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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 88 - Nr. 96 (2. November - 30. November)
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auf den Stuhl zurückſank, von dem ſie ſich eben erho-
ben hatte. Die Gräfin nahm ſchnell an ihrer Seite
Platz. Sie ſchloß ſie bewegt in die Arme, trocknete ihr
mit dem Taſchentuche die Augen, hob ihr das Kinn
empor, ſo daß ſie gezwungen war, ihr in's Antlitz zu
ſehen und ſagte dann: ö
„Hier iſt ein gräßliches Unglück geſchehen. Was es
auch ſei, ſchenken Sie mir Ihr Vertrauen. Iſt es ein
Geheimnitz, ich ſchwöre Ihnen, es zu bewahren. Iſt
Hülfe nöthig — ſteht ſie in meiner Macht — ſie ſoll
Ihnen werden. Aber brechen Sie dies beängſtigende
Schweigen, entlaſten Sie Ihre Bruſt. Denken Sie,
daß der Himmel Sie nicht ganz verlaſſen, da er Ih-
nen in mir eine wahre Freundiu geſendet hat.“
Dieſer Zuſpruch, der in den rührendſten Lauten
verkörpert wurde, verfehlte ſeine Wirkung nicht. Das
Maaß des Jammers war übervoll bei der bleichen
Frau. Es mußte endlich überſtrömeu. Sie mußte ihren
Qualen Luft machen, ſollten ſie ihr nicht die Bruſt
zerſprengen. Mit wiederholtem lauten Schluchzen ihre
Worte unterbrechend, vertraute ſie der mitleidsvollen
Freundin, daß ſie mit ihrem Gatten in den nächſten
Tagen heimlich die Reſidenz verlaſſen und mit ihm
über's Meer entfliehen müſſe. Sie erzählte ferner, daß
der Baron ſchon ſeit mehreren Jahren ſich einer maß-
loſen Verſchwendung ergeben, daß er die Güter ſeiner
Eltern mit großen Schulden belaſtet, kurz ſein ganzes
Vermögen nach und nach vergeudet, daß er der wü-
thenden, jedes moraliſche Gefühl ertödtenden Leiden-
ſchaft des Spiels verfallen ſei, vor einiger Zeit auf's
Neue ungeheure Summen auf Ehrenwort verloren, und
um dieſe zu bezahlen, ſeine Zuflucht zur Wechſelfäl-
ſchung genommen habe..

„In acht Tagen,“ fügte ſie hinzu, „ſind dieſe Wech-

ſel fällig und da er ſie nicht einzulöſen vermag, ſo
kann er ſich nur durch die Flucht vor Schande und

entehrender Strafe retten. Und ich muß mit ihm ent-

fliehen, denn ich bin ſein Weib und habe am Altare ge-
ſchworen, ihm in Noth und Tod zur Seite zu ſtehen.
Und ich darf dieſen Schwur nicht brechen, trotzdem, daß
ich dieſen Mann nicht liebe, ihn nie geliebt habe. Sie
ſehen alſo ein, theure Freundin, daß es für mich keine
andere Erlöſung als der Tod gibt..“.s
Die Gräfin ſchwieg. Ein Ausdruck des Triumphes
malte ſich in ihren Zügen. Sie dachte: Endlich iſt
die Stunde der Vergebung erſchienen. Sie ſoll nicht
ungenützt vorübergehen.

