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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 71 - Nr. 78 (4. September - 28. September)
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Nr. 77.

Mittwoch, den 25. September 1872.

5. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag. Prets monatlich 18 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckeret, Schr gaſſe4
und ber den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Zuchthäuslerin.
Novelle von J. Krüger. —
(Fortſetzung.)
„Die kalte ſtolze Herrin erwähnte Bertha's mit kei-

ner Sylbe mehr und warf Emilien ſinſtere Blicke zu,

wenn dieſe das Geſpräck auf die Verblichene bringen
wollte.
Auch wurde ihr ſtolzer Sinn von für ſie viel wich-
tigeren Angelegenheiten in Anſpruch genommen.
Ihr jüngſter Sohn Kurt ſtand im Begriffe, ſich nach
der von dem Schloſſe ſeines Vaters ziemlich entfernt
gelegenen Reſidenz zu begeben. Dort wollte äer die
Militärſchule beſuchen und dann ſpäter in das Offizier-
corps der königlichen Garde eintreten. Der alte Adel
der von Handorf, der Reichthum ſeiner Eltern, die ihm
alljährlich eine beträchtliche Unterſtützung gewähren
konnten, wie ſeine hochgewachſene ſchlanke Figur gaben
ihm die Gewißheit, in dies ausgewählte Corps aufge-
nommen zu werden. ö
Alle Anſtalten zu ſeiner Ausrüſturg wurden von
Frau von Handorf, die im Geiſte ſchon die Epaulette
auf ſeinen Schultern glänzen ſah, ſelbſt getroffen. Als
ſie beendet, nahm Kurt, der ſchon ſeit einem Jahre von
dem flotten luſtigen Leben in der Reſidenz ſchlafend
und wachend geträumt, von den Eltern mit heiterer
Miene Abſchied und trat lachend die erſehnte Reiſe an.
„Sein Bruder Alfred blieb auf Handorf, um dem
greiſen Vater in der Verwaltung der Güter, deren er
noch mehrere beſaß, beizuſtehen. Wohl war es der
Wunſch ſeiner Mutter, der Tochter eines nicht unver-
dienten Generals, geweſen, ihre beiden Söhne möchten
ſich dem Stande widmen, den ſie als den ehrenvollſten
und erſten im Staate betrachtete. Aber Alfred, eine
wilde ſinnliche Natur, der jeden Zwang, der ſeine Frei⸗—
heit, ſeine Launen beeinträchtigen konnte, gründlich
verabſcheute, halte dem Willen der Mutter widerſtrebt.
Dereinſt Herr auf ſeinen Gütern zu ſein, was ja nicht
allzulange mehr ausbleiben konnte, da ſein Vater ſchon
hoch in den ſechsziger Jahren ſtand und ſchon öfter
bettlägerig geweſen war, dort unumſchränkt zu walten
und, wie ein Fürſt über ſklaviſch geſinnte Unterthanen,
über ſeine Diener und die auf den Gütern arbeitenden

Knechte und Taglöhner zu gebieten, nebenbei allen ſinn-

lichen Gelüſten nach Belieben zu fröhnen, das war ſein

Lebensziel, zu deſſen Erreichung keine Anſtrengungen,
noch große Kenntniſſe nöthig waren. ö ö
Nach Kurt's Abreiſe wandte ſich der ſtolze Sinn der
Schloßherrin einem andern, ihre Tochter Emilie betref-
fenden Plane zu.
Obgleich dieſe noch nicht das ſiebzehnte Jahr erreicht,
waren ihre ſchönen jungfräulichen Formen doch voll-—
ſtändig entwickelt, und ihre ungewöhnlichen Körperreize,
ihre Geiſtesbildung, wie die Sanftmuth ihres Weſens,
hatten ſchon von der Zeit an, wo ſie die Kinderſchuhe
ausgezogen, die Bewunderung der jungen adligen Her-
ren, deren Väter Güter in der Nachbarſchaft beſaßen,
in nicht gewöhnlichem Grade erweckt, und auf allen
Feſten, die Frau von Handorf in letzterer Zeit veran-

ſtaltet hatte, war Emilie der Gegenſtand allgemeiner

Huldigungen geweſen. Vor Allem aber hatte ſich der
junge reiche Graf von Herbſtau, der künftige Erbe ei-
nes umfangreichen, hohe Revenuen eintragenden Fidei-
comißgutes ſich dem holden Geſchöpfe mit in das Ge-
wand der Beſcheidenhet gekleideten Verehrung genähert.
Mit Vergnügen hatte dies Frau von Handorf bemerkt,
das ſich aber noch ſteigerte, als ihre ſcharfblickenden
Augen bald herausſpürten, daß Emilie jedes Mal freu-
dig erröthete, wenn der genannte Cavalier ſie zum
Tanze auffordertete und ſie vorzugsweiſe an ſeiner Un-
terhaltung Gefallen fand.
Dieſer junge Mann, das hatte die gnädige Frau
beſchloſſen, ſollte der Gatte ihrer Tochter Emilie
werden. ö
Einladungen auf Einladungen waren deßhalb an

ihn erfolgt, und bei jeder neuen Zuſammenkunft hat-

ten ſich die Zeichen gegenſeitigen Wohlgefallens zwi-
ſchen Emilie und dem jungen Grafen, der ebenſo ge-
ſegnet an männlicher Schönheit, wie ſie an weiblicher,
zur Freude der ſtolzen Frau vermehrt. ö
Da waren die Geſellſchaften, die auf Handorf ge-
geben wurden, plötzlich durch den Tod des jüngſten
Kindes mußhrochen worden.
Eine géwiſſe Trauerzeit mußte eingehalten werden.
So erforderte es die Schicklichkeit. Auch wollte die
Baronin nicht vor den Leuten als eine liebloſe Mutter
erſcheinen, wenn ſie es in der That auch war.
Mehrere Wochen vergingen, da meinte die Baro-
nin, daß nun der Schicklichkeitstrauer genügt ſei, und

wenn ihr Gatte, ebenſo Emilie dieſer Anſicht nicht bei-

pflichteten, ſie, die nach und nach über ihre Familie-

eine Herrſchaft errungen, die ihr nicht wieder zu ent-
reißen war, kehrte ſich nicht daran.
 
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