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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 27 - Nr. 34 (3. April - 27. April)
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Nr. 27.

Mittwoch, den 3. April 1872.

5. Jahrg.

Eelcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schi zꝛeſſe
— und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö ö

Die Verwechslungen.
Erzählung von C. W. Koch.

1.
Ungefähr um die Mittagsſtunde rollte eine mit Staub

überdeckte Chaiſe in das gaſtlich offene Thor zum Erzher-

zog Karl in der Kärnthnerſtraße in Wien. Zwei junge
Männer, Doktoren aus Heidelberg, ſtiegen aus und bega-
ben ſich, ohne weiter viel zu reden, nach den für ſie be-
ſtimmten Zimmern. — „Ich gehe heute noch nicht zur
Tante Seebald,“ begann Heinrich, als ſie den Reiſe-
ſchmutz von den Sohlen geſchüttelt und ſich umgekleidet
hatten. „Käme ich ſo unerwartet meinem Bräutchen zu
Geſichte,“ fuhr er fort, „ſo gäb' es Spektakel die Menge.
Es iſt daher beſſer, der Tante ein kleines Stelldichein im
Prater zu geben, um ſie mit Vorſicht über die wunder-
hübſch gewordene Marie und deren Geſchmack ausholen zu
können.“
„Wozu dieſe Umſtände?“ verſetzte Karl.
ter, der als Vormund ſo treu und redlich für Dich ge-
ſorgt, hat bereits Alles wegen Deiner Verbindung mit
Marien in Ordnung gebracht. Du haſt einmal die Zu-
ſtimmung der Tante und die Briefe Deines Bräutchens
ſagen Dir auch ja klar genug, daß ſie einer Verbindung
mit Dir nicht abhold iſt. — Was willſt Du weiter?“
„Ein Bischen mehr Schönheit,“ erwiederte Heinrich,
indem er auf von den Blattern entſtelltes Geſicht
zeigte. „Siehſt Du,“ fuhr er launig fort, „wenn ich ſo
vor meine Braut hintrete,“ er machte einige Pas, „was
würde das arme Kind ſagen, das mich in ſeiner Sehnſucht
ſchon zu einem Antinous erhoben hat, der bekanntlich nebſt
dem Apollo Muſagetes die ſchönſte aufgefundene Männer-
ſtatue war. Sie könnte höchſtens glauben, ich wollte ihr
eine Fabel erzählen und ihre projectirte Heirath mit Couſin
Aeſop ſei ſelbſt eine äſopiſche Fabel.“
„Du biſt närriſch,“ fiel Karl verdrüßlich dem Zwei-
felnden in's Wort, „was kümmert ſich heut zu Tage ein
Mädchen um das Geſicht ihres Mannes, wenn er nur
Oel hat und ſo liebenswürdige Eigenſchaften beſitzt wie
u.“
„Wirklich?“ fragte Heinrich ſchalkhaft, „Du willſt mir
zuletzt noch weiß machen, daß unſern Mädchen aus bloßer
Liebe zu Seltenheiten ein Mann meines Schlages lieber
iſt als ein anderer: dann würde es mich wundern, daß
unſere girrenden Seladone nicht die eifrigſten Gegner der

„Mein Va-

Kuhpockentmpfung ſind. Nein, nein, mein herziger Karl
es iſt unmöglich, daß mich ein junges, ſchönes Mädchen
zum Gatien wählen kann. Ich habe einen Korb zu er-
warten, und den möchte ich mir erſparen. Darum ſoll die
Tante zuerſt mich ſehen und die ganze Geſchichte nach ih-
rem Gutdünken einleiten, denn ich bin überzeugt, wenn ſie
mit ihrer Tochter von Allem geſprochen, von meinem Ge-
ſichte hat ſie gewiß geſchwiegen. Als Gargon kümmern
mich die paar Pockennarben wenig — ich habe Geld und
gute Laune im Ueberfluß und finde wohl hie und da zum
Liebeln ein Mädchen, daß es nicht ſo genau mit ihrem
Anbeter nimmt — allein als Bräutigam iſt es ganz an-
ders — ich möchte um keinen Preis Urſache ſein, daß man
meine Frau auslacht, oder in ihren Geſchmack einen Zwei-
fel ſetzt. Eben ſo wenig bin ich ein Freund von gewiſſen
Hauptſachen; und ſage mir aufrichtig, hätte ich dieſe nicht
im Ueberfluſſe zu erwarten, wenn mich meine Gattin ohne
Liebe und nur um meines Geldes willen geheirathet? Für
eine ſolche Barmherzigkeit bin ich ſehr verbunden und deß-
halb bleibt's dabei, — die Tante, Mariens Mutter, iſt
eine kluge Frau, ſie wird meine Gründe in Erwägung zie-
hen, und uns dann wie zufällig zuſammenführen. Ohne
vorläufige Rekognoszirung erſcheine ich durchaus nicht als
Bräutigam.“ ö ö
Karl hatte die beſonnene Tirade ſeines Freundes nicht
ohne beifälliges Lächeln angehört. Er ſah wohl ein, daß
Heinrich in gewiſſer Hinſicht Recht hatte, doch ſein Zart-
gefühl erlaubte ihm nicht, ihm Recht zu laſſen und ſeine
zweifelnde Aengſtlichkeit zu unterſtützen. Er ſelbſt war ein
blühender junger Mann, auf den ſo manches Mädchen das
Auge voll Sehnſucht warf. ö
Im Hauſe ſeines Vaters, des Profeſſor Hiller in Hei-
delberg, der als Heinrichs Vater geſtorben war, den Kna-
ben von Wien zu ſich kommen ließ, entwickelten ſich die
erſten Gefühle ihrer Freundſchaft, die mit jedem Jahre
inniger wurde und unzertrennlich ſchien. Vor zwei Jah-
ren hatte er nach beendigten Studien eine Reiſe zur Tante
Seebald nach Wien unternommen, wo er Emilien, ihre
ältere Tochter, kennen lernte und bald ihr Herz zu ge-
winnen wußte. Marie, bie jüngere Tochter, befand
ſich damals noch in einem benachbarten Penſionate, und
lernte den ſchönen Couſin nicht kennen. Frau von See⸗—
bald hatte ſpäter, da ſie das Verhältniß zwiſchen Emilien
und Karl wußte und billigte, auch Marien durch eine
Heirath mit Heinrich den ſie als Knabe liebgewonnen, zu
verſogen gewünſcht, denn er, als der Erbe eines bedeuten-
den Vermögens, konnte ihrer Tochter die angenehmſte Zu-
kunft bereiten. Dem alten Hiller, dem eine ſolche Verei-
 
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