Letztes Kapitel.
Die entlarvten Sünder.
Als die Gräfin ſich wieder zu Hauſe befand, begab

ſie ſich ſogleich in das Zimmer des Gemahls. Sie fand
denſelben anweſend und bat ihn, ihr eine Stunde zu

einem vertraulichen, aber ernſten Geſpräche zu gewäh-
ren. Der Greis klingelte nach dem Diener und befahl

ihm, Jeden abzuweifen, der ihn an dieſem Morgen zu
ſprechen wünſche. Darauf ſchloß er die Thür. Es

konnte jetzt keine Störung eintreten. — Als die Stunde

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des Geſpräches vorüber, hatte die Gräfin von ihrem

edlen Gatten, was ſie gewünſcht, erlangt. Sie dankte
ihm mit einer zärtlichen Umarmung dafür. Was ge-
ſchehen ſollte, mußte ſchnell geſchehen. ö
Cäcilie von Handorf hatte zu ihrer Freundin ge-
ſagt, daß Alfred, der ſchon früh ausgegangen, verſpro-
chen habe, um die Stunde der Dämmerung wieder bei
ihr zu ſein, um mit den Vorbereitungen zu der beab-
ſichtigen Flucht voranzugehen. In der Hoffnung, ihn
zu der genannten Zeit zu finden, fuhr Graf Barikoff
Punkt acht Uhr nach ſeiner Wohnung. Der Baron
war zu Hauſe. Der Greis ließ ſich durch einen Diener
melden und trat bei ihm ein, der ſich allein im Zimmer
befand. Beide ſtanden zum erſten Male einander ge-
genüber. —
„Was verſchafft mir die Ehre Ihres Beſuches, Herr
Graf?“ fragte Alfred.
„Sie ſollen es erfahren, Herr Baron,“ erwiderte
der Greis,“ ſobald Ihre Gemahlin zugegen. Es iſt eine
höchſt wichtige Sache, die aber nur in ihrer Gegenwart
verhandelt werden kann. Ich bitte alſo, ſie rufen zu
laſſen.“ ö
Der Baron ſah ihn erſtaunt an, aber da dis hohe
Geſtalt und die Würde des hochgeſtellten Mannes ihm
imponirten, ſo verbeugte er ſich.
„Wie Sie befehlen, Herr Graf.“
Die junge Frau erſchien, in ihrer Bläſſe rührend
ſchön. Cäcilie, die den Grafen ſchon geſehen und ge-
ſprochen, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll. Eine leichte Rö-
the färbte ihre Wange, als ſie bemerkte, daß derſelbe
ſie mitleidsvoll anbiickte. Der Greis reichte ihr die
and.
„Ich bin hierher gekommen,“ ſagte er, „um das Ver⸗—
ſprechen meiner Gattin zu erfüllen, der Sie ein offeues
Geſtändniß von dem Unglück ge acht haben, was Sie
und dieſen Herrn da in der nächſteu Zukunft bedroht.“
Cäcilie erzitterte. Sie ſah, daß Alfred ihr wilde,
drohende Blicke zuſchleuderte. Graf Barikoff bemerkte

die aufſteigende Wuth des Elenden, und beſchloß, deren

Ausbruch zuvor zu kommen. Er trat auf ihn zu und

verſetzte mit gebietendem Tone:

„Sie haben keine Urſache, mein Herr Baron, Ihrer
Gattin darob zu zürnen, daß ſie ihr bedrängtes, von
Qualen zerriſſenes Herz in den Buſen einer Freundin
ausſchüttete. Im Gegentheil, Sie ſollten ſich ihr zu
Füßen werfen und zerknirrſcht danken, daß ſie es ge-
than, denn ich bin gekommen, Sie und Ihre Familie
vor der Schmach zu bewahren, die Sie gewiſſenlos und
frevelhaft über ſich ſelbſt und Ihre Angehörigen ge-
bracht haben.“. ö
Der Wüſtling war wie niedergeſchmettert. Er
ſtarrte erſt ſeine Gattin und dann den Greis mit einer
Miene an, in der Schrecken und Hoffnung mit einander
im Kampfe liegen. Er erwiderte aber Nichts. Es war,
als ſei ſeine Zunge plötzlich gelähmt worden. Auch Cä-
cilie blieb ſtumm. Aber deſto beredeter waren ihre
Bewegungen. ö ö
(Fortſetzung folgt.) —
 
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