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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 10 - Nr. 17 (3. Februar - 28. Februar)
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Nr. 14.

Samſtag, den 17. Februar 1872.

. Jahrg.

Eeſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr.

Einzelne Nummer à 2 kr.

Man abonnirt in der Druckerei, Sche, ge ſſe 4

und bei den Trägern. Auswärts bet den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Gräfinneen von Schauenſtein.
Novelle von Wilhelm Blumenhagen.
(Schluß.)

„Beſinne Dich, mein liebes, theures Kind,“ ſtammelte
ſie ſchluchzend; „faſſe Deine Mutter feſt auf Nimmerlaſ-
ſen. ir leben, der brave Silber hat mich, hat Dich ge-
rettet, Gottes Hand ſchirmet, die von ihm nicht laſſen.
Nur was die Natur bindet, hält für ewig und wer ihre
Bande zerſtört, an dem rächt ſie gnadenlos die Schändung
des Heiligthums. Auch Deine Verführer wird ſie treffen
früh oder ſpät. O beſinne Dich und ſprich zu mir! Fühle
die Freudenſchläge eines Mutterherzens, das Dich immer

gleich heiß geliebt, auch da, als ſie Dich ſchuldig glaubte.

O, das Kind hat ja nur einen Platz auf der Welt, der
es nie abweiſet, die Bruſt ſeiner Mutter!“ —
Viktoriens Auge traf auf den dunkeln Blick des Ob-
riſten, und eine leichte Schamröthe beflog ihre Wangen,
doch ſogleich richtete ſie das Auge ausdrucksvoll auf Flo-
rentinen. „Mutter, meine Mutter!“ lallte ſie und an dem
Buſen der Gräfin ſchwanden ihre Sinne.
Die Folgen der vielfachen Erſchütterungen auf den jun-
gen Köͤrper der Comteß konnten nicht ausbleiben, nicht ab-
gewendet werden. Viktorie verfiel in eine gefährliche, ihr
Leben bedrohende Krankheit, aber wie eine Auferſtandene
und Verklärte ging ſie wiederum aus derſelben hervor.
Wunderſam, ja faſt unnatürlich erſchien ihre Verwandlung,
die Demuth, mit welcher ſie jede Pflege, jede Aufmerkſam-
keit als eine unverdiente Wohlthat empfing, die Weiche
und Gefügigkeit, die aus Allem, was ſie that und ſprach,
vorleuchtete, der Gehorſam und die ſchmiegſame Anhäng-
lichkeit, mit denen ſie an der Mutter hing und nie von
ihrer Seite wich. Doch der Arzt hielt die Geneſende noch
immer bedenklich im wachſamen Auge. „Recidive ſind
doppelte Krankheiten!“ ſprach er, und auf ſein Drängen
veranſtaltete man, ſobald es nur thunlich, eine weite Reiſe
und im Geleite der Freunde verließen Mutter und Toch-
ter das Schloß Schauenſtein, und fuhren begünſtigt vom
ſchönſten Nachſommer den nördlichen Gegenden zu, wo am
Ufer des großen Weltſtromes Offeny's reizende Beſitzungen
ſie erwarteten. ö
12.

Vier Jahre waren hingeſchwunden. Wer kann die
Flügel der Zeit aufhalten, wer ſie treiben? Und doch

bändigt los.

ſpricht gar oft Beides ſich in den mannigfachen Wünſchen
und Gebeten der ihörichten Erdenpilger aus. Die Perſo-
nen, welche uns durch dieſe Blätter befreundet wurden,
ſchienen zufrieden mit dem Gang der Dinge, welche ſie
nicht ändern konnten, wie alle Vernünftigen ſind; lange
hat ihnen die Zeit nicht gedäucht, das beſtätigte Vikto-
riens Ausruf, der mit einem: Schon? dem Glückswunſche
zu ihrem zwanzigſten Geburtstage begegnete. Wieder war
es Johannistag; Johannisſonne vergoldete Wald und Flur;
Johannisroſen glühten und dufteten überall und auf dem-
ſelben Platze, wo unſere Erzählung begonnen, drängten
ſich wieder die Menſchen, doch faſt noch zahlreicher wie
damals, wenn auch von anderen Empfindungen erhitzt und
bewegt und in einem tumultuirenden Getümmel von ganz
anderm Charakter.
Rechts im Schauenſteiner Schloßhofe ſah man die
Bürger der kleinen Stadt in ernſter Haltung und dunklen,
einfarbigen Feſtkleidern, die zu der ſtädtiſchen Gravität
paßten, und hinter dem behaglichen Stadvogte ließen die
Stadtpfeifer ihre ſchreienden Zinken und Poſaunen unge-
Links ihnen gegenüber hatten die Dörfler
Poſto gefaßt, regelloſer aufgeſtellt, doch durch höhere Le-
bendigkeit und Unruhe, durch die buntſcheckichten Trachten,
die friſcheren Geſtalten anziehender für das Auge, wenn
auch ihre Muſikbande, Schalmaien, Poſthorn und Hacke-
brett bearbeitend, trotz allem Eifer die bürgerlichen Thurm-
virtuoſen nicht in dem Stand zu muſiciren vermochten.
Aber den Hauptpunkt des Feſtgemäldes bildete der große
Brunnen, den das Genie des Meiſters Teuerling in einen
romantiſchen Obelisken von freundlicher Form zu verwan-
deln gewußt, den die Schauenſteiner mit nicht geringe-
rer Freude und Ehrfurcht als die Pariſer den von Luxor
anſtaunten. Himmelhoch erhob ſich der kühne Bau, übe-
rall mit Blumengewinden und koloſſalen Blumenkränzen
bedeckt; die bebänderte Eichenkrone flatterte an ſeiner
Spitze und das reich vergoldete Mittelſchild trug die Inn-—
ſchrift: „Richard, dem Erretter!“ verdeutlicht durch die
Ehrengarde, welche von Meiſter Teuerling befehligt, ihn
als Wache numſtand, jene verunglückten Arbeiter nämlich
ſammt ihren Familien, angethan mit reinlicher Handwerks-—
tracht und dem blanken Gezeug ihrer verſchiedenen Ge-
werke, an denen die ſchmückenden Bandſchleifen und gelben
Zitronen auf der Spitze der Winkeleiſen und Brechſtangen
nicht vermißt wurden. Nur die alte Margarethe fehlte,
denn ſie war heimgegangen und ihren Platz füllte ein jun-
ln ſchmuckes Weiblein mit einem rothbäckiſchten Säug-
ling. —
Zwei langbeſpannte Karoſſen raſſelten durch das Schloß-
 
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