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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 88 - Nr. 96 (2. November - 30. November)
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Nr. 89.

Mittwoch, den 6. November 1872.


..

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 15 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckeret, Schi, ae ſſea
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Herbſtblätter.
Leiſe fällt das Blatt vom Baum,
Stumm verblüht die Roſen
Alles geht, nach flücht'gem Traum,
Heim, zum Mutterſchooße.

Und die Erde hat
Raum für alle Kinder,
Die ſie ſchuff in Blüth' und Blatt —
Raht der rauhe Winter.

Alle ruhen, welk und matt
Auf dem weichen Mooſe —
Das vergilbte Frühlingsblatt
Und die bleiche Roſe!

Bald deckt Wald und Felder zu
Rings der ſtarre Winter. ö
Schlafet wohl, in ſüßer Ruh,
Holde Frühlingskinder!
Ruh't, bis ihr die Lerche hört
Wieder in den Lüſten.
Bis die Schwalbe wiederkehrt,
Still in euren Grüften!

Gott bewahrt dein Samenkorn
In dem Erdenſchooße,
„Gibt dir wieder Blatt und Dorn,
Wildzerriſſ'ne Roſe!
— *
Eine Blume warſt auch du
Blühend aufgegangen, da-
Eh' des Himmels ew'ge Ruh
Dich im Grab umfangen.

War es Freude, war es Leid
Was Dich hier beweget —
Aufgelöst hat es die Zeit

Und in's Grab gelegek.

Hier ein gold'ner Jugendtraum,
Dort ein Silberſcheitel —
Beide ruh'n im engen Raum,
Glanz und Glück iſt eitel! —
Friede jedem Menſchenherz,
Das der Sturm genommen!
Ach, ſein Lenz, mit Luſt und Scherz
Wird nicht wiederkommen! ö

Die Zuchthäuslerin.
Novelle von J. Krüger.
ö (Fortſetzung.)
Aber Marie ſprach ihn aus, doch ſo leiſe, daß er

dem Ohr der Erzieherin verloren ging.

„Alfred,“ hauchte ſie, zuſammenſchaudernd. „O, er
hat ſich furchtbar gerächt.“
In dem eben angeführten Geſpräche hatte Fräulein
Herbert Marie und ſich ſelbſt den Troſt gegeben, daß

ſich Alles aufklären würde. Die wackere Dame, obgleich
eine vortreffliche Erzieherin junger Mädchen, hatte doch
zu wenig Welt⸗- und Gerichtskenntniß, um die Angele-
genheit ſo zu beurtheilen, wie ſie lag, ſonſt wäre ihre
Hoffnung, daß Beider Unſchuld an's Licht kommen werde,
wohl fchnell wieder geſunken.
wie ſie dachte.

Nein, es kam nicht ſo,
In dem Protokoll, das in Gegenwart
des Herrn und Frau von Handorf und der Kammer-

ſofe Beate aufgenommen wurde, war zuerſt die That-
ſache feſtgeſtellt, daß die Juwelen der gnädigen Frau

in Marien's Koffer gefunden worden, und daß es nicht

ziergang um das Dorf gemacht. N
habe ſie das Rollen eines Wagens gehört. Derſelbe ſei

möglich ſei, daß dieſer von einer andern Hand geöffnet
und der Schmuck hineingelegt worden, da Niemand um
die beabſichtigte Flucht der beiden Frauenzimmer, für

die ſie auch nur einen, aber nicht ſtichhaltigen Grund
angegeben, gewußt hatte. Was die Entdeckung durch

Beate betraf, ſo geſtand dieſe, ſie habe in der vergange-
nen Nacht an Schlafloſigkeit und Beklemmung gelitten
und geglaubt, da das Sommerwetter ſo ungewöhnlich

mild, die friſche Luft würde ihre Nerven beruhigen.
Deshalb habe ſie das Schloß verlaſſen und einen Spa-
Nach einer Stunde

näher gekommen und habe dann plötzlich ſtill gehalten.

Bald darauf wären nun die beiden Frauenzimmer dort
eingetroffen, die ſie ſogleich erkannt. Aus Neugier habe
ſie ſich hinter einen Buſch verſteckt und das gehört, was

ſie der gnädigen Frau, nachdem ſie ſchnell wieder in das

Schloß zurückgeeilt, berichiet habe. Dieſe Ausſage wollte
ſie, wenn es verlangt würde, eidlich vor Gericht erhär-
ten.
Gerichtsbeamte noch einmal mit den ſo ſchwer beſchul-

Nachdem dieſes niedergeſchrieben, verlaͤngte der

digten Frauen zu ſprechen, und erſuchte Herrn und Frau

von Handorf, ihn zu begleiten. Sie fanden Marie und

die Erzieherin in ſtummer ſchmerzlicher Reſignation noch
auf dem Sopha ſitzen. Der Beamte las ihnen das Pro-
tokoll vor und forderte ſie dann noch einmal auf, ihm
 
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