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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 18 - Nr. 26 (2. März - 30. März)
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Nr. 25.

Mittwoch, den 27. März 1872.

5. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schi aaſſe 4

und bei den Trägern.

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Incognito's.
Erzählung von Guſtav Nieritz.
(Fortſetzung.)

Es zeigten ſich in den Straßen mehr Menſchen als gewöhn-
lich; es traten Gruppen zuſammen, denen man eine Neu-
gierde freudiger Art abmerkte; das Militär war auf den
Beinen; Reiter ſprengten hin und wieder; Fuhrwerk an
Fuhrwerk raſſelte vorüber; ſchon zogen ſich die Einwohner
von den fremden Truppen zurück, die in trotzigerer Hal-
tung als je daher marſchirten. Babet, welche das feine
Ohr an jeden Zugang hielt, konnte der Sache nicht auf
den Grund kommen, behauptete aber keck, daß wichtige
Dinge im Werk ſeien. ö
Die Nacht brach ein, mit ihr nahm der dumpfe Lärm
zu, welcher nur in den erſten Stunden des neuen Tages
ſich verlor. Noch war es ganz dunkel, als Babet, unge-
rufen, in das Schlafzimmer der jungen Damen ſtürzte
und ſie durch den Zuruf erweckte: „Sie ſind fort! ſie
ſind fort!“ ö ö
„Graf Loſſum auch?“ fragte Eugenie im erſten Er-
ſtaunen.
„Nicht doch!“ — ſagte das Kammermädchen, — „un-
ſere Wächter — die Franzoſen! Alle ſind fort, bis auf
den ſchändlichen Chaſſeloup und Brieur. Sie haben eine
große Schlacht verloren, in welcher Napoleon und alle ſeine
Soldaten geblieben ſind. Nicht ein Mann ſoll davon ge-
kommen ſein. Drei ganze Tage hat die Metzelei gedauert.
Das arme Leipzig ſoll der Erde gleich gemacht ſein. Drei
Fürſten auf franzöſiſcher Seite ſind dabei ertrunken, vier
Könige ſind gefangen genommen worden und zehn Mar-⸗
ſchälle geblieben. Unſer König iſt nun wieder, was er
vorher war, Hyronimus Napoleon — und weiter nichts.
Die ſiegreichen Truppen ſind nur noch einen Büchſenſchuß
weit von der Stadt entfernt. Tauſende ziehen unſern Be-
freiern entgegen. Das iſt ein Jubel in der ganzen Stadt,
der gar kein Ende nimmt!“
Die Mädchen zürnten der willkommenen Störerin nicht.
Auch ſie jubelten und weckten den Onkel, welcher nur aus
Furcht den Ungläubigen ſpielte. Seine Hoffnung wuchs,
als er ſein Vorzimmzr leer von den fremden Wächtern
erblickte. Die wiedergegebene Freiheit benutzte er ſofort,
um genauere Erkundigungen über den wahren Stand der
Sache einzuziehen. Rach einer Stunde war er wieder da.

Sein Geſicht glänzte von Freude; ſie ſchien ihn zum Kinde
gemacht oder den Kopf verdreht zu haben. Unter einer
tiefen Verbeugung näherte er ſich Natalien. Ihre Hand
ehrerbietig an ſeinen Mund führend, hob er alſo an: „Ich
komme, Ew. Hoheit die Befreiung unſeres deutſchen Va-
terlandes zu verkünden. Das ſchmähliche Joch iſt zerbro-
chen — der Zwingherr vertrieben — ſeine Herrſchaft aus.
Die von ihm beraubten Fürſten kehren in ihre angeſtamm-
zurück und ſchon ſehe ich im Geiſte Ew. Hoheit theures
Haupt mit der Fürſtenkrone geſchmückt und darüber eine
ſchönere — die Myrthenkrone.“ ö ö
„Onkel! Onkel!“ rief Eugenie faſt erſchrocken, —
„die Freude hat ſie ja ganz drehend gemacht. Ihr Scherz
flößt mir wahrhafte Beſorgniß ein.“
„Kein Scherz!“ antwortete der Geheimerath, indem er
ſeine Nichte bei der Hand faßte und ſie vor Natalie
führte. „Bitte Ihre Hoheit um Verzeihung, daß Du ihr,
zwar unvorſätzlicherweiſe, die gebührende Ehrfurcht ſchul-
dig geblieben biſt. Du haſt das unverdiente Glück gehabt,
zwei Jahre hindurch die Prinzeſſin Helene von *, mei-
nes einſtigen, gnädigen Landesherrn Tochter, für Deine
Couſine halten und als ſolche mit derſelben eines vertrau-
ten Umgangs pflegen zu dürfen.“
In ſprachloſem Crſtaunen blickte Eugenie bald ihren
Onkel, bald Natalie an, welche in unbeſchreiblicher Ver-
wirrung und mit niedergeſchlagenen Augen daſtand.
„Ich muß wirklich, mit Ew. Hoheit Erlaubniß,“ —
fuhr der Baron fort, — „meine ungehorſame Nichte eini-
germaßen aufklären, ſoll ſie nicht anders dieſelbe als Scherz
behandeln. Der durchlauchtigſte Vater Ihrer Hoheit hatte,
nachdem Napoleon höchſtdeſſen Lande an ſich geriſſen, mit

ſeiner Familie in dem freien England eine Zufluchtsſtätte

gefunden. Allein die dortige Lebensweiſe, das Elima oder
ſonſtige Einflüſſe drohten die Geſundheit Ihrer Hoheit zu
untergraben. Die Aerzte riethen Pyrmonts Geſundbrunnen
als das wirkſamſte Mittel für die hohe Kranke an. Es
glückte, Hochdieſelbe unerkannt nach Deutſchland und in
mein geringes Haus zu bringen, wo ſie denn unter dem
beſcheidenen Incognito meiner Nichte auftrat und zwei
Sommer hindurch die angerathene Waſſerkur gebrauchte.
Heil mir, daß ich das koſtbare Pfand meinem einſtigen,
gnädigen Souverän in blühender Geſundheitsfülle wieder
übergeben kann. Nicht verbergen darf ich's, daß Behufs
einer glorreichen Vermählung der Prinzeſſin Helene mit
einem liebenswürdigen Erbprinzen, deren Bild gemalt und
von mir abgeſendet wurde. Nun weißt Du Alles und ich
bin überzeugt, daß ich nicht länger Dich an Deine Schul-
digkeit werde erinnern dürfen.“ ö
 
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