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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 18 - Nr. 26 (2. März - 30. März)
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Nr. 23.

Mittwoch, den 20. März 1872.

. Jahrg.

Erſ cheint Ros und Samſtag. Preis monatlich 12 kr.

und bei den Trägern.

Einzelne Nummer à 2 kr.
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Man abonnirt in der Druckerei, Schi aa ſſe 4

Die Incognito's.
Erzählung von Guſtav Nieritz.
(Fortſetzung.)

Jetzt ſind ſie nicht da, und darum hab' ich freies
Spiel. — Hab' ich nicht Deine Spitzbübereien au den
Tag gebracht? nicht die ſganze, lange Nacht im Klei-
derſchranke wachen müſſen, um hinter Deine Schliche zu
kommen? nicht auf Fietta's Kaffeehauſe, mit Hülfe mei-
nes Gevatters, Dich belauſcht, als Du mit dem blaſſen

Galgengeſichte auf dem Sopha Dich über meine Herren

luſtig machteſt?“
„Höre“ — ſprach hier Chaſſeloup und verſuchte ſein
Geſicht in freundli che Falten zu legen, — „wir haben ge-
ſpaßt. Hier haſt Du einen Dukaten und nun zaudere
Richt⸗Länger⸗—ſonſt fürchte meine Rache“

„O ſeht mir doch den pfiffigen Franzmann, der ſich

von einem dummen Deutſchen hat übertölpeln laſſen! Wie

die Maus in der Falle, ſitzt er da in dem Dinge!“ —

lachte Drobus. „Alle Dukaten der Welt ſind mir nicht
ſo lieb als dieſe Freude. Ich ſoll mich vor Deiner Rache
fürchten!
habe Dich jetzt in meiner Gewalt.“
„Wenn ich Lärm mache,“ ſprach der Franzoſe mit
wuthbebenden Lippen, „ſo wird ſich ſchnell das Blatt
wenden.“
„Verſuch' es, mein Söhnchen!“ entgegnete Drobus
mit Gleichmuth. „Dann wird der Spaß noch launiger
und das Lachchor vielſtimmiger. Allen Mägden, Zofen,
Köchinnen, Dienern und Genoſſen des Hauſes will ich
dann Dein Sündenregiſter aufzählen und was gilt's —
ich habe die Lacher auf meiner Sette! Nun zieh Deinen
Deg en — der Zweikampf beginnt. ö
„Wirklich zog Chaſſeloup denſelben, als er den Auf-
wärter nach der gefüllten Spritze langen ſah. Außer ſich

vor Zorn zielte er mit der Klinge nach deſſen Haupte;
dicht neben demſelben ſauste der kräftig geſchleuderte Stahl

vorbei und fiel klirrend auf die Stufen nieder. Dieſer

Mordverſuch brachte denn auch des Aufwärters kaltes Blut
Einen Waſſerſtrahl nach dem andern ſchoß

in Wallung.
er auf des Capitäns Antlitz herab, welcher nicht wußte,
wohin daſſelbe vor der Taufe zu verbergen. Erſt als der-
ſelbe keine Munition mehr hergab, ruhte des Drobus
Arm, doch nicht deſſen Zunge. Er würde länger noch da-

mit fortgefahren haben, hätte nicht der hinabgeſtürzte

dern gegen den unſchuldigen Flaſch und Kork.

Umgekehrt! zittere vor der meinigen; denn ich

Platzregen die Aufmerkſamkeit der Hausgenoſſen erregt und
ſolche herbeigezogen. Vernichtet, ſchäumend, von Convul-
ſionen geſchüttelt, langte der gebadete Chaſſeloup endlich

unten im Schwanen⸗Behälter an, in welchem der Rache-

ſchnaubende verweilte, bis der Hausraum wieder frei von
Neugierigen war. Bevor er jedoch die Flugmaſchine ver-
ließ, durchſchnitt er noch deren Taue halb mit ſeinem dolch-
ähnlichen Taſchenmeſſer, denſchriſtlichen Wunſch dabei mur-
melnd, daß wenigſtens einer ſeiner Beleidiger dadurch den
Hals brechen möge.

Die Rache.
Der unbeſonnene Drobus hätte ſeinen Heeren kei-
nen empfindlicheren Streich ſpielen können, als indem er
auf eine ziemlich rohe, doch dem Vergehen angemeſſene
Weiſe den elenden Verräther demüthigte. Nicht gegen den
Aufwärter, als den alleinigen Urheber der erlittenen Be-
handlung, richtete Chaſſeloup ſeine ganze Rachſucht, ſon-
Hätten
dieſe die unbefugte Einmiſchung ihres Dieners geahnt,
würden ſie gewiß die ſchnellſten Anſtalten zu ihrer Sicher-
ſtellung getroffen haben; bevor ſie aber die leiſeſte Hue
davon erhielten, hatte Chaſſeloup beretts ſeine Blitze nie-
bergegämcraan
Der frohen Hoffnung voll, ihre Wohnung von einem

widrigen Gewürm — von Chaſſelonp — befreit zu finden,

betraten die Freunde das Haus. Ihrer Rückkehr harrte
berits der rachedürſtende Capitän, welcher mit deutſchen
und franzöſiſchen Häſchern in einem benachbarten Hauſe
auf der Lauer lag. Mit Bedacht ſtürzte er nicht ſogleich

auf ſeine Opfer los, ſondern ließ ihnen vielmehr Zeit, ſich

in ihre hochgelegene Wohnung hinauf begeben zu können,
indem er von den durchſchnittenen Tauen der Fl ugmaſchine
eine gewaltſame, ihm überaus willkommene Kataſtrophe
verhoffte. Sie ſchlug jedoch fehl, dieſe Hoffnung. Zwar
richteten Flaſch und Kork ihre Schritte nach der Auffahrt
hin, um — in dem Schwan zu nehmen; allein zu ih-
rer nicht geringen Verwunderung fanden ſie denſelben döl-
lig durchnäßt und den Boden mit Waſſer gefüllt. Dieſer
Umſtand bewog ſie, die Maſchine unbenutzt zu laſſen und
den mühſameren Weg über die Treppen vorzuziehen. Kaum

waren ſie jedoch in ihrer Wohnung, welche ſie, wie ver-
muthet, leer fanden, als auch ſchon ein Polizeicommiſſär

nebſt Chaſſeloup und einigen Schergen erſchien, um ſie
für Gefangene zu erklären. Die Freunde fügten ſich, ohne
den hämiſchen Verräther eines Blicks zu würdigen, dem
nnausweichbaren Verhängniſſe, und ſchickten ſich an, dem
voran ſchreitenden Commiſſär auf dem Fuße nachzufolgen.
 
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