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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 88 - Nr. 96 (2. November - 30. November)
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Nr. 92.

Samſtag, den 16. November 1872.

5. Jahrg.

rſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 18 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckeret, Schine ſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Zuchthäuslerin.
Novelle von J. Krüger.
(Fortſetzung.)

Der Feſtgeber wußte, daß Graf Barikoff, ſo war

der Name des ruſſiſchen Geſandten, an dem kaiſerlichen
Hofe ſeines Landes hohe Ehre genoß, ja, daß er bei
dem deſpotiſchen Kaiſer Nikolaus, der nur wenige Men-
ſchen, die nicht fürſtlichen Geblüte entſproſſen waren,
mit ſeinem Verbrauen beehrte, in außergewöhnlicher
Gunſt ſtand. Den genannten Grafen hatten viele der
Gäſte ſchon früher geſehen, theils bei Hofe, theils wenn
er mit ſeinem iſabellfarbenen Geſpann, das ein bärti⸗—
ger Kutſcher lenkte, mit Windesſchnelle durch die Stra-
ßen gefahren war. Man wußte, dazs er ſchon mehr
als ſiebzig Jahre zählte, daß ſeine Erſcheinnng und ſein
Weſen beim erſten Anblicke für ihn einnahmen, daß er,
obgleich Ruſſe mit Leib und Seele, doch ein mildge-
ſinnter, freundlicher alter Herr war. Aber ſeine Ge-
mahlin hatte noch Niemand erblickt, denn ſie hatte ei-
ner Unpäßlichkeit wegen, von der ſie bei ihrer Anknnft

in der Reſidenz befallen worden, bis jetzt ihr Zimmer
nicht verlaſſen und würde, jetzt wieder vollkommen ge-

neſen, an dieſem Abende zuerſt öffentlich erſcheinen.
Wiewohl ſie nun Keiner in dieſem Kreiſe noch perſön-
lich kannte, ſab man doch ihrer Ankunft, die in Be-
gleitung ibres Gemahls um die neunte Stunde erfolgen
ſollte, mit Neugierde uud Spannung entgegen. Beſon-
ders war das bei den jüngeren Damen, mehr aber auch
bei den jungen Cavaliere der Fall, denn es hatte ſich
in der Refidenz das Gerücht verbreitet, wahrſcheinlich
von der geſchwätzigen Dienerſchaft des Geſandten aus-
getragen, daß die Gräfiin noch ſehr jung, von außer-
ordentlicher Schönheit und in hohem Graͤde geiſtreich
ſei, und ſie nebenbei noch die ſeltene Tugend der Wohl-
thätigkeit ſchmückte, denn ſie hatte, ſo wurde erzählt,
nicht blos auf den Gütern des Grafen, wie in Peters-
burg, ſondern auch auf der Reiſe hierher ihr höchſtes
Glück darin gefunden, die Thränen der Armen durch
reiche Spenden zu trocknen, und manchem Nothleiden-
den zu einer neuen Exiſtenz verholfen. Endlich kam
der von dem Feſtgeber und ſeinen Gäſten ſehnlichſt er-
wartende Augenblick. Mit dem Glockenſchlage Neun
meldete der dazu beſtellte, in koſtbare Livree gekleidete
Diener Seine Exellenz, den Herrn Grafen von Barikoff
und Frau Gräfin, deſſen Gemahlin an. Der Herr des

Schnee bedeckten Winter.

Hauſes eilte ihnen bis zur Thür entgegen. Aller Au-
gen richteten ſich dorthin. Man ſteckte die Köpfe zu-
ſammen. Man flüſterte: Sie kommen! ſie kommen!
Nun werden wir die als ein Wunder von Schönheit ge-
prieſene Dame ja ſehen.“ —
Am Arme ihres Gatten ſchwebte die Gräfin bis in
die Mitte des Salons, von allen Seiten begrüßt und
ſich nach allen Seiten mit unnachahmlicher Grazie ver-
neigend. Aus Vieler Munde, beſonders von den Lip-
pen der jungen Männer, ertönte bei ihrem Anblick ein
faſt lauter Ausruf der Verwunderung. Doch auch die
weibliche anweſende Welt konnte ſich nicht verhehlen,
doß der Ruf dies Mal nicht übertrieben hatte. In der
That konnte die noch jugendliche Gräfin für die erſte
Schönheit in der ganzen Geſellſchaft gelten. Ihr hoher
ſchlanker Wuchs zeigte ſanftgerundete, tadelloſe Formen.

Reiches dunkles Haar, aus dem große Diamanten blitz-

ten, ſchmückteu das ovale Haupt. Die großen dunklen

Augen harmonirten mit der Lockenpracht und den fein-

gezogenen Brauen. Hatte die Natur ihre Stirne mit
dem reinen Glanz der Lilie übergoſſen, ſo hatte ſie zu-
gleich die Wangen des ſchönen Weibes mit dem zarte-
ſten Karmin angehaucht. Goethe nennt das Weib den
ſchönſten Gedanken Gottes. Wenn jemals, ſo war die-
ſer Ausſpruch an der Gräfin Barikoff zur Wahrheit ge-
worden. Aber ihre jugendlichen Reize bildeten einen.

ſeltſamen Kontraſt zu der Erſcheinung des Grafen. Ein

holder blühender Frühling, ſtand ſie neben dem mit
Als ſolchen präſentirte ſich
der Geſandte. Das Haar des kräftig gebanten Greiſes,
deſſen Uniform reich mit Orden bedeckt war, trug ſchon,

ſeit vielen Jahren die Farbe des Silbers. In ſeine

edel geformten Züge hatte das Alter ſchon tiefe Fur-

chen gezogen. Aber ſeine Haltung und ſein Gang, wie
der lebhafte Ausbruck ſeiner grauen Augen bekundeten,

daß Körper und Geiſt noch nicht der Zeit unterlegen

waren. Konnte man den Grafen nun auch noch immer
einen ſtattlichen Greis nennen, ſo war der Abſtand der
Jahre zwiſchen ihm und ſeiner Gattin doch ſo groß, daß
weder die jungen Cavaliere, noch die jugendlichen Da-
men in dieſem Circle zu begreifen vermochten, wie es
möglich ſei, daß die Gräfin den alten Herrn aus reiner
Neigung zum Manne exwählt, ja, daß ſie ihn noch jetzt
zu lieben vermochte. Miz doch liebte der Frühling den
Winter. Wer dos ſo unleiche Paar näher beobachtete,
wollte er die Gräfin nicht für eine vollendete Kokette
halten, die dem Greiſe nur vor der Welt Zärtlichkei-
ten heuchelte, mußte glauben, daß das holde Lächeln,
 
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