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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 88 - Nr. 96 (2. November - 30. November)
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NT. 96. ö Samſtag, den 30. November 1872. 5. Jahrg.

rſcheint Mittwoch und Samnſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonntrt in der Druckeret, Schierſſe4
ö und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Zuchthäuslerin.
Novelle von J. Krüger.
(Fortſetzung)

Weinend ſank ſie vor dem Greiſe auf die Kniee,
küßte ſeine Hände und benetzte ſie mit heißen Thränen.
Der Geſandte hob ſie auf und wandte ſich dann zu ih-
rem nichtswürdigen Gatten. —
„wWas ich für Sie zu thun gedenke,“ hob er an,
„haben Sie allein dieſem Engel zu danken, der, obgleich
Sie ſein jugendliches Leben durch Ihr rüdes, ja ver-
brecheriſches Daſein faſt zerſtört, doch den am Altare
gele ſteten Schwur halten und Ihnen in's Elend folgen
wollte. Doch kommen wir zur Sache. Ich ſagte, ich
ſei hier zu Ihrer Rettung erſchtenen. Ich will ſolche

in's Werk ſetzen. Die Wechſel, die Sie gefälſcht, will

ich noch heute einlöſen, damit Sie ſicher vor dem' ſtra-
fenden Arme des Gerichts ſind. Theilen Sie mir mit,
in weſſen Händen ſie ſich befinden. Sie ſehen mich ſo
verwundert und zweifelhaft an. Ich, der Graf Bari-
koff, gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß es geſchehen
wird. Und nun zögern Sie nicht länger und nennen
Sie mir Namen und Wohnung der Inhaber der ge-
fälſchten Papiere.“
Der Baron gehorchte ſtumm. Er ging an ſeinen
Schreibtiſch, ſchrieb auf, was der Greis verlangte und
überreichte ihm mit niedergeſchlagenen Augen das Pa-
pier. Der Gaſt Überflog es und ſteckte es zu ſich.
VUund nun hören Sie weiter,“ fuhr er fort. „Ich
weiß, daß Sie die Güter Ihres würdigen. Vaters mit

Schulden belaſtet, und Ihre Eltern dem Bettelſtabe

nahe gebracht haben, wollen ſie nicht der Barmherzig-
keit ihres Schwiegerſohnes anheimfallen. Auch in die-
ſer Angelegenheit will ich helfend eingreifen und ſe-
hen, ob die Schulden nicht zu ordnen und durch neue
Hypotheken der Verkauf der Güter abzuwenden ſei.
Doch kann dies nur an Ort und Stelle geſchehen.

Morgen ſchon wird mein Reiſewagen, der ſo geräumig, .

daß er ſechs Perſonen bequem aufnehmen kann, vor
Ihrer Thüre halten. Eine Chaiſe wird ihm folgen,
worin die Geſellſchafterin Ihrer Gattin und die Kam-
merfrau der meinigen Platz finden. Bereiten Sie Al-
les zur Abreiſe vor, denn meine Zeit iſt gemeſſen und
ich muß höchſtens in drei Wochen wieder auf meinem
Poſten ſein,“

Es foll Alles geſchehen, was Sie zu befehlen ge-

ruhen,“ ſtammelte der Baron, dem die ihm zugeſagte
Hülfe wie ein unerklärbares Wunder erſchienen. Er
wollte noch einige Worte des Dankes für die unver-
diente Großmuth, die der Geſandte ihm erweiſen wollte,
hinzufügen. Aber der Wohlthäter ſchnitt ihm das
Wort ab. Er deutete auf Cäcilie und verſetzte: ö
„Wenn ich einmal höre, daß dieſe Unglückliche kei-
nen Grund mehr hat, Gott anzuflehen, daß er ihre
Leiden endige, wenn ſich ihre Geſinnungen ſo wandeln,
daß Sie jede verabſcheuungswürdige That Ihres Le-
bens, jede, merken Sie wohl, jede, gehöre ſie auch ei-
ner ſchon lange verfloſſenen Zeit an, ernſtlich bereuen
und ein Leben beginnen, das Ihnen die Verzeihung
des Himmels zu erringen vermag, dann, aber auch nur
dann, iſt aller Dank an mich vollftändig abgetragen.
Das Loos Ihrer Zukunft liegt nun in Ihrer eigener
Hand, Herr Baron.“ ö ö
Der Greis wandte dem bleichgewordenen Sünder
den Rücken und entfernte ſich, nachdem er Cäciliens
Stirn mit ſeinen Lippen berührt hatte. Was Graß-
Barikoff verſprochen, wurde von ihm gehalten. Am
nächſten Morgen in der zehnten Stunde befanden ſich
ſchon die gefälſchten Wechſel in Alſred's Händen, der
ſie dem Feuer übergab. Drei Stunden ſpäter hieit' der
erwähnte Reiſewagen, nebſt der Begleitungs-Chaiſe vor
dem Hauſe des Barons. Die Koffer waren bereits ge-
packt. Alfred und Cäcilie ſtiegen ein. Die Geſellſchaf-
terin der Baronin ſetzte ſich in die Chaiſe, wie ange-
ordnet worden. Dann lenkten die Kutſcher zum Hotel
des Grafen Barikoff zurück, wo der Greis, ſeine Gat-
tin und die beiden Knaben ihre Plätze einnahmen und
die Kammerfrau der Gräfin ſich zu der Geſellſchafterin
Cäciliens geſellte. Und nun ging die Reiſe mit mög-
lichſter Eile vor ſich. Da unterwegs ſtets Extrapoſt ge-
nommen wurde, gelangte man bald auf Schloß Han-
dorf an. ö
Die Mutter Alfred's war in hohem Grade erſtaunt,
als Alfred ihr den Grafen Barikoff und ſeine junge
ſchöne Gemahlin als ihre Gäſte präſentirte. Aber dies
Erſtaunen verwandelte ſich in ein Gefühl der Dankbar-
keit, das den Augen der ſonſt nicht eben weichherzigen
Frau Thränen erpreßte, da ihr Sohn in Gegenwart
des Grafen und deſſen Gattin ihr mittheilte, zu wel-
chem Zwecke derſelbe mit ihm nach Handorf gekommen
ſei. Der Wüſtling konnte dabei nicht umhin, einzuge-
ſtehen, daß er die nicht hoch genug zu preiſende Groß-
muth des Grafen Barikoff nicht verdient habe, fügte

aber hinzu, daß er ſie in Zukunft zu verdienen ſuchen
 
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