Nr. 11.
Mittwoch, den 7. Februar 187².
5. Jahrg.
»cheint Mittwoch und Samſeag.
Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schifarſſe 4
und bei dea Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Die Gräſinnen von Schauenſtein.
Novelle von Wilhelm Blumenhagen.
(Fortſetzung.)
„Die Zeichenſprache der Taubſtummen iſt nicht ſo deut-
lich wie das artikulirte Wort,“ verſetzte der Hofrath mit
Scheu. „Aber es war Niemand von der Dienerſchaft, es
war kein männliches Weſen. Habe ich recht verſtanden, ſo
ſollten die Geſten des kleinen Benjamin ein Frauenzimmer
beſchreiben, keine Magd, kein Weib vom Dorfe, ſondern
eine Dame; der Wuchs, die Tracht — doch wie geſagt,
es iſt unglaublich.“
„Viktorie!“ ſchrie die Gräfin, die ſcharf in ſeinem Ge-
ſichte geleſen hatte, und mit der Farbe einer Leiche und
krampfhaft gerungenen Händen ſank ſie in den nächſten
Seſſel.“ —— 2
„Nicht doch, Erlaucht,“ beſchwichtigte der Greis. „Laſ-
ſen Sie uns keinem voreiligen Verdachte Raum geben,
der gleich einer dreiſchneidigen Klinge das Edelſte in uns
verwunden müßte.“ — Er blickte ſuchend und bedächtig
im Zimmer umher. — Da liegt ja Staroſt, unſer Zy-
perkater. Wir wollen ihn wecken und die Taſſe verſuchen
laſſen.“
„Halten Sie ein, Silber!“ rief die Gräfin aufſprin-
gend und wie von Todesangſt gepackt. „Bleiben wir in
der Ungewißheit. Die Wahrheit würde ein ewiges Elend
über uns Alle ausſchütten. Und warum das gute, alte
Thier, den Liebling des ſeligen Grafen, noch quälen und
opfern?? ö
Der Hofrath ſah ſie ſcharf an und ging dann, um den
inneren Thürriegel vorzuſchieben. „Dieſe Ungewißheit
würde faſt ſchlimmer ſein als die Wahrheit,“ ſagte er mit
beſtimmtem Tone. „Es iſt damit gerade wie mit dem
Tode. Was iſt er? Ein ſchwerer Moment, den Wenige
klar empfinden; aber ſchrecklicher als er, iſt ein langſames
Sterben; fürchterlicher als er die Furcht vor ihm, die ihn
nicht ſelten vor der Zeit heranruft. Verzehrt der Staroſt
die leckere Koſt mit Geſundheit, ſo iſt auch unſere Seele
augenblicklich wieder geſunder, und wir lachen über die
Träume des Taubſtummen, welche die Hitze ſeines Heerdes
ausgebrütet, Nimmt das alte, halbblinde Thierchen irgend
einen Schaden, ſo hat ihn das Schickſal hoch begünſtigt,
denn er durfte danken für lange, freundliche Pflege und
Wohlthat; er wird ein ſchönes, beneidenswerthes Ende
nehmen, ja ich möchte ſagen, er iſt dann eines menſchlichen
Todes geſtorben.“
Er ſchob ſanft doch feſt die Hand der Gräfin von ſich,
weckte die Katze und ſetzte ihr die Porzellanſchaale vor, in-
dem er ihren ſeidenhaarigen, wenn auch ſchon hie und da
kahleren Balg ſtreichelte. Das Thier ſchnurrte unter des
Arztes weicher Hand, und bemühte ſich dann, den ſtei-
fen Rücken zu einem wolluſtigen Buckel zu zwingen,
ſuchte mit der Schnauze ſpürend das warme, duftende Ge-
tränk, leerte die Taſſe behaglich bis zum Grunde und leckte
dieſen mit Gier vollends rein und blank. Die Gräfin
ging indeß unruhig und händeringend im Zimmer umher,
und warf ſcheue, unſichere Blicke auf die Gruppe. „O
Freund.“ ſagte ſie, „denken Sie ſich Leidenſchaft in Vikto-
riens ungezähmter Seele, in dieſem Gemüth, dem man
lehrte, aller Bande zu ſpotten und ſolche That wird Ih-
nen weniger unmöglich ſcheinen.
