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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 35 - Nr. 43 (1. Mai - 29. Mai)
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5


elberger

ollsblatt.

Nr. 35.

Mittwoch, den 1. Mai 1872.

5. Jahrg.

Zrjcheint Mittwoch und Samſcag.
und ber den Trägern.

Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schilfgaſſe 4
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Wunderbare Wiedervergeltung.
Nach einem franzöſiſchen Offizier erzählt.
(Schluß.) ö

Die vorgeſchobenen Poſten verſchwanden wie Rohrhalme,
die man mit der Hand zerknickt, unter dem Bajonett. Jetzt
waren wir unbemerkt oben, aber die Schildwache an den
zuſammengeſetzten Gewehren ſchien wachſamer als die an-
dern. Sie ſtand unbeweglich, das Gewehr auf den Bo-
den und das Kinn auf das Gewehr geſtützt. Der arme
Teufel ſchwankte hin und her, wie ein Menſch, der vor
übergroßer Ermüdung einſchlafen will. Einer meiner Gre-
nadiere ſchlich heran, umfaßte ihn von hinten und drückte
ihm den Mund zu, die andern ſtürzten ſich dann über ihn
her, knebelten ihn und warfen ihn den Abhang hinunter.
Nun umringten wir die Scheune.

tigſten Schlachten gekannt, nicht Herr werden. Es war
die Scham, Schlafende zu überfallen. Ich ſah ſie, in ihre
Mäntel gewickelt, auf der Dreſchtenne liegen, eine alte
Stalllaterne verbreitete ein düſteres Licht über die Scene.
Das Herz ſchlug mir gewaltig, aber ein Blick auf meine
Leute gab mir bald alle meine Stärke wieder, ich ergriff
den Degen, den ich bisher im Arm getragen, um beque-
mer klettern zu können, trat zuerſt in die Scheune und

machte ihnen ein Zeichen, das ſie nur zu gut verſtanden.

Erſt ſtürzten ſie auf die noch hin und wieder liegenden
Waffen, dann wie eine Schaar Wölfe auf eine Heerde
Schaafe. O! es war ein fürchterliches Blutbad, ſtumm,
lautlos und gräßlich. Das Bajonett durchbohrte, der Kolbe
zerſchmetterte, das Knie erſtickte, die Fäuſte erdroſſelten.
Kaum wurde ein Schrei ausgeſtoßen, ſo verhallte er auch
ſchon unter den Füßen meiner Grenadiere und kein Kopf
erhob ſich, ohne nicht unmittelbar darauf auch den Todes⸗—
ſtreich zu empfangen. Im Eiatritt hatte ich auf's Gera-
dewohl⸗einen furchtbaren Stich auf eine dunkle, am Bo-
den vor mir liegende Geſtalt gethan und gefühlt, daß mein
Degen einen Körper ganz durchbohrt. Ein alter, ruſſiſcher
Offizier, groß und kräftig, mit grauen Haaren, erhob ſich
vor mir, ſah, was ich gethan und führte fluchend einen
Säbelhieb nach meinem Geſicht; aber in demſelben Augen-
blick ſtürzte er auch ſchon, von den Bajonetten meiner
Soldaten durchbohrt, zu Boden. Ich fiel neben ihn, denn
der Hieb hatte mich betäubt. Ich blutete zwiſchen den Au-
genbrauen und wußte kaum, was um mich geſchah. Im
Hinſinken fiel ich auf einen menſchlichen Körper und hörte

*

Ich konnter einer ſon-
derbaren Empfindung, die ich nie vorher, auch in den blu-

die zarte, ſterbende Stimme eines Knaben „Vater!“ rufen-
— Jetzt war mir klar, was ich gethan, und ſah unter
mich, um mich zu überzeugen. Ein Knabe von ungefähr
14 Jahren in ruſſiſcher Fähnrichs⸗Untform lag unter mir.
Seine langen, blonden Haare waren ſo weich wie Seide
und der Kopf hing ihm auf die Bruſt, als wäre er zum
zweiten Male ſanft eingeſchlafen. Sein ſchöner Mund war
halb geöffnet, ſo daß man zwiſchen den zarten Lippen zwei
Reihen wunderſchöner, weißer Zähne ſehen konnte. Die
Augen waren offen und obgleich gebrochen, doch ſanft und
faſt bittend. Ich wollte ihn aufheben, aber mein Geſicht
ſtieß an das Gefäß meines Degens, der noch in der Bruſt
des Knaben ſteckte.
War das auch ein Feind? rief ich ſchmerzlich aus, warf
einen Blick auf ſeinen Vater, dem das Blut aus der tie-
fen Bajonett-⸗Wunde entſtrömte und wiſchte mir das warme
Blut von dem Geſicht, das aus meiner Wunde mir in die
Augen floß.
Um mich her lagen ſtumme Leichen, die von meinen
Grenadieren an den Füßen aus der Scheune geſchleift
wurden.
Da trat der Oberſt ein. Hinter ihm Soldaten, drau-
ßen hörte ich an Schritt und Klirren der Gewehre die
ganze Kolonne. „Bravo!“ rief er aus, „Sie haben rei-
nen Tiſch gemacht und raſch, aber Sie ſind verwundet!“
Sehen Sie her, Herr Oberſt! erwiederte ich, welcher
cher Unterſchied iſt nun noch zwiſchen mir und einem Mörder?
„Ei was, mit Feinden, das gehört 'mal mit zu un-

ſerm Handwerk.“

Sie haben Recht, Herr Oberſt! Dergleichen kann uns
aber das Handwerk verleiden! — Ich ſtand auf, um wie—⸗
der in das Bataillon einzutreten, ließ den Körper des Kna-
ben ſinken, wickelte ihn in den Mantel ſeines Vaters, der
noch am Boden lag, wobei mich aber ein ſpaniſches Rohr
— dieß hier! — hinderte; ich nahm es in die Hand und
da ich einen Abſcheu vor meinem Degen fühlte, der noch
in der Bruſt des unſchuldigen Opfers ſteckte, ſo vermochte
ich es nicht, ihn wieder herauszuziehen und entſchloß mich,

nie wiedere eine andere Waffe, als dieſen Stock zu führen.

Ich eilte, dieſe Mörderhöhle zu verlaſſen, die nach Blut
roch und als ich die kalte Nachtluft fühlte, wurde mir
wohler. Meine Wunde fing an zu ſchmerzen. Ich hielt
ein Tuch vor das Geſicht und ſuchte den Chirurgus, der
mir Charpie geben ſollte. Meine Grenadiere waren ſchon
wieder in Reih und Glied eingetreten, jeder wiſchte ſein
Bajonett an dem Raſen ab, ſchraubte den Feuerſtein feſt
oder lud das Gewehr auf's Neue. Der Feldwebel, vom
Fourier begleitet, ging vor der Compagnie auf und nie-
 
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