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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 88 - Nr. 96 (2. November - 30. November)
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eidelberger

lolksblatt.

Nr. 95.

Mittwoch, den 27. November 1872.

5. Jchrg.

rſcheint Mittwoch und Samſcag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2. kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schin ga ſſe4

und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Zuchthäuslerin.
Novelle von J. Krüger.
Fortſetzung.)

Umſonſt bemühte ſich Frau von Barikoff, ihr den
Grund ihres neuen Kummers zu entlocken. Sie ſchützte
ſtets den Verluſt ihres Kindes und körperliches Un-
wohlſein vor, das auch wohl erſt, wie ſie meinte, mit
ihrem geben enden werde. —
dem letzten Beſuche der Baronin war eine
ganze Woche vergangen. ö
Die Gräfin hatte ſie vergebens erwartet. Sie ſchickte
einen Diener in ihre Wohnung und ließ ſich erkundi-
gen, wie Frau von Handorf ſich befinde. Derſelbe kam
mit der Meldung zurück, er ſei von dem Herrn Baron,
der ſehr aufgeregt erſchienen, kurz abgefertigt mit der
Bemerkung, die plötzlich eingetretene Krankheit ſeiner
Frau geſtatte ihr nicht, das Haus zu verlaſſen.
„Wenn Sie mir die Dreiſtigkeit verzeihen, gnädige
Frau Gräfin,“ fügte er hinzu, „ſo erlaube ich mir
Ihnen mitzutheilen, daß ich an die Krankheit der Frau
Baronin nicht glaube, denn als ich im Vorzimmer ſtand
und die Thür ſich öffnete, aus der der Herr Baron
heraustrat, hörte ich in dem Zimmer laut ſchluchzen,
und ſah eine weißgekleidete Geſtalt, die ich für die

Baronin hielt, mitten in demſelben, die Hände ringend,“

ſtehen.“
„Die Gräfin fuhr erſchrocken zurück. Aber ſich ſchnell
wieder faſſend, ſagte ſie:
„Ich danke Ihnen für dieſe Mitkheilnng, Franz.

Sie haben Recht gethan, mir dieſen Umſtand nicht zu

verſchweigen.“ Der Diener entfernte ſich.
„Die Arme ſchluchzte, ſie rang die Hände,“ mur-
melte die Gräfin. „Es iſt klar, daß der Elende, auf
deſſen Gewiſſen eine ſo ſchwere Schuld laſtet, nicht an-
ders geworden, als er damals war, wo er im Bunde
mit einem nichtswürdigen Weibe ein Verbrechen beging,
das ſelbſt die tiefſte Reue nicht abbüßen kann. Er
mißhandelte ſein unglückliches Weib, er tritt die hei-
ligſten Bande mit Füßen. Was wäre auch wohl von
einem ſo rohen Wüſtling Anderes zu erwarten? Aber
das edle Geſchöpf ſoll nicht ohne Troſt bleiben. Ver-
bietet der Mann ihr, zu mir zu kommen, ſo will ich zu
ihr. Er wird es nicht wagen, eine Gräfin Barikoff,
die Gemahlin des ruſſiſchen Geſandten, abzuweiſen.
Wer weiß, was dort vorgefallen? Ob Cäcilie nicht

eines Beiſtandes, einer kräftigen Hülfe bedarf? Wenn
es möglich, ſoll ſie an mir eine Stütze finden.“
Den nächſten Tag, zur geeigneten Stunde, ließ die
Gräfin anſpannen und fuhr nach der Wohnung des-
Herrn von Handorf. Als ſie dort eintraf, wurde ſie
im Vorzimmer von einem Frauenzimmer empfangen,
deren Ausſehen und Kieidung auf eine Geſellſchafterin
der Baronin deuteten. Die Gräfin erblaßte und biß
die Zähne zuſammen bei ihrem Anblick.
„Der böſe Dämon noch immer in ſeiner Nähe?“
ſprach es in ihr. „Welche Qualen muß die Unglück-
liche fühlen, in ſolcher Geſellſchaft zu leben!“ ö
Hatte die Miene der Gräfin ſich etmas verändert,
als ſie dieſem Frauenzimmer gegenüber ſtand, ſo war
es bei der Letzteren nicht minder der Fall. Sie be-
trachtete Frau von Barikoff erſt mit einer Art von Er-
ſtaunen, dem ein lauernder, mißtrauiſcher Blick folgte.
Die Gräfin ſah trotz ihrer Gemüthsanfregung und' des
Abſcheues, den ihr der Anblick dieſer Perſon einflößte,
doch ein, daß ſie ſich faſſen mußte. Mit ſtolzem Tone
verlangte ſie die Baronin von Handorf zu ſprechen und
fügte dieſem Verlangen ihren Namen hinzu. Das Frau-
enzimmer erwiderte: — ö ö
„Ich weiß nicht, ob es der Frau Baronin genehm
iſt, Ihren Beſuch anzunehmen, Frau Gräſin — auch
wünſcht der Herr Baron nicht, wie ich weiß. —“
Die Gräfin fiel ihr ſchnell mit befehlendem Tone-
in's Wort: ö ö
„Sie haben Nichts weiter zu thun, als mich bei
Ihrer Herrſchaft zu melden. Thun Sie das. Sie wer-
den erfahren, daß die Baroniu mich zu empfangen be-
reit iſt.“
Das ſtolze Weſen der Gräfin ſchien der Geſellſchaf-
terin zu imponiren. Sie verbeugte ſich ſtumm und be-
gab ſich in die Zimmer ihrer Herrſchaft, indem fie vor
ſich murmelte:
„Die Aehnlichkeit iſt frappant. Aber ſie iſt es den-
noch nicht, ſie kann es nicht ſein. Es gibt ja keine
Wunder mehr.“ ö
Nach wenigen Augenblicken kehrte ſie zurück mit
der Meldung, die Frau Baronin erwarte Frau von.
Barikoff. — Bei dem Anblick, der ſich der Gräfin bot,
als ſie zu der Freundin in's Zimmer trat, fühlte ſie
ſich tief erſchüttert. Die Marmorbläſſe der unglückli-
chen Frau hatte ſich in die einer Leiche verwandelt.

Ihre ſanften Augen waren roth und geſchwollen von

vielem Weinen. Sie war fo matt, daß ſie, nachdem ſie
die Freundin mit niedergeſchlagenen Augen begrüßt,
 
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