Sie glich einem unruhigen Meere, ungeregelt wogend
hierhin und dorthin, doch durch innere Kälte ungefährlich
und in natürlichen Schranken gehalten. Unter dem Meere
entzündete ſich der verborgene Vulkan der Leidenſchaft, der
tiefe Boden zittert und birſt, die Wellen ſchäumen und ſie-
den, die ungeheuere Feuerſäule wirft Alles über ſich und
um ſich weg, bis ſie ſich durchgebrochen zur Luft. O
Freund, Gott bewahre Viktorien! Entzündete ſich ſolche
Gluth in dieſer Bruſt, wer würde löſchen, und uns Alle,
ſie ſelbſt mit uns müßte ein gränzenloſes Verderben faſ-
ſen. Aber Staroſt liegt ruhig, er ſcheint ſanft zu ſchlum-
mern.“ Der Hofrath betrachtete forſchend das Thier.
„Leidenſchaften ſind Paraſyten in dem ſchönen Garten,
den der Weltgeiſt ſchuf, damit er die Wohnung eines En-
gels würde,“ ſagte er. „Verſäumt der Gärtner ſie auszu-
rotten, wenigſtens ſtreng unter Scheere und Gartenmeſſer
zu halten, ſo wurzeln ſie ſich tief und unzerſtörbar ein wie
Eiſenadern, ſo ſchießen ſie auf mit Windeseile, und über-
ranken Garten und Engel, hüllen ihm Sonne, Sterne und
Himmel ein und machen Alles zuletzt zu einer finſteren,
ſchmutzigen Höhle, in welchen ein Raubthier Quartier ge-
funden.“ — Er wand zugleich ſein Seidentuch zu einer
Schnur zuſammen, wickelte daſſelbe leiſe und leicht um den
Hals und Leib des Katers und befeſtigte die Zipfel an die
Lehne des Polſterſtuhles.
„Was machen Sie da, Hofrath?“ fragte die Gräfin
ſtutzend. ö
„Es iſt nur der Vorſicht wegen,“ antwortete kalt und.
bedächtig der Arzt. „Das Thier hat haſtig und viel ge-
ſchluckt; es könnte die ungewohnte Koſt ihm Unruhe ma-
chen und ſeine Krallen und Zähne ſind, wenn auch ſtumpf,
doch nicht außer Acht zu laſſen.“
Die Gräfin wagte keine Frage weiter, aber ihr Bu-
ſen wogte wie im gefährlichſten Fieber. Eine lange Vier-
Mittwoch, den 7. Februar 187².
5. Jahrg.
»cheint Mittwoch und Samſeag.
Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schifarſſe 4
und bei dea Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Die Gräſinnen von Schauenſtein.
Novelle von Wilhelm Blumenhagen.
(Fortſetzung.)
„Die Zeichenſprache der Taubſtummen iſt nicht ſo deut-
lich wie das artikulirte Wort,“ verſetzte der Hofrath mit
Scheu. „Aber es war Niemand von der Dienerſchaft, es
war kein männliches Weſen. Habe ich recht verſtanden, ſo
ſollten die Geſten des kleinen Benjamin ein Frauenzimmer
beſchreiben, keine Magd, kein Weib vom Dorfe, ſondern
eine Dame; der Wuchs, die Tracht — doch wie geſagt,
es iſt unglaublich.“
„Viktorie!“ ſchrie die Gräfin, die ſcharf in ſeinem Ge-
ſichte geleſen hatte, und mit der Farbe einer Leiche und
krampfhaft gerungenen Händen ſank ſie in den nächſten
Seſſel.“ —— 2
„Nicht doch, Erlaucht,“ beſchwichtigte der Greis. „Laſ-
ſen Sie uns keinem voreiligen Verdachte Raum geben,
der gleich einer dreiſchneidigen Klinge das Edelſte in uns
verwunden müßte.“ — Er blickte ſuchend und bedächtig
im Zimmer umher. — Da liegt ja Staroſt, unſer Zy-
perkater. Wir wollen ihn wecken und die Taſſe verſuchen
laſſen.“
„Halten Sie ein, Silber!“ rief die Gräfin aufſprin-
gend und wie von Todesangſt gepackt. „Bleiben wir in
der Ungewißheit. Die Wahrheit würde ein ewiges Elend
über uns Alle ausſchütten. Und warum das gute, alte
Thier, den Liebling des ſeligen Grafen, noch quälen und
opfern?? ö
Der Hofrath ſah ſie ſcharf an und ging dann, um den
inneren Thürriegel vorzuſchieben. „Dieſe Ungewißheit
