuvor die Juwelen
geraubt, ohne einen triftigen Grund für ihr Entweichen
angeben zu können, oder zu wollen. Dieſe Flucht wurde
durch das Kammermädchen der Frau von Handorf zu-
fällig entdeckt. Die Flüchtigen wurden eingeholt und
das Collier im Koffer der ſogenannten Adoptivtochter
gefunden. Wie beharrlich ſie auch den Diebſtahl leug-
nete und vor Gericht betheuerte, daß ſie unſchuldig ſei,
ſie wurbe auf mehrere Jahre Zuchthoausſtrafe verur-

theilt.“

Ueber das Antlitz der Gräfin flog es wie ein Schat-
ten. Ihre Brauen zogen ſich dicht züſammen und ihre
Lippen zitterten einige Augenblicke. Doch verſchwanden
dieſe Zeichen einer inneren Bewegung ſchnell wieder,
die von der Baronin nicht geſehen worden, da dieſe
das Auge gewendet hatte. ö *
Nach kurzem Schweigen ſagke Frau von Barikoff:
„War das Mädchen ſchuldig, ſo war die Straſe ge-
recht. War ſie aber trotz aller Beweiſe dennoch un-

ſchuldig und hatte nur eine nichtswürdige Intrigue ſie

in's Verderben geſtürzt — wie mir ſelbſt ein ähnlicher
Fall in Rußland bekannt wurde — dann wehe den

Nichtswürdigen, die der Armen das Brandmal der

Schande aufgedrückt haben. Aber Sie fprachen von
Ihrem Schwiegervater — Sie ſagten, er ſei von die-
ſem Ereigniß ſchmerzlich berührt worden.“
So war es,“ verſetzte die Baronin. „Er hatte das
Mädchen zärtlich geliebt, um ſo ſchwerer mußte dieſer
Schlag den weichherzigen Greis treffen. Seit der Zeit,
wo das Mädchen verurtheilt wurde, zog er ſich von
aller Welt zurück und ſchien alle Lebensfreuden verlo-
ren zu haben. Er übergabh nach einigen Jahren die
Verwaltung ſeiner Güter gänzlich ſeinem älteſten Sohne,
meinem Gatten, der Majoratserbe iſt und verfiel nach
und nach in eine tiefe Melancholie, die wohl erſt mit
dem Leben des jetzt achtzigjährigen Greiſes enden wird.“
Frau von Handorf ſchwieg. Die Gräfin drückte
ihr die Hand.
„Das iſt eine ſehr traurige Geſchichte,“ ſagte ſie.
„Verzeihen Sie, daß ich Sie gebeten habe, mir ſolche
mitzntheilen, da derartige trübe Erinnernngen in die-
fem heiteren Kreiſe Ihnen fern bleiben ſollten. Doch
ich ſehe meinen, Gatten — er ſcheint mich zu ſucheu
 
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