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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 10 - Nr. 17 (3. Februar - 28. Februar)
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berger

Nr. 13.

Mittwach, den 14. Februar 1872.

5. Jahrg

erſ cheint Mittwoch und Samſeag. Preis monatlich 15 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schi aa ſſe 4

und ber den Trägern.

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Gräſinnen von Schauenſtein.
Novelle von Wilhelm Blumenhagen.
Jortſetzung.)

Beruhigt Euch, Kinder; Jeder gehe an ſein Geſchäft,
denn Eure Gräfin iſt gerettet und die Gefahr vorüber.
Danket dem Himmel! Sobald ſie ſich ganz erholt hat,
wird ſie unter Euch erſcheinen.“ — Ein einziger, lauter
Freudenſchrei ſchallte aus dem Getümmel, und Jeder-
mann drängte ſich zu dem Arzte und küßte ihm Hände
und Rockſchooß, als ſei er ein Apoſtel, der ihnen das ewige
Heil verkündet. —

11.

DieIeite Nacht mach jenem unheilvollen Tage war
bereits angebrochen. Durch die früheren Vorgänge auf

Schauenſtein hatte ſich die ehemalige Geſellſchaft fortge-

zogen; und durch eine Reihe von Gewitterſchauern, welche
in jener ominöſen Stunde zum Ausbruch gekommen und
ohne Unterlaß über der Landſchaft gewüthet hatten, waren

nachbarliche Beſuche und Zufuhren abgehalten worden Die

zu einem kleinen, gar engen Kreiſe zuſammengeſchmolzene
Schloßgeſellſchaft ſaß um die leidende Gräfin verſammelt,

doch ſank ihr Geſpräch längſt zur Einſilbigkeit hinab, denn

man hatte ja nur Ein Thema zu verhandeln und noch
dazu ein gar ſchmerzliches, das mit beſonderer Zartheit
behandelt ſein mußte, um Schlimmes nicht ſchlimmer zu

machen und die Troſtloſigkeit der Situation nicht zu ver-
Die eben erfolgte Zurückkunft des Hauptmanns

größern.
von Grath hatte den [kaum in etwas ſtiller gewordenen

Sturm der Empfindungen neuerdings empor gerufen. Auch

er hatte gleich jenen die Spur der Flüchtigen nur wenige
Meilen weit verfolgen können, und ſie dort, wo Waldung
und Berge ihren Anfang nahmen, auf eine unerklärbare
Weiſe verloren. In Hoffnungsloſigkeit verſunken, ſaß
Gräfin Florentine von ihren Freunden umgeben und Nie-
mand empfand die erfriſchende, balſamiſche Luft, welche
durch die geöffneten Fenſter und Thüren einſtrömte, Nie-
mand warf einen Blick hinaus auf den glänzenden Ster-
nenhimmel, auf die erfriſchten Fluren, über denen kein

Windzug ſich regte, und auf denen Gottes heilige Feier-
Auch im Schloſſe war es öde und menſchen-
leer, die Dienerſchaft achtete den Schmerz der Gebieterin
und fühlte ihn mit; düſter brannten die Laternen auf

ſtille ruhte.

Der Obriſt faßte ihre Hand.

den Gallerieen, und der grüne Schirm, welcher die Kry-
ſtalllampe umhüllte, ließ nur eine triſte Dämmerung im
Zimmer walten, durch welche die Geſtalten und Geſichts-—
züge verſchleiert wurden, den Jed weder der Anweſenden
wußte ja, daß er nichts Erfreuliches auf dem Antlitze des
Andern leſen würde, daß er nur Blicken begegnen könne,
in welchen die eigene Traurigkeit ſich vergrößert wieder-
ſpiegeln müßte.
„So ward mir denn abermals die Armſeligkeit des
Menſchenlebens in grauenvoller Nacktheit dicht vor mein
Auge geſtellt,“ ſagte die Gräfin im Tone der ſchmerzlichſten
Reſignation „und es bleibt mir nichts übrig, als die knech-
tiſche, aber endlos folternde Ergebung in die räthſelhafte
Führung der unſichtbaren Macht, vor deren Unbegreiflich-
keit wir erbeben, an die uns keine Frage erlaubt iſt und
deren ſtrenge Hand das ſchwärzeſte der Erdenloſe ſchon
in meine Wiege legte, und die Schuldloſe voraus ver-
dammte.“
„Florentine,“ entgeg-
nete er, „nicht dieſen Ton, der ihre Freunde verwunden
muß! Glauben wir einen Gott und wer könnte ihn mit
offenen Augen, mit geſunden Sinnen nicht glauben, nicht
greifen überall in uns, an uns und außer uns? — Glau-
ben wir einen Gott, ſo müſſen wie auch ſeiner untrügli-
chen Weisheit vertrauen, und in Demuth uns fügen in
den Willen, der nicht allein über dem Einzelweſen, ſon-
dern über einer unbegränzten Welt von geſchaffenen We-
ſen waltet, vor dem nichts geſchieht ohne Zweck, wenn
uns auch die Mittel nicht immer erkennbar oder behag-
lich ſind.“ ö
„O Freund,“ antwortete ſie und fuhr über die naſſen
Augen, „wer trug wie ich, wer trug geduldiger wie ich?
Aber warum ward ich aus dieſer trüben Gewohnheit ohne
meinen Willen in ein Maienlicht geriſſen? Warum ward
mein vertrocknetes Herz mit heißen, jungen Hoffnungen er-
friſcht? Warum ward mir die Fata Morgana eines
Glückes gezeigt, das nur ein flüchtiger Dunſt gebildet?
Darf mein Schmerz das nicht grauſam nennen?“
„Nein, Florentine, meine Liebe iſt kein Nebelgebilde,
meine Treue wird nicht in Dunſt zerrinnen,“ ſagte der
Obriſt bewegt und die Gräfin drückte mit bereuender Haſt
ſeine Hand und legte ihren heißen Mund darauf. „Will
man ſein unabwendbares Geſchick gerecht wägen, ſo ver-
gleiche man ſich nur mit den Unglücklicheren. Florentine,
ich habe geſehen, daß blühende Jünglinge in den Armen
gretſer Väter von unbarmherzigen Bajonnetten zerfleiſcht
wurden; ich habe dabei ſtehen müſſen, als der entmenſchte

Soldat, durch die Hitze des Sturmes zum wüthenden Ti-
 
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