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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 10 - Nr. 17 (3. Februar - 28. Februar)
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eiclelberger

Nr. 15.

Mittwoch, den 21. Februar 1872.

5. Jahrg

eucheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 18 kr.

und ber deg Trägern.

Einzelne Nummer à 2 kr.
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Man abonnirt in der Druckerei, Schꝛ aa ſſe 4

Die Jucognito's.
Erzählung von Guſtav Nieritz.

Das Bad.

„Ich ſegne das Geſchick,“ ſprach Adolph zu ſeinem
Freunde Hugo, „welches uns nöthigt, hier drei Stunden
auf die Ankunft der Poſtkutſche zu warten. Sahſt Du
wohl je ein ſchöneres Bild? Wahrlich, ein ächter Claude
Lorrain! Welche Durchſichtigkeit' des Waſſers! welche
Leichtigkeit des Baumſchlages! welch' ein klarer Reflex!
welch' ein reizender Duft über die Ferne gehaucht! welche
Harmonie mit dem Lufttone! Ich bin entzückt! — O,
wär' ich ein Claude Lorrain oder wenigſtens ein Berg-
em! 1711.—
Hugo lächelte ſtill vor ſich hin bei dieſer Fluth künſt-
leriſchen Auslaſſungen. Aber auch er heftete die dunkeln

Augen mit tiefem Gefühl auf die liebliche Landſchaft um-
her. Inmitten eines großen azurblauen See's ſchaukeltk

ſich auf den kleinen Wellen ein reizendes Eiland. Seine
niedern Ufer beſäumte eine blumenreiche Matte thaublin-

kenden Graſes; dieſelbe wurde wieder von Haſelſtauden,

wildem Hopfen und jungem Weidengebüſch begränzt; im
Mittelpunkte aber bildeten hohe Ulmen und Tannen eine
heilige Halle, aus welcher das Rindendach einer Einſiede-
lei hervorſchimmerte. Stolze Schwäne bläheten die ſchnee-
weiße Bruſt gegen das widerſtrebende Element des Waſ-
ſers, indem ſie mit leicht gehobenen Schwingen und ge-
krümmtem Halſe die kühle Fluth durchſchnitten. In der
Freunde Nähe wär ein dichtes Laubdach von Hängeweiden
und Birken, deren Zweige, bewegt von dem koſenden Mor-—
genwinde, die plätſchernden Wogen nachbarlich küßten.
So ſchnell, wie ſie entſtanden, war auch »Adolph's
Begeiſterung wieder verraucht. Sein Sinn wendete ſich
nun der proſaiſchen Seite des bewunderten Gemäldes zu.
„Der See verſpricht fiſchreich zu ſein,“ hob er an.
„Köſtliche Karpfen muß ſein reines Waſſer liefern. Daß
er auch von wilden Enten beſucht wird, bezeugen dieſe
ausgehölten Kürbiſſe, welche auf ihm herum ſchwimmen.“
Indeß hatte Hugo ſeinen Feldſtuhl aufgeſtellt, Skiz-
zenvuch und Bleiſtift hervorgezogen und zeichnete nun mit
flüchtigen Umriſſen das Bild der belobten Landſchaft.
Adolph warf ſich an des Zeichners Seite auf das weiche
Moos hin, bald des Freundes Arbett lobend, bald bekrit-
telnd. Dem Ruheloſen ward endlich die Zeit lang. „Thor
ich!“ ſprach er aufſpringend. „Kann ich doch, während

ſtülpte ihn auf ſein triefendes Haupt.

Du die Natur konterfeieſt, ihre Schönheiten auf eine an-
dere, materielle Weiſe genießen, indem ich meine nun
matten Glieder durch ein ſtärkendes Bad erfriſche. Nicht
umſonſt ſollen die Schwäne dort mit dem guten Beiſpiel
mir vorangegangen ſein.
Nach dieſen Worten begab er eich unter den Schutz der
Hängeweiden und in wenig Minuten ſchon plätſcherte er
auf dem klaren See uniher. Nicht wenig erſchrack er je-
doch, als plötzlich hinter dem Eilande eine zierliche Gon-
del, mit vier jungen Frauengeſtalten beſetzt, hervorbog. In
großer Verlegenheit ſchaut er ſich nach einem bergenden
Aſyl um. Vergebens. Die Ufer des feſten Landes wie
die der Inſel gleichweitßentfernt — die ganze Waſſerfläche
dem Auge bloß gegeben und dazu ſtach das Bont mit ziem-
licher Geſchwin digkeit daher.
„Willkommene Hülfe in der Noth! Lock⸗ und.
ſchungsmittel für die ſchnatternden Waſſerbewohner!

äu-

Laß

mich, leerer Tropf, in Deinen hohlen Kopf meinen angſt-

erfüllten bergen!“ Im Nu erfaßte er den daher tanzen-
den Kürbis mit der eingeſchnittenen Menſchenlarve und
In kecker Ruh?
und Behaglichkeit ſah er nun den Nachen auf ſich zu-
ſteuern. Die Halbſchied ſeiner Ladung war köſtlich. Auf
dem Mittelbänkchen ſaßen, innig verſchlungen, zwei Jung-
frauen, an Kleidung, Körperreiz und Haltung himmelweit
verſchieden von den beiden rüſtigen Bauerndirnen, welche
an den beiden Enden der Gondel flink das Ruder führten.
Augenſcheinlich waren auch ſie — wie einſt Aphrodite dem
Meere — ſo eben den Wellen des See's enttgen Denn
ein weiter, weißer, weicher Mantel, mit feinen Spitzen
beſetzt, hüllte die jugendlichen, ſchwellenden Glieder ein; in
natürlichen Locken rollte das waſſerglänzende Haupthaar
auf die volle Schulter herab, und nur unvollſtändig deckte
das umgeworfene Tuch die ſchöne Bruſt. Adolph wäre
über dieſen Anblick bald zum Hylas geworden.
In ſeiner Verzückung mußte er ſich recht zuſammen-
nehmen, daß er nur den bekürbisten Kopf von ſich ſehen
ließ. Die beiden Jungfrauen ſtellten den Norden und Sü-
den Europa's bildlich dar. Die eine mit Augen voll ita-
lieniſcher Gluth, das Haupthaar ſchwarzdunkel, das Fleiſch

von hoher Incarnatton, ſchten nicht auf deutſchem Boden.

entſproſſen zu ſein. An dieſe jugendliche Juno ſchmiegte
ſich mit ſanften, gewinnenden Reizen eine liebliche Pſyche,
deren Bild der Leſer ſich ſelbſt ausmalen mag. Ihr Haupt
ruhte auf Juno's Achſel; ihre klaren blauen Augen be-
trachteten die weite Waſſerfläche. Mit der Rechten auf
dieſelbe deutend, hob ſie zur Nachbarin an: „Weßhalb nur
dieſe häßlichen, gelben Türkenköpfe auf dem See herm
 
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