würde faſt ſchlimmer ſein als die Wahrheit,“ ſagte er mit
beſtimmtem Tone. „Es iſt damit gerade wie mit dem
Tode. Was iſt er? Ein ſchwerer Moment, den Wenige
klar empfinden; aber ſchrecklicher als er, iſt ein langſames
Sterben; fürchterlicher als er die Furcht vor ihm, die ihn
nicht ſelten vor der Zeit heranruft. Verzehrt der Staroſt
die leckere Koſt mit Geſundheit, ſo iſt auch unſere Seele
augenblicklich wieder geſunder, und wir lachen über die
Träume des Taubſtummen, welche die Hitze ſeines Heerdes
ausgebrütet, Nimmt das alte, halbblinde Thierchen irgend
einen Schaden, ſo hat ihn das Schickſal hoch begünſtigt,
denn er durfte danken für lange, freundliche Pflege und
Wohlthat; er wird ein ſchönes, beneidenswerthes Ende
nehmen, ja ich möchte ſagen, er iſt dann eines menſchlichen
Todes geſtorben.“
Er ſchob ſanft doch feſt die Hand der Gräfin von ſich,
weckte die Katze und ſetzte ihr die Porzellanſchaale vor, in-
dem er ihren ſeidenhaarigen, wenn auch ſchon hie und da
kahleren Balg ſtreichelte. Das Thier ſchnurrte unter des
Arztes weicher Hand, und bemühte ſich dann, den ſtei-
fen Rücken zu einem wolluſtigen Buckel zu zwingen,
ſuchte mit der Schnauze ſpürend das warme, duftende Ge-
tränk, leerte die Taſſe behaglich bis zum Grunde und leckte
dieſen mit Gier vollends rein und blank. Die Gräfin
ging indeß unruhig und händeringend im Zimmer umher,
und warf ſcheue, unſichere Blicke auf die Gruppe. „O
Freund.“ ſagte ſie, „denken Sie ſich Leidenſchaft in Vikto-
riens ungezähmter Seele, in dieſem Gemüth, dem man
lehrte, aller Bande zu ſpotten und ſolche That wird Ih-
nen weniger unmöglich ſcheinen.
Sie glich einem unruhigen Meere, ungeregelt wogend
hierhin und dorthin, doch durch innere Kälte ungefährlich
und in natürlichen Schranken gehalten. Unter dem Meere
entzündete ſich der verborgene Vulkan der Leidenſchaft, der
tiefe Boden zittert und birſt, die Wellen ſchäumen und ſie-
den, die ungeheuere Feuerſäule wirft Alles über ſich und
um ſich weg, bis ſie ſich durchgebrochen zur Luft. O
Freund, Gott bewahre Viktorien! Entzündete ſich ſolche
Gluth in dieſer Bruſt, wer würde löſchen, und uns Alle,
ſie ſelbſt mit uns müßte ein gränzenloſes Verderben faſ-
ſen. Aber Staroſt liegt ruhig, er ſcheint ſanft zu ſchlum-
mern.“ Der Hofrath betrachtete forſchend das Thier.
„Leidenſchaften ſind Paraſyten in dem ſchönen Garten,
den der Weltgeiſt ſchuf, damit er die Wohnung eines En-
gels würde,“ ſagte er. „Verſäumt der Gärtner ſie auszu-
rotten, wenigſtens ſtreng unter Scheere und Gartenmeſſer
zu halten, ſo wurzeln ſie ſich tief und unzerſtörbar ein wie
Eiſenadern, ſo ſchießen ſie auf mit Windeseile, und über-
ranken Garten und Engel, hüllen ihm Sonne, Sterne und
Himmel ein und machen Alles zuletzt zu einer finſteren,
ſchmutzigen Höhle, in welchen ein Raubthier Quartier ge-
funden.“ — Er wand zugleich ſein Seidentuch zu einer
Schnur zuſammen, wickelte daſſelbe leiſe und leicht um den
Hals und Leib des Katers und befeſtigte die Zipfel an die
Lehne des Polſterſtuhles.
„Was machen Sie da, Hofrath?“ fragte die Gräfin
ſtutzend. ö
„Es iſt nur der Vorſicht wegen,“ antwortete kalt und.
bedächtig der Arzt. „Das Thier hat haſtig und viel ge-
ſchluckt; es könnte die ungewohnte Koſt ihm Unruhe ma-
chen und ſeine Krallen und Zähne ſind, wenn auch ſtumpf,
doch nicht außer Acht zu laſſen.“
Die Gräfin wagte keine Frage weiter, aber ihr Bu-
ſen wogte wie im gefährlichſten Fieber. Eine lange Vier-